Schweizer Hunde
Auf den Spuren des Ratier du Jura
Ganz selten taucht die Bezeichnung Ratier du Jura in Inseraten oder Gesprächen auf. Wer aber Informationen zu diesem Hund sucht, findet keine Angaben. Eine Spurensuche im Kanton Jura.
«Ratier-du-Jura-Welpen», stand in einem Kleininserat der «TierWelt». Ratier du Jura? Das Blättern in einem Hundelexikon ist vergebliche Mühe. Auch Online-Hundelexika führen diesen Namen nicht, weder französische noch solche in Deutsch. Darum: Rasch die Bezeichnung bei Google eingeben. Da fällt zwar ein erhoffter Wikipedia-Eintrag ins Auge, doch führt er auf die falsche Fährte. Unter dem Namen erscheint der Jura-Laufhund, im Französischen «Bruno du Jura» genannt, eine Varietät des Schweizer Laufhundes. Es gibt keine Bilder, keine Einträge, nichts zum Ratier du Jura.
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Auch die telefonische Suche ist nicht einfach. Die Anbieter der Welpen verweisen an Dr. Flavien Beuchat, Kantonstierarzt des Jura. Er wisse mehr zur Rasse. «Des chiens très vifs, très attentifs», lobt der Veterinär die Ratiers du Jura, was so viel heisst, wie, es seien sehr lebhafte, aufmerksame Hunde. Er sei selbst Halter und habe eine Whatsapp-Gruppe gegründet, um Züchter miteinander zu vernetzen. «Es handelt sich aber um keine anerkannte Rasse», betont Beuchat. Er ortet das Entstehungszentrum des Hundes in der Ajoie, also im Pruntruter-Zipfel. «Die Ratiers du Jura sind sehr verbreitet bei Pferdezüchtern.» Dr. Beuchat verweist auf einige Züchterinnen, streicht besonders Isabelle Gigon heraus, die sich seit Jahren um die Ratiers bemühe und sie rein züchte. Also los, auf in den Jura.
Empfang durch Ratiers du Jura
«Goumois Douane» ist Endstation. In der Schlucht des Doubs, gleich an der Brücke, die über den Fluss nach Frankreich führt, endet die Postautolinie von Saignelégier JU. Dann geht es zu Fuss weiter, etwa zwei Kilometer, unter dem Felsen durch, der einem Affenkopf gleicht, steil bergauf durch einen Wald zum Weiler Vautenaivre. Weidende Pferde und Kühe, frisch abgemähte Wiesen. Plötzlich schiesst eine Meute kleiner schwarz-braun-weiss gefleckter Hunde hinter einem Auto mit Anhänger hervor. Sie bellen, doch wirken sie nicht bedrohlich. Gleich darauf kommt Isabelle Gigon aus der Türe, lacht, ruft ihren Hunden. Sie wedeln mit dem Schwanz, lassen sich bereitwillig vom Ankömmling streicheln. «Sie machen ihre Arbeit, melden, wenn jemand kommt», sagt die Bäuerin. Kurz darauf haben sich alle fünf Hunde beruhigt, freuen sich über Aufmerksamkeit und mischen sich unter Katzen, die durch die Hundeschar streichen.
«Der Ratier du Jura ist ruhig, ausgeglichen und anhänglich.»
Isabelle Gigons Liebe zu den Ratiers du Jura begann 1985. «Mein erster stammte von einem Züchter aus Charmoille in der Ajoie.» Sie habe Deutsche Schäferhunde und Malinois gehabt, als sie den Ratier du Jura entdeckte – und sich sofort in diese Hunde verliebte, sie bald einmal auch züchtete.
Zwischenzeitlich sitzt sie auf der Terrasse vor ihrem Bauernhaus, Choupette dreht derweil eine Runde in der Scheune, steckt ihre längliche Schnauze zwischen runde Strohballen, Twini liegt zu Füssen der Züchterin, Loupita räkelt sich in der Sonne und schaut gelassen den Hühnern zu, die den Zaun ihres Hofs überflattern. «Katzen, Hühner, andere Hunde, das stört sie alles nicht, es sind keine Jäger», sagt Isabelle Gigon. Aber, wenn sie Mäuse oder Ratten riechen würden, dann hielte sie nichts mehr. «Sie graben danach, packen und töten die Kleinnager auf der Stelle.» Dafür wurden sie einst gezüchtet. Doch längst sind sie auch zu beliebten, anhänglichen Kleinhunden geworden.
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Isabelle Gigon betont: «Es gibt keinen Klub, nichts Geschriebenes.» Sie wisse nicht, wie die Hunde entstanden seien, doch wenn sie einen reinen Rüden benötige, um weiterzuzüchten, suche sie in der Ajoie. «Der Ratier du Jura hat überhaupt nichts mit einem Jack Russell zu tun», sagt Madame Gigon energisch. Es sei völlig falsch, diese Hunde einzukreuzen. Leider würden das einige Züchter machen. Dadurch werde die Rasse zerstört. Der Jack-Russell-Terrier sei klein, breitbeinig, meldefreudig und verteidigungsbereit. Nicht so ihre Hunde. Ein Jack Russell brauche eine konsequente Erziehung, ein Ratier du Jura toleriere Fehler. Er sei sehr ruhig, ausgeglichen, anhänglich, würde sich ausgezeichnet als Familienhund eignen. «Obwohl er klein ist, hat er viel Energie.»
Ausdauernde Läufer
Isabelle Gigions Sohn Jean-Michel ist hinzugekommen, nickt. «Wenn ich reite, ist mein Ratier du Jura immer dabei. Er ermattet nicht.» Dieser Hund sei sich an die Pferde gewöhnt. «Bei Wanderungen wird eher der Besitzer als der Hund müde.» Isabelle Gigon kennt sich mit Tieren aus. Sie wuchs im Kanton Freiburg auf und kam in den Jura wegen der Pferdezucht. Heute betreibt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn das Gestüt von Vautenaivre und züchtet Sportpferde. Wie ein Tier nach Zuchtstandard auszusehen hat, weiss sie. Der Rüde Chiffou ihres Sohns sowie ein Hund aus ihrer Zucht, den sie manchmal tagsüber betreut, sind an diesem Freitagnachmittag bei ihr.
Ratiers du Jura stünden auf hohen Beinen, seien schlank, dreifarbig. «Einige haben zu viel Schwarzanteil im Fell.» Die Züchterin hat auch eine Hündin mit hellbraunem anstatt schwarzem Fell. Sie möchte mit ihr züchten, um die Farbe zu verbessern. Die korrekte Färbung sei Braun, Weiss und Schwarz. Auch auf den Charakter achte sie. Wenn eine Hündin Junge habe, das heisst, drei bis fünf Welpen, lasse sie sie im Folgejahr nicht decken. «Sie muss sich erholen können.» Junge verkaufe sie im Alter von drei Monaten geimpft, entwurmt und gegen Parasiten behandelt. Für einen Ratier du Jura bezahle man 800 bis 1000 Franken.
Um frisches Blut für ihre Zuchtlinie zu finden, suche sie lange, diskutiere mit Züchtern reiner Ratiers. Es gebe wenige Halter aus der Deutschschweiz, in Frankreich sei die Rasse kaum verbreitet. Das Zentrum sei der Kanton Jura.
Die kleinen, dynamischen Hunde können 15 Jahre alt oder sogar älter werden. Isabelle Gigon stellt ihnen Pelletts stetig zur Verfügung, es bestehe keine Gefahr, dass sie zu viele fressen würden. «Manchmal reiche ich ihnen etwas Fleisch vom Metzger.» Es sei ihr ein grosses Anliegen, die Rasse zu erhalten.
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Standards zur Rassenanerkennung
Andreas Rogger, Geschäftsführer der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft (SKG) kennt die Ratiers du Jura. Er sagt, was es braucht, damit eine Hunderasse anerkennt wird. «Wir haben klare Standards, die durchlaufen werden müssen.» Die SKG bestehe auf acht verschiedene Blutlinien über acht Generationen. Die Zucht müsse dokumentiert werden. Diese Grösse brauche es, damit eine Population existieren könne. DNA-Profile würden überprüft, um die Diversität zu beweisen, sagt Rogger. Er habe Kontakte mit Züchtern gehabt. Sie hätten aber keine schriftlichen Unterlagen geliefert. Er betont: «Unsere Türen für den Ratier du Jura stehen offen. Wenn uns die Grösse und Nachvollziehbarkeit der Population belegt wird, dann steht einem Anerkennungsprozess nichts im Weg.»
Er könne nicht einschätzen, ob der Ratier du Jura seit 50 Jahren gezüchtet werde, es gebe nichts Schriftliches. «Wenn ich mir den Hund anschaue, ist er dem Parson-Terrier nicht unähnlich», sagt der Geschäftsführer. Äusserlich ähnle der Ratier du Jura dem Parson, stehe aber auf höheren Beinen.
Auch Isabelle Gigon meint, dass der Parson-Russell-Terrier dem Ratier du Jura ähnlicher sei als der Jack Russell. Ihre Hunde scheint die ganze Rätselei um ihre Rasse nicht zu kümmern. Sie wälzen sich im Gras, kommen schwanzwedelnd zu ihrer Besitzerin. «Sie sind so anhänglich», sagt sie, streichelt über das Köpfchen von Chiffou, während Choupette auf ihren Schoss springt. Wahrlich liebliche Hunde.
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