Es tuschelt, quietscht und raschelt aus allen Richtungen, und draussen tost der Stadtverkehr. Von einer ruhigen Atmosphäre kann bei der Morgenarbeit nicht die Rede sein. Jedenfalls nicht, wenn der Zirkus Knie sein Zelt auf dem Zürcher Sechseläutenplatz aufgeschlagen hat und eine Kindergartenklasse das Pferdetraining mitverfolgt. Davon lassen sich jedoch weder Ivan und sein Grossvater Fredy Knie noch die zwölf Araberhengste ablenken, die das Steigen und anschliessend das einzelne Verlassen der Manege üben.

Die einen reagieren unmittelbar auf die Befehle, andere lassen sich zweimal bitten, bevor sie den Worten von Ivan Knie folgen. Der junge Tierlehrer geht mit Feingefühl auf die Launen und Fähigkeiten seiner Schützlinge ein, verlangt aber ihre volle Aufmerksamkeit. Als alle Araberhengste die Übungen korrekt absolviert haben, ist für sie die morgendliche Trainingseinheit zu Ende. «Ich arbeite lieber in einigen 20-minütigen Intervallen mit den Pferden, als sie nur einmal über lange Dauer zu fordern. Dies entspricht dem Lernverhalten der Pferde», erklärt Fredy Knie.

Schon gewusst?Mit dem Zirkus Knie sind momentan 23 Pferde, zwölf Ponys und ein Grossesel auf Tour. Umsorgt werden diese von insgesamt elf Tierpflegerinnen. Der Tagesablauf der Hengste gestaltet sich sehr abwechslungsreich. Morgens werden sie gefüttert und geputzt, dann steht die Morgenarbeit an. Nach dem Training ist das Mittagessen bereit, und nachmittags geht es zur Entspannung auf die Weide. Um halb sieben beginnen die Vorbereitungen für die abendliche Vorstellung, und nach dem Auftritt geht es entweder zur Nachtruhe in die Box, oder der Transporter wartet, um die Pferde zum nächsten Gastort zu bringen. Die morgendlichen Trainingseinheiten sind jeweils öffentlich zugänglich. 
knie.ch/pferde-im-circus-knie

Nach der Freiarbeit ist für den golden schimmernden Andalusier Amando eine Trainingseinheit unter dem Sattel angesagt. «Amando ist wahrlich mein Goldstück, ich habe ihn vom gesamten Zirkusteam auf meinen siebzigsten Geburtstag geschenkt bekommen», sagt Fredy Knie mit glänzenden Augen. Heute hat sein Enkel Ivan Knie die Ehre, den Hengst unter den wachsamen Augen seines Lehrmeisters zu reiten. Auf dem Arbeitsplan stehen Schritt-Galopp-Übergänge, Cavaletti-Arbeit und Schulterherein. Also gymnastizierende Dressurarbeit, wie sie auch bei Reitpferden regelmässig auf dem Programm steht. Fredy Knie ist konsequent mit seinen Forderungen, lobt seine tierischen und menschlichen Schüler aber immer wieder ausgiebig. «In der Dressurarbeit ist es elementar, dass die Pferde genau verstehen, was von ihnen verlangt wird», so Knie.

Eine eindeutige und klare Sprache ist genauso wichtig, wie gelungene Lektionen unverzüglich zu loben, ist Fredy Knie überzeugt. Das Lob erfolgt mit der Stimme oder durch eine Streicheleinheit, nur beim Einüben von neuen Lektionen gibt es auch manchmal ein Leckerli. Im Zirkus Knie erlernt jedes Pferd zunächst einmal das sogenannte ABC. An der Longe, einer langen Führleine, wird eingeübt, auf Kommando im Schritt, Trab und Galopp zu gehen. Zur Basisarbeit gehören auch das Anhalten, Rückwärtstreten und, dem Tierlehrer auf Apell entgegen- oder hinterherzulaufen. Auf dieser Grundausbildung aufbauend werden anspruchsvollere Dressurlektionen wie etwa das Steigen erlernt.

Eine faire Haltung

Dressurlektionen der sogenannt Hohen Schule erlernen im Zirkus Knie Friesen, Andalusier, Araber sowie portugiesische Pferde – alles Showpferde. «Diese Pferde präsentieren rein schon von ihrem Äusseren her etwas und sind auch für ein Laienpublikum in ihrer Erscheinung sehr ansprechend», erklärt Fredy Knie seine Pferdewahl. Die filigranen Araber eignen sich optimal für die Arbeit in der Manege, weil sie kompakt und wendig sind. Von Züchtern ihres Vertrauens werden potenzielle Zirkuspferde vorselektioniert und dann den Knies präsentiert. Diese wählen die neuen Mitglieder des Pferdeteams nach ästhetischen und charakteristischen Kriterien aus. Vorwiegend setzt der Pferdekenner Fredy Knie auf Hengste. Denn diese wissen sich dank ihres angeborenen Imponiergehabes stets von ihrer schönsten Seite zu zeigen.

Man müsse aber schon mit den Herren umzugehen wissen, damit sie kooperierten, ansonsten könne es mit so vielen Kraftpaketen auf einem Haufen gefährlich werden, ist sich Fredy Knie bewusst. Knie, der das Pferdevirus von seinem Vater Fredy Knie senior geerbt hat, vertritt diesbezüglich eine klare Meinung: «Hilfsmittel dürfen nie zur Tortur eingesetzt werden, und Gewalt gegenüber den Tieren ist vollkommen inakzeptabel.» Man muss Grenzen setzen, und die Hengste müssen einen gesunden Respekt vor ihren Trainern und Pflegern haben, brutale Erziehungsmethoden sind aber tabu.

«Eine korrekte Ausführung und der schrittweise Aufbau der Lektionen sind wichtig.»

Nicht nur im Umgang, auch in der Haltung legt der Schweizer Nationalzirkus grossen Wert auf das Tierwohl. Bei einem Streifzug durch die Stallungen zeigt sich: Die Boxen sind sauber, grosszügig und luftig konzipiert, alle Pferde haben direkten Zugang zu einem Auslauf. Damit nicht genug. An jedem Standort, auch mitten in der Stadt Zürich, wird dafür gesorgt, dass die Pferde einmal täglich auf einer Weide nach Herzenslust toben, Gras fressen und sich wälzen können. Dafür werden sie wenn nötig verladen und zu angemieteten Weiden ausserhalb der Stadt gefahren.

Den Pferden scheint es beim Zirkus Knie gut zugehen. Dennoch verlangen bestimmte Gruppierungen ein komplettes Verbot von Tieren im Zirkus. Diese Forderung kann Fredy Knie nicht nachvollziehen. Sein Anspruch ist es, der breiten Bevölkerung und vor allem auch den Kindern einen Zugang zu Tieren eröffnen zu können. «Wir wollen den Leuten die Schönheit der Pferde näherbringen und zeigen, wie ein respektvoller Umgang mit ihnen aussieht. Wir möchten die Früchte unserer harten, aber fairen Arbeit mit dem Partner Pferd der Öffentlichkeit zugänglich machen und legen dabei grossen Wert auf artgerechte Haltungs- und Trainingsansätze», sagt der Pferdekenner.

Freizeitpferde in der Showreitschule

Auch wenn sich ihre Herangehensweise etwas von der Ausbildung im Zirkus unterscheidet, auch Rabea Schmale findet das Einüben von zirzensischen Lektionen keine Tortur, sondern durchaus sinnvoll. Schmale betreibt in Minden (D) eine etablierte Showreitschule, in der sie sowohl Pferde als auch Menschen in der Ausführung von zirzensischen Aufgaben ausbildet. Übungen wie der Spanische Schritt, sich hinzulegen oder gar zu steigen dienen der Fitness und Gymnastik der Pferde, ist sie überzeugt. Sie bieten aber auch Abwechslung zum Reiten und ermöglichen für Pferd und Mensch schöne gemeinsame Erlebnisse. «Es ist für beide Individuen ein grossartiges Gefühl, Schritt für Schritt etwas zusammen zu erarbeiten und dann in Vollendung ausführen zu können», erklärt Rabea Schmale. Der Pferdetrainerin ist eine anatomisch korrekte Ausführung und der schrittweise Aufbau der Lektionen wichtig, nur so haben sie eine positive Wirkung auf die Konstitution des Pferdes.

Erst gelte es eine Menge Vorübungen zu absolvieren, einerseits zur körperlichen Vorbereitung des Pferdes für diese Dressurlektionen, anderseits, um die Kommunikation zwischen Pferd und Mensch zu verfeinern und den Gehorsam zu überprüfen. Wichtig sei auch, den Blick der Menschen darin zu schulen, wie eine korrekt ausgeführte Übung genau auszusehen hat. Am Anfang der Ausbildungsskala stehen für die Showreiterin Übungen, die nach unten gehen, wie das Kompliment oder sich hinlegen. Grundsätzlich müssten sämtliche Lektionen erst an der Hand ausgeführt sicher abrufbar sein, bevor man sie unter dem Sattel einüben könne.

[IMG 2]

Bei Rabea Schmale gehen nicht nur imposante Friesen oder Andalusier in die Ausbildung. Die Showreittrainerin ist sich sicher: «Lektionen der hohen Dressur können vom Haflinger über den Tinker bis zum Shetlandpony eigentlich alle Pferdetypen erlernen.» Einige Voraussetzungen müssen allerdings erfüllt sein. Das Pferd muss seine körperliche Entwicklung weit-gehend abgeschlossen haben, also mindestens drei-jährig sein, bevor mit einer solchen Ausbildung begonnen wird. Ins Training nimmt Rabea Schmale ausschliesslich gesunde Tiere mit keinerlei körperlichen Einschränkungen. Und natürlich ist es wichtig, jeweils auf die Voraussetzungen einzugehen, die ein Pferd oder Pony mitbringt. Lektionen zu verlangen, die ein Pferd beispielsweise aufgrund seines Körperbaus oder des Ausbildungsstandes nicht ausführen könne, sei unfair.

Es sind nicht nur die Pferde aus dem Freizeitreiterbereich, die bei Rabea Schmale in Ausbildung gehen, auch bei den pferdebegeisterten Schülerinnen handelt es sich ausschliesslich um Personen, die hobbymässig mit dem Pferd arbeiten. Kann es nicht zu gefährlichen Situationen kommen, etwa wenn einem Pferd das Steigen beigebracht wird und es dann in ganz unerwünschten Situationen diese Lektion umsetzt? «Das Bewusstsein für den Umgang mit Dominanz und die Bemühung, mit dem Pferd zu kommunizieren, muss vorhanden sein», sagt Schmale klar. Weder den Pferden noch sich selber dürfe man etwas vorspielen. Klarheit im Umgang mit den Vierbeinern laute für sie die Devise, genau wie für Fredy Knie, und keinesfalls dürfe eine Vermenschlichung stattfinden. Seien diese Voraussetzungen gegeben, sehe sie kaum Gefahren beim Einüben von Zirkuslektionen.

[IMG 3]

«Ich fände es toll, wenn Zirkusse ihr Wissen weitervermitteln würden und Unterricht im Einüben von Dressurlektionen anböten», sagt Rabea Schmale. Fredy Knie junior scheint die Leiterin der Showreitschule bereits erhört zu haben, er bietet private Reitstunden an und ermöglicht an den Veranstaltungen «Rund ums Pferd» jeweils in den Wintermonaten einen Blick hinter die Kulissen der Pferdedressur. So wird Interessierten der Zugang zur Zirkuswelt eröffnet und der Anreiz, mit seinem eigenen Pferd auf seriöse Weise etwas Neues auszuprobieren, gegeben. Eine Initiative, von der die Pferdeleute im und ausserhalb vom Zirkus nur profitieren können.

Showreitschule Rabea SchmaleIn Minden (D) bietet Rabea Schmale die Ausbildung von Jungpferden, eine klassische Dressurausbildung und auch das Training von Showpferden aller Rassen an. Wer selber zur Pferdetrainerin werden möchte, kann in der Showreitschule einen entsprechenden Lehrgang absolvieren. Die Ausbildung in Schmales Showreitschule ist reitweisenunabhängig und wird typgerecht an die Voraussetzungen jedes einzelnen Pferdes angepasst. Die Heranführung an die verschiedenen gymnastischen zirzensischen Lektionen wird an einzelnen Kurstagen angeboten. 
showreitschule.de