Die zehn naturfarbenen Skalare ziehen durch die hellgrüne Pflanzenwelt eines grossen Aquariums. Alle sehen gleich aus. Fast. Dr. Michel Bula späht aufmerksam in die Wasserwelt, zeigt plötzlich auf einen Fisch und sagt: «Dieser hier hatte eine tiefe seitliche Verletzung, die nicht mehr verheilte.» Sie sei auf dem Transport entstanden.

Normalerweise bedeutet dies den Tod für einen Fisch. Die Wunde verpilzt, er magert ab und stirbt. Nicht so in der Filiale der Zoohandelskette Petfriends in Muri bei Bern. Der südamerikanische Fisch wurde von den dort angestellten Tierpflegern Simon Wüthrich und Steven Gugler nach Anweisung des Tierarztes Michel Bula behandelt – auf einem nassen Tuch, mit einer Salbe aus der Katzen-Zahnmedizin. Der Veterinär erklärt: «Für Fische gibt es kaum Medikamente, darum widme ich sie um.» Das heisst: Er rechnet die Dosierung von Medikamenten aus der Human- oder Veterinärmedizin auf Fische um. Mit Erfolg. Der Skalar schwimmt in seinem Trupp, als wäre nichts gewesen. Ein Irrglaube, bei Fischen könne nichts gemacht werden.

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Der Tierarzt Dr. Michel Bula aus Stettfurt (TG) behandelt ausschliesslich Fische. Er betreibt zusammen mit seinem Geschäftspartner Dr. Ralph Knüsel seit mehr als zehn Jahren die Fishdoc GmbH. Er sagt über seine Einsatzgebiete: «Wir arbeiten hauptsächlich mit Kois und in Speisefischbetrieben.» Die Aquaristik sei eine Nische, die aber stetig wachse. Aquarienfische sind mit rund drei Millionen gehaltenen Tieren die beliebtesten Heimtiere in der Schweiz.

Bei der Fischmedizin handelt es sich um eine komplexe Thematik. «Sie lässt sich nicht mit der restlichen Veterinärmedizin vergleichen», sagt der Fischexperte Bula. Es gebe über 34 000 Fischarten, davon würden in durchschnittlichen Schweizer Heimaquarien um die 100 Arten gehalten. «Es gibt grosse Unterschiede, Bedürfnisse und Anatomie betreffend. Manche sind etwa vom Verdauungssystem her unterschiedlicher als Hund und Katze.»

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Dr. Bula kontrolliert zusammen mit seiner Kollegin Dr. Stefania Vannetti regelmässig den Fischbestand der Zoohandlung Petfriends in Muri bei Bern. Dazu gehört auch die Überprüfung der Medikamente, die durch Mitarbeiter bei Bedarf eingesetzt werden. Der Veterinär kommentiert: «Die Medikation von Fischen durch das Personal ist hier möglich, weil Simon Wüthrich und Steven Gugler beide Tierpfleger sind und über ein grosses Wissen verfügen.» Die beiden Tierärzte nehmen jetzt die Fische in den 70 Aquarien kritisch unter die Lupe.

Hauptproblem Ektoparasiten

Die Aquaristikabteilung bei Petfriends in Muri bei Bern sei bedeutend, sagt die junge Tierärztin Stefania Vannetti. Vor ihren Augen schweben Marmorfadenfische, Rotstrichalgenfresser, Schwielenwelse und Phantomsalmer durch eine harmonische Pflanzenwelt. Michel Bula begutachtet derweil Zwergschmerlen, Keilfleckbarben und Gelbe Kongosalmler. «Hier, bei den Schwertträgern haben wir Probleme», sagt Steven Gugler, der Verantwortliche für die Aquaristik vor den Aquarien mit den lebendgebärenden Fischen.

Zwei abgemagerte Schwertträger-Männchen werden herausgefangen und mittels einer Lösung eingeschläfert. Michel Bula kommentiert: «Wir hätten sie sowieso euthanasiert, die Krankheit ist zu weit fortgeschritten.» Wenig später nimmt seine Kollegin an den toten Fischen Hautabstriche vor und untersucht sie unter dem Mikroskop. Bei der Suche des Problems führen erst die Kiemenabstriche zum Ziel. «Kiemen-würmer», murmelt die Fischveterinärin. Unter der hundertfachen Vergrösserung winden sich winzige Organismen. Michel Bula erklärt: «Oft beginnen die Krankheitsprobleme bei Fischen mit Ektoparasiten, also Parasiten auf der Haut und auf den Kiemen.» Die sichtbaren Symptome wie Abmagern und Flossenklemmen sind oft Anzeichen von Sekundärinfektionen. Aufgrund der Befunde werden die anderen Schwertträger über das Wasser medikamentös behandelt. Dank der Untersuchung können sie gerettet werden. «Es ist davon auszugehen, dass sie auch infiziert sind», sagt Michel Bula.

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Alle anderen Fische in den zahlreichen Aquarien sind in Form, dies nicht zuletzt auch, da jedes Becken einzeln gefiltert wird, also kein blockweiser Wasserkreislauf besteht. «Dies ist für das Personal viel aufwendiger, doch für die Fischgesundheit entscheidend», konstatiert der veterinärmedizinische Fischspezialist. Er lobt weiter: «In allen Aquarien wachsen ganz verschiedene Wasserpflanzenarten inmitten von Wurzeln und Steinen. Durch die naturnahe Gestaltung haben die Fische weniger Stress.»

Michel Bula ist seit Kindheit selbst Aquarianer und betreibt heute ein Südamerika- und ein Asienbecken. Der Fischexperte hat sich wie seine Praxiskolleginnen und -kollegen nach dem veterinärmedizinischen Studium am Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit in Bern im Rahmen seiner Dissertation auf Fische spezialisiert.

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Auf zum Koi-Check

Werden Tiere normalerweise zum Veterinär gebracht, besucht er seine Patienten alle vor Ort, also am Teich, beim Aquarium oder auf der Fischzuchtanlage. Während Kois oft Namen haben und 20 Jahre alt werden können, geht es in kommerziellen Speisefischzuchten um bakterielle, virale oder parasitäre Erkrankungen. «Der Einsatz von Medikamenten ist da sehr eingeschränkt, da die Lebensmittelsicherheit eine grosse Rolle spielt», erklärt der Tierarzt.

Auch für Kois gibt es nur wenige Medikamente. «Ich verwende öfters solche aus der Hunde- und Katzenmedizin», sagt der Fischtierarzt, der Kois unter der Narkose auch ausserhalb des Wassers behandelt, beispielsweise bei Verletzungen, oder notfallmässig, wenn einem eine Erdkröte im Hals steckengeblieben ist. «Für Koihalter ist der Frühlings- und Herbst-Check genauso Routine wie bei Katzen- oder Hundehaltern der alljährliche Termin zu Impfungen und Kontrollen.»

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Fische nehmen Schmerzen wahr. «Wie genau, ist bis heute nicht restlos geklärt. In der täglichen Arbeit stellen wir immer wieder fest, dass es deutlich anders sein muss als bei uns Menschen», sagt Michel Bula, dessen Anliegen es ist, Fischleid zu verhindern. Die präventive Arbeitsweise bei den Kois bewähre sich. «In der privaten Aquaristik hat sich dies noch nicht durchgesetzt», sagt Dr. Bula.

Dass die Zoohandlung Petfriends regelmässige Bestandeskontrollen durch den Fischveterinär durchführen lässt, wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Fische aus. Dr. Bula streicht weitere Aspekte heraus: «Die Aquarien hier sind nicht überbesetzt, die Wasserqualität stimmt.» Er hat eben den Sauerstoffgehalt, den pH-Wert und die Nitrit- und Ammoniumwerte in verschiedenen Becken geprüft.

«Ein Überbestand an Fischen führt bei vielen privaten Aquarien zu Problemen», sagt der Fischtierarzt. Das Wasser sei viel mehr belastet, das Risiko, dass Krankheiten ausbrechen, steigt. Dr. Bula rät, Fische immer beim gleichen Händler zu kaufen. Vor ihm schweben die tropischen Süsswasserfische in ihren Becken durch das 25 °C warme Wasser. Eine Wunderwelt hinter Glas. Die Startbedingungen der Fische sind in den Händlerbecken bei Petfriends optimal. Sie stehen unter veterinärmedizinischer Kontrolle. Jetzt haben auch Kiemenwürmer keine Chance mehr.

fishdoc.ch

Wie wird man Tierarzt für Fische?- Grundausbildung: Studium der Veterinärmedizin (5,5 Jahre)
- Spezialisierung auf Fische: Schweiz: Doktorarbeit, praktische Erfahrung. Europa: Neu gibt es ein Spezialisierungsprogramm     (European College of Aquatic Animal Health ECAAH)
- Voraussetzungen: Zulassung zum Studium bedingen die Matura und das Bestehen des Numerus Clausus
- Einsatzgebiete: Ganze Schweiz