Mein oberstes Ausbildungsziel ist, dass ein Hund locker an der Leine läuft. Dann ist es in Prinzip auch egal, ob er ein Halsband oder ein Brustgeschirr trägt», sagt Helen Höfliger, die Leiterin der Hundeschule «Zu mir». Wenn aber schönes An-der-Leine-Laufen ohne Zug nicht möglich ist, dann sei ein Brustgeschirr die bessere Lösung. Einerseits, um Schmerzen oder gar gesundheitliche Schädigungen an der empfindlichen Halsregion zu vermeiden. Durch starken Zug am Halsband kann die Halsmuskulatur verspannt werden. Andererseits kann ein Halsband zu einer Leinenaggression führen. Diese kann entstehen, wenn ein Hund jeweils stark an der Leine zerrt, weil er einen anderen Hund sieht, und die dabei entstehenden Schmerzen mit der Hundebegegnung in Verbindung setzt. Ein Geschirr entlastet die Halsregion und verteilt den Druck breiter auf die Brustregion.

Wann Halsband, wann Geschirr?

Generell ist ein Halsband praktisch bei grösseren, kräftigen und schwereren Hunden, sagt Helen Höfliger. Der Halter kann früher und gezielter Einfluss nehmen bei einer heiklen Situation. Das Hebelgesetz wirkt bei einem Halsband stärker und die Einwirkung ist präziser.

Kurzschnauzige Rassen, die unter Atemproblemenleiden, wie Möpse oder auch Französische Bulldoggen, würde sie nicht an einem Halsband führen, da dadurch die Luftzufuhr noch mehr einschränkt wird, so Höfliger. «Bei kleinen Hunden, die nicht schön an der Leine laufen, empfehle ich auch ein Geschirr.» Und sobald mit einer Longe gearbeitet wird, muss ebenfalls ein Brustgeschirr an den Hund, ist die Hundetrainerin der Meinung. Denn rennt ein Hund in die lange Leine oder erfährt durch einen brüsken Stopp einen Ruck, werden die Halswirbel beim Tragen eines Halsbandes einer extremen Belastung ausgesetzt. Dasselbe gilt für sportliche Betätigungen wie Radfahren oder wenn ein Hund einen Schlitten oder ein Trottinett ziehen muss – hier gehört immer ein Geschirr an den Hund.

Auch bei Welpen ist ein Geschirr sinnvoll, denn diese werden sehr schnell abgelenkt, hüpfen voller Übermut von A nach B und setzen unvermittelt zu einem Sprint an. Eine plötzliche Straffung der Leine ist dabei fast unvermeidbar. «Bei einem Junghund, davon spreche ich ab dem Alter von 17 Wochen, verwende ich dann beides: das Halsband, um die Leinenführigkeit zu trainieren, und das Geschirr, wenn der Hund sich etwas freier bewegen darf», so Helen Höfliger.

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Auf die Passform kommt es an

Auf die Frage, ob sie Halsbänder und Geschirre aus Stoff, Leder oder Biothane bevorzuge, hat die Hundekennerin eine klare Antwort: «Ausschlaggebend finde ich nicht das Material, das verwendet wird, sondern die Passform.» Ein Geschirr müsse gut sitzen. Dies sei der Fall, wenn die Vorderläufe und die Schultern nicht im Bewegungsablauf eingeschränkt werden. Allgemein könne sie von der Passform her am ehesten die sogenannten Y-Geschirre empfehlen. Die schräg nach hinten versetzte Halsung formt von oben her betrachtet den Buchstaben Y, daher die Bezeichnung. Diese Anordnung des Geschirrs sorgt für eine gute Druckverteilung. Wichtig ist auch, dass der hintere Seitengurt nicht direkt in der Ellbogenfalte liegt, sondern einige Zentimeter dahinter.

Allerding ist es vom Körperbau des Hundes her ganz individuell, welches Geschirr am besten passt. Wichtig findet Helen Höfliger auch, dass dort, wo der Karabiner zum Einhacken der Leine sitzt, auf der Unterseite ein Polster angebracht ist, damit das blanke Metall nicht direkt auf der Wirbelsäule des Hundes scheuert. Je komfortabler und besser gepolstert ein Geschirr, desto besser für den Hund. Leider hätten die Halter dadurch oft das Gefühl, dass sie weniger darauf Acht geben müssen, wie der Hund an der Leine läuft.

Ein weiteres Missverständnis liegt darin, dass viele Hundehalter denken, je lockerer das Geschirr oder das Halsband um den Körper respektive den Hals liegt, desto angenehmer sei es für den Hund. Dies könne jedoch zu gefährlichen Situationen führen, etwa wenn sich ein ängstlicher Hund bei Panik rückwärts hinauswindet. Beim Geschirr ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies passiert, geringer als bei einem Halsband. «Das Geschirr sollte satt am Körper sitzen, beim Halsband müssen zwei Finger dazwischen passen», sagt Helen Höfliger. Beim Halsband muss darauf geachtet werden, wo sich der Befestigungsring für die Leine befindet. Liegt dieser gegenüber vom Verschluss, drückt er genau auf den Kehlkopf. Besser ist es, wenn Verschluss und Leinenring möglichst nah beieinander angebracht sind.

Bei einem breiteren Halsband verteilt sich der Druck besser als bei einem schmalen Modell, erklärt Höfliger und fügt gleich an: «Wobei, eigentlich möchte ich ja überhaupt keinen Druck.» Wenn dies gewährleistet ist, können Halsbänder durchaus angenehmer zu tragen sein als Geschirre. Da sie weniger Auflagefläche haben, scheuern sie auch weniger, können sich weniger mit unangenehmer Nässe vollsaugen und bieten weniger Möglichkeiten, um Haare einzuklemmen.

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Sinnvolle Hilfsmittel

Zusätzlich zu Halsband und Brustgeschirr gibt es die sogenannten Haltis oder Gentle Leader, Kopfhalfter, bei denen der Hund über die Schnauze gesteuert wird. Diese kommen zur Anwendung bei Hunden, die am Halsband oder am Geschirr nicht gut gehalten werden können. Wenn die Korrektur fein darüber erfolgt und der Kopf behutsam umgelenkt wird, könne dieses Hilfsmittel sinnvoll sein. Springt der Hund jedoch ins Halti oder wird brüsk daran herumgezogen, finde sie es eine schlechte Lösung, sagt Helen Höfliger.

Was hält die Hundetrainerin von Ausbildungsgeschirren, die vorne an der Brust eine Befestigungsmöglichkeit für eine zweite Leine bieten? Dies könne sinnvoll sein, da die Hundeführerin so in prekären Situationen noch früher eingreifen kann und die Hunde sich nicht mit dem ganzen Gewicht ins Brustgeschirr oder Halsband hängen. Schaden könne durch die Anwendung eines solchen Geschirrs dem Hund keinen zugefügt werden. Anders sieht es bei Konstruktionen aus, bei denen Leinen unter den Achseln durchgeführt oder um die Lende geschlungen werden. In der Schweiz ist deren Anwendung verboten. Auch bei den Halsbändern gibt es verbotene Varianten: Modelle mit Stacheln, Endloswürger, die keinen eingebauten Stopp haben, sowie Halsbänder, die chemische Substanzen versprühen oder elektrische Impulse übertragen.

Ob ein Halsband oder ein Geschirr besser geeignet ist, sei nicht primär vom Hund abhängig, von seiner Rasse oder Grösse, sondern vom Hundeführer. «Sagt mir ein Halter, es sei ihm vollkommen egal, wie sein Vierbeiner an der Leine läuft, finde ich ein Geschirr sinnvoller, weil es weniger Schmerzen verursacht», so Höfliger. Wenn Hund und Mensch kein Team sind, ist ein Geschirr zu empfehlen. Auch wenn jemand seinen Hund an weiter Leine mit viel Freiraum laufen lässt, ist ein Geschirr besser geeignet, weil es da eher zu unvorhergesehenen Rucken kommen kann. Bei Personen, die nicht vorausschauen können und ihre Hunde somit in kritischen Situationen nur mit Mühe halten können, ist ein Halsband angezeigt, da damit rascher eingegriffen werden kann. Für die Entscheidungsfindung muss ich mir als Hundehalter also die Fragen stellen: Wie viel Training bin ich gewillt zu investieren, damit mein Hund und ich miteinander als Team unterwegs sind? Darf mein Hund weit voraus von rechts nach links hüpfen oder möchte ich heikle Situationen an lockerer Leine meistern können? Wie komme ich mit meinem Hund am sichersten und für ihn am komfortabelsten durchs Leben? Aber Achtung: Unterwegs geht es nicht nur um das Glück meines Hundes, sondern auch um Rücksichtnahme auf andere Lebewesen.

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Zur Person
Helen Höfliger ist Hundetrainerin aus Kriens (LU). Seit 2007 betreibt sie die Hundeschule «Zu mir». Dort legt sie den Fokus auf das Alltagstraining und bereitet Neuhalterinnen auf das nationale Hundehalterbrevet vor. Seit 20 Jahren ist sie auch als Übungsleiterin beim Kynologischen Verein Luzern tätig. Helen Höfliger wird von Labradorhündin Shana durch den Alltag begleitet.