Honigdachs
Das mutigste Tier der Welt ist ein Schleckmaul
Er nimmt es mit Löwen und Leoparden auf, steckt den Biss von Giftschlangen locker weg und am liebsten plündert er Bienenstöcke: Der Honigdachs gilt als unerschrockenstes Tier der Welt.
Er ist in etwa so lang wie ein Schäferhund, nur hat er viel kürzere Beine und ist viel stämmiger. Mit seinem breiten weissen Streifen auf dem Rücken und seinem runden Gesicht sieht er ein bisschen so aus, als hätte man ein Stinktier mit einem Faultier gekreuzt. So richtig bekannt gemacht hat den Honigdachs jedoch nicht sein Aussehen, sondern sein Ruf, das furchtloseste Tier der Welt zu sein. Diesen Ruf hat sich das Tier, das vor allem in Afrika, aber auch auf der arabischen Halbinsel und in Indien zu Hause ist, redlich verdient. Mit dem Honigdachs ist nämlich alles andere als gut Kirschen essen. Fühlt sich das mit unseren Mardern verwandte Tier bedroht, stellt es sich seinem Gegner stets mit wütendem Knurren und mit weit aufgerissenem Maul – egal, wie gross und mächtig dieser ist. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Honigdachse, wenn sie sich bedroht sahen, ohne mit der Wimper zu zucken Löwen, Leoparden und sogar Büffel angegriffen haben.
Honigdachse stürzen sich regelrecht auf ihre Feinde. Dabei sind ihre Vorderbeine mit den langen Krallen und ihre scharfen Zähne wirksame Waffen. Oft wurde beobachtet, dass Honigdachse ganz gezielt die Geschlechtsteile ihres Gegners angegriffen haben. Und genau dieser Mut und diese Entschlossenheit sind wahrscheinlich der Grund, warum der Honigdachs im «Guinness Buch der Rekorde» seit 2002 Jahr für Jahr als «furchtlosestes Geschöpf der Welt» aufgelistet wird.
Doppelt und dreifach gesicherte Anlagen
In Auseinandersetzungen mit körperlich überlegenen Gegnern kommt dem Honigdachs (Mellivora capensis) seine sehr derbe, dicke Haut zugute, die selbst von den Zähnen eines Löwen nur schwer durchdrungen werden kann. Ihres aggressiven Verhaltens wegen müssen Honigdachse im Zoo in einer Art Hochsicherheitstrakt gehalten werden. Im Kölner Zoo, wo es seit 2012 gleich drei Honigdachse gibt, wussten die Pfleger schon im Vorfeld ganz genau, was da auf sie zukommen würde: Honigdachse können nämlich mit ihren extrem starken Unterarmen und den gewaltigen Krallen nahezu jeden Spalt öffnen und verfügen über eine gewaltige Zerstörungskraft. Deshalb wurde das im Zoo bereits vorhandene Gehege schon vor dem Einzug der Tiere zu einer unzerstörbaren, ausbruchsicheren Festung ausgebaut: Das Erdbecken wurde mit starkem Draht unterlegt, das Wasserbecken einbetoniert. Alle Bäume im Gehege wurden angekettet und stark verkeilt. Als Rohrmaterial für Elektrik und Wasser wurde Panzerrohr gewählt. Die Rohre selbst wurden einzementiert. Die Wasseranschlüsse mit Stahlmanschetten geschützt. Sogar die Steine im Gehege wurden angekittet, damit die Dachse sie nicht gegen die Scheiben schleudern und damit das Sicherheitsglas beschädigen können.
Aber der Honigdachs scheint nicht nur das furchtloseste Tier der Welt zu sein, sondern auch das zäheste. Diesen Ruf, unglaublich hart im Nehmen zu sein, verdankt der Honigdachs einem Video, das auf der Internetplattform Youtube bisher unglaubliche 70 Millionen Mal angeklickt wurde und den Honigdachs, nicht nur unter Zoologen, zum Mythos gemacht hat. Auf dem Video ist zu sehen, wie ein Honigdachs eine Puffotter angreift, eine der giftigsten Schlangen der Welt. Er wird von ihr gebissen und kämpft dennoch weiter. Letztendlich tötet der Honigdachs die Schlange und beginnt sie zu fressen. Da beginnt das Gift zu wirken und das kleine Raubtier liegt auf einmal wie tot auf dem Rücken. Und dann geschieht das Unglaubliche: Der Honigdachs kommt nach zwei Stunden wieder zu sich und frisst ungerührt weiter.
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Die Experten sind sich im Augenblick noch nicht ganz sicher, ob dieses unglaubliche Verhalten auf eine Art Immunität des Honigdachses gegenüber dem Gift der Puffotter beruht. Offenbar ähneln nämlich die Nervenrezeptoren des Honigdachses den Nervenrezeptoren einiger Giftschlangen, wie zum Beispiel der Kobra, die gegen ihr eigenes Gift immun ist. Die Nervenendigungen, genauer gesagt, die Rezeptoren des Neurotransmitters Acetylcholin, sind bei diesen Giftschlangen nämlich so verändert, dass bestimmte Arten von Nervengift nicht andocken können, was wiederum zu einer gewissen Immunität führt. Wissenschaftlich erwiesen ist das für den Honigdachs aber noch nicht.
Ganz versessen auf Honig
Ihr Mut, ihre Zähigkeit und ihre dicke Haut haben dazu geführt, dass Honigdachse sogar den Weg in die Welt der Börse und des Geldes gefunden haben. Wenn auch nur bildlich. Investmentbanker bezeichnen nämlich Unternehmen, in die sie grosses Vertrauen haben, als sogenannte «Honigdachs-Unternehmen». Ein Unternehmensberater hat die Gründe dafür wie folgt formuliert: «Honigdachs-Unternehmen haben ausgezeichnete Managementteams, klare Zielvorstellungen und Strategien. Sie können mit Problemen wie einer schwachen Konjunktur oder starken Wettbewerbern umgehen. Sie gehen aus Krisen gestärkt hervor. Sie haben starke Geschäftsmodelle und wachsen langfristig.»
Um zu wachsen, frisst der echte Honigdachs fast alles, was er überwältigen kann, und das ist eine breite Palette an Tierarten: Sie reicht von grösseren Säugetieren wie Füchsen oder kleineren Antilopen über Krokodile, Giftschlangen bis hin zu Fröschen, Skorpionen und Insekten. Die absolute Lieblingsnahrung des Honigdachses ist allerdings, wie es sein Name schon sagt, der Honig. Und um an ihn heranzukommen, ist der Honigdachs – so ist es zumindest oft in der einschlägigen Literatur zu lesen – eine ganz ungewöhnliche Symbiose mit einem kleinen Vogel eingegangen.
Dichtung oder Wahrheit?
Der Honiganzeiger, ein zur Familie der Spechte gehörender Vogel, ernährt sich in der Hauptsache von Bienenmaden. Unglücklicherweise ist jedoch der Schnabel des kleinen Piepmatzes zu schwach, um ein Bienennest aufzupicken. Aber der Honiganzeiger weiss sich durchaus zu helfen: Er ruft einfach einen Honigdachs herbei und zeigt diesem den Weg zum Bienenstock. Mit seinen kräftigen Klauen reisst der Honigdachs das Nest ohne grosse Mühe auf und macht sich über den Honig her. Ist er fertig, überlässt er das Feld dem Honiganzeiger, der die Bienenmaden verputzt. Nach neueren Erkenntnissen handelt es sich bei dieser aussergewöhnlichen Teamarbeit jedoch möglicherweise lediglich um einen sich hartnäckig haltenden Mythos. Die Zusammenarbeit zwischen Vogel und Dachs wurde nämlich noch niemals filmisch, fotografisch oder durch einen seriösen Beobachter glaubhaft dokumentiert.
Als Plünderer von Bienenstöcken gehören Honigdachse im südlichen Afrika, um es vorsichtig zu formulieren, nicht gerade zu den beliebtesten Tieren. Ausserdem brechen die kleinen Räuber auch öfters in Ställe ein und lassen sich dort das Geflügel munden. Und da die Farmer gerade im nördlichen Südafrika versuchen, der «Honigdachsplage» mithilfe von Giftködern Herr zu werden, sind die Bestände dieser so überaus interessanten Tiere rückläufig. Die Gefahr, ausgerottet zu werden, besteht jedoch für den Honigdachs im Augenblick nicht.
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