Was ist die wichtigste Aufgabe von Zoos, Herr Bijleveld?

Für mich ist der Artenschutz zentral, wobei ich das Wort Arterhaltung bevorzuge. Wenn Arten am Rand des Aussterbens sind, muss jemand reagieren, aber nicht erst dann, wenn es nur noch 50 Exemplare gibt.

Viel effizienter wäre doch Artenschutz vor Ort.

Das machen sehr viele unserer Mitglieder. Neben eigenen Projekten unterstützten Zoos beispielsweise in Indonesien mit der Prigen Conservation Breeding Ark verschiedene Zuchtanlagen für bedrohte Vögel, Säugetiere, Amphibien, Reptilien und Fische. Die Tiere werden in ihrem Lebensraum unter menschlicher Obhut gezüchtet. Weiter schützen Zoos ganze Lebensräume, ob in Mittel- und Südamerika, Afrika oder Asien, sodass seltene Arten in der Natur überleben.

Zur PersonDer Biologe Caspar Bijleveld ist seit 2001 Direktor des Papiliorama in Kerzers (FR). Der 53-Jährige ist Präsident von Zooschweiz, dem Dachverband wissenschaftlich geleiteter Zoos der Schweiz.

Was zeichnet Zoos besonders aus, Artenschutz zu betreiben?

Zoos haben ein grosses Know-how in der Haltung, Ernährung und Zucht von Tierarten, das sich in den letzten 50 Jahren kumuliert hat. Wenn eine Tierart bedroht ist, kann sie durch Zoos erhalten werden. Müsste man sich dieses Wissen erst erarbeiten, wäre es zu spät. Europäische Zoos unterhalten 1400 Zuchtprogramme für bedrohte Arten und sammeln alle Informationen zu den entsprechenden Tieren. In Zoos leben Notpopulationen vieler vom Aussterben bedrohter Tiere. Damit kann die Genetik in Balance gehalten werden. Erfolgt ein politischer Entscheid zur Rettung einer Art, sind die Zoos bereit.

Hat es denn schon solche Entscheide gegeben?

Ein gutes Beispiel ist der Bartgeier, der wieder in den Schweizer Alpen etabliert wurde, auch dank Nachzuchten aus Zoos. Vom Kondor in den USA gab es einst noch 27 Tiere. Heute gibt es dank der Zucht in Zoos wieder um die 560, davon leben um die 330 in der Natur. Die Art ist bei Weitem nicht gerettet, aber es sieht besser aus. Ein Negativbeispiel ist der Vaquita, der Kalifornische Schweinswal. Als Zoos in den USA eine Zoopopulation aufbauen wollten, wurde es nicht erlaubt. Heute ist der Kalifornische Schweinswal mit nur noch 10 bis 13 Individuen in der Natur fast ausgestorben.

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Kommen Besucher in erster Linie in den Zoo, um bedrohte Arten zu sehen?

Nein, aber die Leute werden im Zoo mit der Biodiversität konfrontiert. Sie möchten Arten sehen, beispielsweise eine Schlange. Ob sie bedroht ist, spielt keine Rolle. Aber der Zoo informiert über bedrohte Verwandte und sensibilisiert für entsprechende Schutzmassnahmen. Zoos sind Bindeglieder zwischen der Natur und dem Homo sapiens. Zur Aufgabe der Zoos gehört der Naturschutz. Lediglich Tiere zu zeigen, wäre im 21. Jahrhundert zu wenig. Alle Zoos weltweit sind denn heute auch die drittgrössten Unterstützer der Natur durch ihre Naturschutzprojekte vor Ort. Aber Zoos haben natürlich auch noch andere Aufgaben.

Welche sind das?

Bildung, Erholung und Forschung. Das Papiliorama besuchen beispielsweise 20 000 Schülerinnen und Schüler jährlich im Rahmen von Schulunterricht. Zudem wollen sich die Leute im Zoo erholen. Sie kommen, weil es schön ist, weil sie in eine fremde Welt eintauchen können und weil es etwas zu erleben gibt. Weiter betreiben Zoos Forschungsprogramme in Zusammenarbeit mit Universitäten bezüglich Veterinärmedizin, Ethologie, Naturschutz. Die Mitglieder von Zooschweiz unterhalten ein Kompetenzzentrum für Wildtierhaltung. Dabei unterstützen sie Behörden mit Expertisen. Ich vertrete Zooschweiz auch beim Schweizerischen Tourismusverband, denn Zoos als meistbesuchte Institutionen sind auch bedeutende Tourismusakteure.

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Gibt es Druck von der Politik oder der Gesellschaft auf Zoos?

Eher wenig und wenn, dann in Wellen. Das Wunderschöne der Schweiz ist, dass wir alle an einem Tisch sitzen, reden und pragmatische Lösungen finden. Extreme gibt es, Druck derzeit nicht. Zoos arbeiten mit Facts, sie sind der Wissenschaft verpflichtet. Das wird allgemein geschätzt, besonders auch von den Behörden. Zudem sind sie sehr transparent.

Unter dem Dach von Zooschweiz sind unterschiedliche Betriebe vereint. Gibt es eine gemeinsame Strategie?

Ja, alle arbeiten gut zusammen und halten sich an die Bestimmungen der EAZA, des europäischen Zooverbands. Die EAZA funktionierte bereits, bevor es die EU gab. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist gerade auch im Rahmen der europäischen Erhaltungszuchtprogramme (EEP) wichtig. Bedrohte Arten werden vermehrt und teilweise wieder ausgewildert.

Sind Zoll- und Artenschutzbestimmungen bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit punkto Tieraustausch hinderlich?

Nein, das gehört zur Routine. Zudem lernt man voneinander. Nur mit England ist es derzeit schwierig.

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Zoo ist kein geschützter Begriff. Was sagen Sie zu Kleinzoos?

Alle kleinen Parks dürfen existieren. Es ist nicht unsere Rolle zu sagen, ob andere gut sind. Das obliegt den Behörden.

Welche Bedingungen müssen Mitglieder von Zooschweiz erfüllen?

Wir übernehmen die EAZA-Regeln, die demokratisch erarbeitet wurden. Artenschutz, Bildung, Erholung und Forschung gelten für alle EAZA-Zoos als Standard. Auch kleine Institutionen können mitmachen. Eine Bedingung ist, dass die Leitung des Zoos durch einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin erfolgen muss.

Arbeiten Schweizer Zoos auch mit privaten Züchtern zusammen, beispielsweise mit Züchtern von Fischen, Reptilien oder Vögel?

Da gibt es klare Regeln. Wenn die Zusammenarbeit im Rahmen von Zuchtprogrammen geschieht und die Tiere in der Zoodatenbank geführt werden, dann ja. Private haben oft ein enormes Wissen. Neu gibt es auch das Projekt Citizen Conservation, das Private bei der Zucht bedrohter Arten einbezieht.

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Wie sehen Sie die Zukunft von Zoos?

Der Drang der Leute, Begegnungen mit Tieren zu haben, wird immer grösser, besonders in einer immer virtueller werdenden Welt. Nichts ersetzt den direkten Kontakt mit dem Tier, selbst mit der Vogelspinne im Terrarium. Zudem wird das Wissen um Tiere immer wichtiger. Wegen des katastrophalen Absturzes der Biodiversität auf unserem Planeten wird sich die Sicht der Gesellschaft komplett ändern. Zoos werden unersetzlich.

Mitglieder von Zooschweiz- Basel, Zoologischer Garten
- Bern, Tierpark
- Goldau SZ, Natur- und Tierpark
- Gossau SG, Walter Zoo
- Kerzers FR, Papiliorama
- Langenberg ZH, Wildnispark Zürich
- Lausanne VD, Aquatis
- Le Vaud VD, La Garenne
- Rapperswil SG, Knies Kinderzoo
- Zürich, Zoo