Die Befürchtung war von Anfang an da, nun hat sie sich bewahrheitet. Lucia Oeschger von der Fachstelle Heimtiere des Schweizer Tierschutzes STS spricht von den Bedenken, dass während der Corona-Pandemie zahlreiche Haustiere angeschafft wurden, die im normalen Alltag keinen Platz mehr haben. Nun lautet die Devise wieder Office statt Homeoffice, was gerade Hundehalterinnen und Hundehaltern einiges an Organisation abverlangt. Und in vielen Fällen sogar bedeutet, dass es vollkommen unmöglich ist, den Bedürfnissen des Tieres gerecht zu werden. Die Tierschutzstatistik 2021 spricht eine klare Sprache. Im zweiten Corona-Jahr wurden in der Schweiz knapp zehn Prozent mehr Verzichtstiere als im Vorjahr abgegeben, über 7100 Tiere. Insgesamt haben die Tierheime und Auffangstationen des STS im vergangenen Jahr 13 500 Heimtiere aufgenommen. Die meisten davon sind Hunde und Katzen. Damit nicht genug. Lucia Oeschger ist sich sicher, dass die Spitze des Eisbergs nicht erreicht ist und die Nachfrage nach Heimtieren noch steigen wird. Durch die Pandemie haben viele Personen ihren Lebensstil verändert und wünschen sich mehr Naturnähe.

Fehlende Fachkenntnisse

Zahlreiche dieser oft unüberlegt angeschafften Tiere werden für ihre Halterinnen ebenfalls zum Problem, dessen sie sich entledigen wollen. Die meisten Hunde werden wegen Verhaltensauffälligkeiten und Überforderung der Besitzer im Tierheim abgegeben. Süsse Welpen oder erwachsene Tiere aus dem Auslandtierschutz wurden erworben, ohne dass sich die zukünftigen Halter im Klaren waren, was es bedeutet, tagein, tagaus für ein Tier zu sorgen. «Einen Hund zu haben, braucht viel Zeit, Geld und Erziehungsarbeit», so Lucia Oeschger. Dies scheint nicht allen bewusst zu sein, ebenso wenig wie der Umstand, dass ein grosser Herdenschutzhund nicht unbedingt gut für einen Ersthundebesitzer geeignet ist, der mitten in Zürich in einer Zweizimmerwohnung lebt. Zahlreiche Neuhalterinnen hätten sich vor der Anschaffung des Hundes kaum informiert und deshalb absurde Vorstellungen, so die Fachfrau. Sie bedauert, dass die SKN-Kurse, der Sachkundenachweis für Neuhundehalter, nun nicht mehr obligatorisch ist. Lucia Oeschger empfiehlt, den Kurs bereits vor der Anschaffung eines Hundes auf frei-williger Basis trotzdem zu absolvieren. Sehr wichtig ist zudem, sich eingehend damit auseinanderzusetzen, welcher Hund zum eigenen Lebensstil passt. Erwachsene, gut sozialisierte Hunde findet sie im Allgemeinen besser geeignet für Ersthundebesitzer als Welpen.

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Wer sich einen Hund anschafft, muss gut überlegen, bei wem er den Vierbeiner kaufen möchte. Mindestens einmal sollte man das zukünftige Familienmitglied beim Züchter oder der Vorbesitzerin besuchen, um einen realen Eindruck vom Tier und seiner Herkunft zu erhalten. Lucia Oeschger rät dazu, jeweils eine Fachperson mitzunehmen, die eine objektive Beurteilung abgeben kann. Einen Hund nur aufgrund von Fotos oder Videos einer Internetanzeige zu erwerben, sei wirklich ein No-Go.

«Um Überforderungen zu vermeiden, muss man sich vor dem Tierkauf umfassend informieren.»

Die momentan publizierten Onlineverkaufsanzeigen bestätigen die Befürchtung, dass viele Corona-Hunde leider bereits überflüssig geworden sind. Auffällig viele Hunde im Alter zwischen neun und achtzehn Monaten stehen beispielsweise wegen angeblich plötzlich auftretenden Allergien zum Verkauf. Die Tierheimzahlen zeigen nur die halbe Wahrheit, so Oeschger. Da heute der Onlineverkauf einfach ist, hoffen viele, mit dem Problemtier noch etwas Geld machen zu können. Aus den Inseraten wird ersichtlich, welche Rassen im Moment in Mode sind: Zwergspitze, die oft aus skrupellosen ausländischen Zuchten stammen; Französische Bulldoggen, eine Qualzucht; Australian Sheperds, die als Arbeitshunde viel Bewegung und Beschäftigung brauchen, oder merle-farbige Hunde verschiedener Rassen, eine Farbzüchtung, die gesundheitliche Probleme bedingen kann. Viele der oft schwer händelbaren Hunde aus dem Auslandtierschutz würden zurück-gegeben und an die nächste Familie vermittelt. Dann gibt es noch die Tiere, die ausgesetzt werden; hier tappt man bezüglich der Anzahl im Dunkeln.

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Wer übernimmt die Betreuung?

Erlaubt es die Arbeitstätigkeit nicht, sich ausreichend um den Hund zu kümmern, heisst dies nicht zwingend, dass der Vierbeiner weggegeben werden muss. Es gibt die Möglichkeit, den Liebling in einem professionellen Hundehort oder von einer Hundesitterin betreuen zu lassen. Der sehr rasante Anstieg an Hundehaltenden hat allerdings dazu geführt, dass viele Angebote ausgebucht sind. Problematisch sei, wie kurzfristig viele Neuhundebesitzer entscheiden, dass nun eine Betreuung für den Hund organisiert werden muss, so Lucia Oeschger. Ein Hund kann nicht einfach in den nächstgelegenen Hundehort abgegeben werden. Wichtig ist zu überprüfen, ob er von Fachpersonen geführt wird und die notwendigen Bewilligungen vorhanden sind und ob die individuellen Bedürfnisse eines Hundes berücksichtigt werden können. Die Bedürfnisse des Hundes sollten im Vordergrund stehen. Nicht nur das Herrchen, sondern vor allem der Vierbeiner muss vom Angebot begeistert sein.

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Wenn sich der Hund in einem Hundehort mit Artgenossen nicht wohl fühlt, gibt es auch Angebote zum sogenannten Dogsharing. Von den Vorteilen dieses Konzeptes ist Lucia Oeschger in vielen Fällen überzeugt, verwendet dafür aber lieber die weniger technische Bezeichnung Tiergötti oder -gotti. Gleich zwei Bezugspersonen zu haben, kann für einen Hund eine gute Sache sein, und bei den Menschen würden auch zwei Parteien profitieren. Zudem werden so einige Hundefans, die nicht über die finanziellen oder zeitlichen Ressourcen verfügen, davon abgehalten, sich unüberlegt einen Hund anzuschaffen, können aber trotzdem eine Beziehung zu einem Vierbeiner aufbauen.

Probleme mit Importwelpen

Unüberlegt ist meist auch der Kauf von Welpen aus dubiosen Zuchten im Ausland. Die grosse Nachfrage an Hunden überstieg in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 das Angebot stark. Deshalb suchten viele zukünftige Hundebesitzer ihr vierbeiniges Glück nun ausserhalb der Schweiz. Gemäss der Hundedatenbank AMICUS wurden 2021 ganze 15 136 Welpen in die Schweiz importiert. Das ist ein Rekord und macht mehr als die Hälfte der neuregistrierten Hunde aus. Fragt man Lucia Oeschger, worin beim Welpenimport das Problem liegt, weiss sie kaum, wo beginnen. Zahlreiche Hunde stammen aus tierquälerischen Zuchten, wo die Muttertiere nur als Geburtsmaschinen missbraucht werden. Die jungen Hunde leiden nicht selten unter gesundheitlichen Problemen und werden illegal in die Schweiz eingeführt. Mit dem Erwerb eines solchen Welpen nimmt man in Kauf, dass seine Geschwister leiden mussten. Diese Züchter selektionieren nämlich strikte auf Schönheit und töten die weniger hübsch geratenen Neugeborenen unbarmherzig. Um diesem mafiös organisierten Hundehandel einen Riegel vorzuschieben, muss die Nachfrage stark sinken. Als Massnahme fordert der STS, dass keine Welpen mehr unter 15 Wochen in die Schweiz gelangen können. Sämtliche EU-Staaten haben die 15-Wochen-Regel bereits eingeführt oder sind aktuell an der Umsetzung. Oft werden die Welpen viel zu früh von ihrer Mutter getrennt, was ihr Immunsystem schwächt und sie traumatisiert.Neben gesundheitlichen Problemen leiden die Hunde dadurch auch an Verhaltensstörungen.

Mit dem Welpenimport aus dubiosen Zuchten hängt auch das Problem der fehlenden Tollwutimpfungen zusammen. Hunde ohne vollständigen Tollwutschutz können von den Behörden beschlagnahmt werden. Nicht nur im Ausland, auch in der Schweiz kommt es vor, dass Tiere nicht tiergerecht gehalten werden. Wenn schwerwiegende Verstösse gegen Vorgaben bezüglich Versorgung und Haltung der Tiere vorliegen und sich die Besitzer uneinsichtig zeigen, kommt es ebenfalls zu Beschlagnahmungen. 2021 landeten 370 Hunde und 247 Katzen, die amtlich beschlagnahmt wurden, in den Auffangstationen des STS. Dabei handelt es sich nur um einen Teil der gesamtschweizerischen Tierbeschlagnahmungen. Auch die Tatsache, dass relativ viele Haustiere ihren Haltern enteignet werden müssen, kann wohl teilweise dem coronabedingten Haustierboom zugeschrieben werden.

Viele Katzen im Tierheim

Katzen werden seit Corona nicht nur oft beschlagnahmt, es landen auch insgesamt viele Samtpfoten im Tierheim. 2019 wurden 8998 Katzen in einem Heim oder einer Auffangstation des STS abgegeben, und im Corona-Jahr 2020 waren es dann sogar 9448 Tiere.

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Während der Pandemie war der Kauf von Rassekatzen besonders im Trend. «Vor allem der Bestand der Bengalen, einer Kreuzung von Haus- mit Wildkatzen, ist regelrecht explodiert», sagt Lucia Oeschger. Auch hier sind die Halterinnen oft überfordert. Das Wildtierblut macht diese Katzen zu Energiebündeln, die das Mobiliar zerstören und auch aggressiv gegenüber anderen Katzen und sogar ihren Halterinnen werden können.

Unüberlegte Haustieranschaffungen während der Corona-Pandemie beschränken sich nicht auf Hunde und Katzen. Auch bei Nagern und Reptilien seien die Verkaufszahlen stark gestiegen, sagt Fachfrau Lucia Oeschger. Oftmals steckt die völlig falsche Annahme dahinter, ein solch kleines Tierchen sei unkompliziert zu halten. Traurig ist, dass diese Kleintiere in den Haushalten aus den Augen der Öffentlichkeit verschwinden und schlechte Haltungen kaum aufgedeckt werden können, so Oeschger. Bei der Anschaffung von Haustieren führt das Sprichwort «Probieren geht über Studieren» nie zu guten Situationen. Lucia Oeschger kann nur immer und immer wieder betonen: «Um Überforderungen und Enttäuschungen zu vermeiden ist, es wichtig, sich vor dem Tierkauf wirklich umfassend zu informieren und sich die Anschaffung mit sämtlichen Konsequenzen genauestens zu überlegen.»

 

Bevor man einen Hund anschafftWer einen Hund kaufen möchte, muss erst viele Dinge abklären und genau wissen, worauf er achten soll. Hier eine kleine Übersicht von nützlichen Infoseiten und Broschüren zum Thema:
STS-Broschüre «Augen auf beim Hundekauf»: hundekauf.ch/docs/broschuere.html
Häufig gestellte Fragen zum illegalen Welpenhandel:
vier-pfoten.ch unter «Kampagnen&Themen» beim Thema Heimtiere, Hunde
Was bei der Anschaffung eines Hundes zu bedenken ist:
zuerchertierschutz.ch unter «Tierhaltung» bei Hunden
Rechtliche Aspekte beim Hundekauf:
tierwelt.ch/rechte-und-pflichten-beim-kauf-eines-hundes