Leckerli statt Schelte
Hundeerziehung ohne Strafe
Gewaltfrei lautet heutzutage das Credo vieler Hundeschulen. Doch funktioniert die Hundeerziehung ganz ohne Strafe? Wie Hunde lernen und welche Methoden am vielversprechendsten sind.
Erziehung beinhaltet, dass man einen Zögling – Kind oder Hund – nicht einfach frei gewähren lässt. Dafür stellen wir Regeln auf und setzen Grenzen. Die Regeln soll der Hund zuerst kennenlernen, dann einhalten und dabei auch eine gewisse Frustration aushalten können. Das geht auf faire Art und Weise, ohne Gewalt – aber nicht ohne Zwang.
Man kann Zwang nun als eine Form von Strafe bezeichnen, wenn dem Hund mit der Leine eine räumliche Grenze gesetzt und ihm dabei eine Handlung verweigert wird, die aus Sicht des Menschen unerwünscht ist. Der Hund lernt dabei, dass er so nicht zum Ziel kommt. Dieser Lernprozess besteht darin, dass sich aufgrund äusserer oder innerer Reize das Gehirn und damit der Organismus durch neurobiologische Verknüpfungen an eine neue Situation anpasst. Gezieltes Lernen soll auf angemessene Weise erfolgen. Dazu braucht es Sicherheit und Vertrauen, ein ruhiges Umfeld sowie ein schrittweises Vorgehen.
Die Lerntheorie Positive Verstärkung: Der Hund erhält bei Aussenreiz (Pfeife, Clicker) eine Belohnung (klassische Konditionierung); der Hund wird für bestimmtes Verhalten belohnt (operante Konditionierung); der Hund erkennt, dass er mit einem bestimmten Reiz eine Belohnung auslösen kann (instrumentelle Konditionierung). > Bei diesen Varianten entstehen gute Gefühle. Sicherheit und Vertrauen werden gestärkt.
Negative Verstärkung: Ein unangenehmer Reiz wird bei einem bestimmten Verhalten entfernt. Beispiel: Der bellende Hund ist an straffer Leine, wenn er ruhig sitzt, wird die Leine gelockert. > Der Lernzweck wird erreicht, aber über negative Gefühle. Positive Strafe: Das Verhalten des Hundes wird mit einem unangenehmen Reiz korrigiert (Leinenruck, Wurfgegenstand, Anschreien). Negative Strafe: Dem Hund wird etwas, was er gerne möchte, weggenommen oder vorenthalten. Beispiel: Ich hindere ihn daran, nach etwas zu graben, oder nehme ihm einen Gegenstand weg. > Der Zweck wird erreicht, wobei beim Hund Frustration entsteht. |
Für das Lernen gibt es im Hundeleben verschiedene Prozesse und Formen: Sozialisierung, Habituation (Gewöhnung an Reiz), Sensitivierung (zunehmende Reaktion auf Reiz), Extinktion (Löschung) und das räumliche Lernen. Hinzu kommt das Lernen im Spiel, Lernen über Beobachten durch Nachahmung, das Assoziationslernen (Arten der Verknüpfung wie klassische oder instrumentelle Konditionierung) und noch viel mehr (siehe Box).
Die Tücken der Strafe
Lernformen lassen sich selten auseinanderhalten. In der Hundeerziehung wird das Lernen durch Verknüpfungen von Reizen, die Konditionierung, am meisten benutzt, wenn der Mensch dem Hund ein Verhalten lernen oder eben abtrainieren möchte. Am wirkungsvollsten lernt der Hund durch gute Erfahrungen.
Lernen über physisches oder psychisches Strafen kann durchaus funktionieren, hat jedoch seine Konsequenzen und ist mit Gefahren verbunden. Denn Strafen ist eine komplexe Angelegenheit und eigentlich nur unter laborähnlichen Bedingungen richtig durchführbar. Die Chance ist sehr gross, dass man mit einer Strafe – laut Definition eine Sanktion für ein unerwünschtes Verhalten in der Hoffnung, dass dieses danach nicht mehr gezeigt wird – mehr Schaden anrichtet, als Nutzen gewinnt. Um dabei überhaupt einen Lerneffekt zu erreichen, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt werden:
> Eine Strafe muss zeitlich präzis (innerhalb einer Sekunde) nach Ausführung des Verhaltens erfolgen.
> Eine Strafe muss genügend hart sein, damit der Hund das Verhalten auch tatsächlich einstellt. Tut er dies nicht, muss sie verschärft werden, bis sie wirkt.
> Eine Strafe wirkt nur optimal, wenn sie beim erstmaligen Ausführen des unerwünschten Verhaltens erfolgt. Konnte der Hund das Verhalten schon mehrmals ohne Konsequenzen «einüben», so bedeutet die plötzliche Strafe erst mal eine Verunsicherung.
> Jedes weitere unerwünschte Verhalten muss jedes Mal konsequent bestraft werden, bis es der Hund nicht mehr zeigt. Darf er es zwischendurch ungestraft zeigen, so kann dieses sogar bestärkt werden.
> Der Hund darf keine Möglichkeit haben, sich der Strafe zu entziehen.
> Der Strafe darf unmittelbar keine Belohnung folgen, weil sie die strafende Wirkung aufhebt oder gar zu einer positiven Verknüpfung («Rückwärtskette») führt.
Oft beobachtet man Hundehalter, die ihren Hund wiederholt für dasselbe Verhalten bestrafen. Folglich nützt die Strafe in diesen Fällen nichts. Um eine Wirkung zu erzielen, müsste die Strafe immer stärker ausfallen. Dasselbe gilt, wenn der Hund in einer bestimmten Situation für ein Verhalten bestraft wurde, die erlernte Erfahrung nicht in eine andere Situation übertragen kann. Springt der Hund zum Beispiel bei der Begegnung mit einem hellen Labrador bellend in die Leine und wird mittels kräftigem Leinenruck zur Ruhe gebracht, pariert er vielleicht beim selben Hund das nächstes Mal. Beim schwarzen Pudel geht er aber wieder in die Leine.
Erziehung braucht keine Gewalt
Nebst dem Leinenruck – heute Leinenkorrektur oder -impuls benannt – gibt es das Klemmen und Zwicken, womit zur Disziplinierung der Biss imitiert werden soll. Bei Welpen und Junghunden herrscht da und dort noch die irrige Meinung, man müsse ihn auf den Rücken wenden, um ihm den «wahren Chef» zu zeigen. Schnauzengriff, Ohrenziehen, «sanfte» Fusskicks, Anrempeln gehören zu solchen aversiven Mitteln wie das Auf-die-Pfoten-Stehen, um den Junghund bei der Begrüssung am Raufspringen zu hindern. «Aversive Mittel» bedeuten Abneigung erzeugende Reize, die unangenehm, schmerzhaft oder verängstigend wirken und beim Hund eine Vermeidungsreaktion, ein sogenanntes Meideverhalten hervorrufen.
Gewalt in der Erziehung ist ein schlechter Ratgeber. So sieht es auch das Schweizer Tierschutzgesetz, Artikel 4.2.: «Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten.» Was sich so unmissverständlich anhört, wird im Alltag zur Interpretationssache des Einzelnen. Stachel-, Würge-, Elektroschock-Halsbänder, Schläge, Tritte sind tierschutzwidrig und darum in der Erziehung indiskutabel. Um ein unerwünschtes Verhalten abzustellen, gelangen oft Hilfsmittel oder Methoden zur Anwendung wie Anzischen, Wasserspritze, Sprüh- und andere Spezialhalsbänder (Illusion Collar, siehe Bild), das Werfen von Gegenständen wie Ketten, Discs oder Blechdosen. Für die Stiftung Tier im Recht sind diese laut Vanessa Gerritsen, stellvertretende Geschäftsleiterin, tierschutzrelevant und würden je nach Intensität einen Tatbestand darstellen.
Auch psychische Gewalt wie etwa Wegsperren, Ignorieren über längere Zeit, Bedrohen, Erschrecken oder den Hund absichtlich in eine für ihn bedrohliche Lage führen, gehören nicht in die Hundeerziehung und stellen wie das Nichterfüllen von Grundbedürfnissen eine Form von Gewalt dar.
Hundehalter sollten sich über Funktion und Konsequenzen des gewaltsamen Strafens bewusst sein, bevor sie damit beginnen. Aus der Sicht des Hundes ist es etwas Unangenehmes. Und es lauern die Gefahren unmittelbarer Konsequenzen, denn der Hund lernt immer im Kontext und kann im Augenblick der Strafeinwirkung rund um sich herum alles, was er wahrnimmt, mit der Strafe negativ verknüpfen. Bellt der Hund beispielsweise ein Kind an, das auf dem Dreirad neben der Mutter entgegenfährt und wird er durch einen Leinenruck zurückgerissen, verknüpft er den Schmerz mit dem Kind, vielleicht mit dem Ballon, der am Dreirad befestigt ist, oder mit dem Dreirad, mit dem Parfum der Mutter, die danebensteht, oder mit der Wespe, die im selben Moment vor seinem Kopf kreist.
Erlernte Hilflosigkeit
Durch Gewaltinterventionen entstehen negative Emotionen, Verunsicherung und Angst. Der Hund wird seinen Menschen, den wichtigsten Sozialpartner, der beim Strafen stets anwesend ist, in die negativen Gefühle miteinbeziehen. Damit gehen Vertrauen und Sicherheit verloren. Viele Hunde, die ständig bestraft werden, bauen Aggressionspotenzial auf, das sich irgendwann und je nach Situation wie eine Zeitbombe entlädt. Andere Hunde stellen ihr Verhalten irgendwann ein, damit sie nicht mehr Gefahr laufen, bestraft zu werden. Solche Hunde sind verängstigt, trauen sich nicht mehr eigenständig zu handeln, wirken «abgelöscht». In den Augen der Gesellschaft erscheinen sie als «schön brav». Doch sie agieren nur noch auf Befehl. Sie sind in der «erlernten Hilflosigkeit».
Entgegen der vielfachen Behauptung gibt es weder bestimmte Rassen noch Hunde mit Verhaltensproblemen, die eine härtere Hand oder ein gewaltsames Durchgreifen erfordern würden. Darauf weist Verhaltensspezialist James O’Heare wiederholt in seinen Büchern über Themen wie Aggressionsverhalten, Neuropsychologie, Ängste und Phobien. Wer sich nicht mit einer Schnelllösung die erwähnten Gefahren einhandeln will, lässt die Finger von aversiven Mitteln, sucht nach Ursachen, dann nach guten Lösungen und nimmt sich die notwendige Zeit.
Aufgrund der Forschungsarbeit im Verhaltensbereich (Ethologie, Neurobiologie, Neuroendokrinologie) weiss man heute, dass Erziehung über positive Verstärkung nachhaltig ist, währenddem positive Strafe sowie negative Verstärkung zwar kurzfristig funktionieren, mittel- und langfristig aber problematisch sein können. Wiederkehrende Strafeinwirkungen führen zu Dauerstress und schädigen die Gesundheit. So haben auch Studien über Beissvorfälle einen Zusammenhang zwischen Aggressionsverhalten (Beissvorfälle) und strafbasiertem Training festgestellt.
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