Büsi mit Handicap
Bei der Eingewöhnung liefen sie noch in Wände
Geplant war es nicht, gleich drei sehbehinderte Büsi aufzunehmen. Doch für Anna Ettlin und ihren Partner Raphael Schmid sind die Behinderungen ihrer Tiere inzwischen nicht mehr als Eigenarten.
Die Wohnung im Winterthurer Neubau ist ein wahr gewordener Katzentraum. Sisal trifft auf Sichtbeton: Kratzbäume in unterschiedlichen Grössen und Varianten fügen sich wie selbstverständlich in die moderne Einrichtung ein. Zu den über 100 Quadratmetern Wohnfläche kommt ein grosser gesicherter Balkon. Es gibt etliche Rückzugs- und Spielmöglichkeiten in den originellsten Formen. Dass es nicht nur um Design geht, zeigen gewöhnliche Kartonschachteln, die den Tieren ebenso zur Unterhaltung dienen wie die Spielturm-Rakete oder der Kratz-Kaktus.
Anna Ettlin und ihr Partner Raphael Schmid machen denn auch kein Geheimnis daraus, welchen Stellenwert die Tiere bei ihnen haben. Ettlin: «Wir sind extra hergezogen, weil wir Katzen wollten.» Dass es gleich drei werden würden, hätten die beiden 32-Jährigen allerdings nicht gedacht. Und auch die Adoption von behinderten Tieren war kein bewusster Entscheid. Schmid: «Sucht man nach Wohnungskatzen ist vermutlich die Schnittmenge zu behinderten Tieren relativ gross.» Bei der Wahl von Odin, Shadow und Loki hätte letztlich aber der Charakter den Ausschlag gegeben.
Als Erstes lernen wir Shadow kennen. Der blinde Kater unterbricht seinen Mittagsschlaf und kommt auf die Terrasse. Er geht auffällig langsam und hebt seine Pfoten dabei ungewöhnlich hoch an. Seine Gangart erinnert an ein Dressurpferd. Man sieht dem zehnmonatigen Kater an, dass er keinen leichten Start ins Leben hatte. Eines seiner Augen musste ganz entfernt werden, das andere ist stark vernarbt. «Wir hatten auch schon Besuch, der Shadow deswegen etwas unheimlich fand», berichtet Ettlin. Kaum vorstellbar, wenn man das Wesen des grossen schwarzen Katers sieht. Er ist sehr verschmust, sucht ständig die Nähe zu seinen Menschen und auch dem fremden Besuch gegenüber ist er aufgeschlossen und interessiert. Nur einmal zuckt er kurz zusammen, als Schmid ihn ganz unverhofft streichelt. «Das passiert manchmal. Darum sprechen wir ihn für gewöhnlich an, bevor wir ihn anfassen.»
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Loki scheint derweil noch im Tiefschlaf. Sie liegt in der obersten Mulde auf ihrem Kratzbaum. Ettlin: «Bei ihr gilt, Hauptsache hoch oben.» Die Aussicht geniessen kann sie aber nicht. Denn auch die rote Tigerkatze hat nur noch ein Auge und sieht damit nicht mehr als Hell- und Dunkel-Kontraste.
Möglichst selbstständig
Der Sehende im Bunde ist Odin. Zwar fehlt dem stattlichen Kater ebenfalls ein Auge, mit dem anderen sieht er aber noch gut. Als auf dem Balkon ein Käfer vorbeifliegt, reagiert er blitzschnell und mit Erfolg. «Odin verhält sich eigentlich wie ein ganz normaler Kater», erzählt Schmid. Nur beim Hochspringen habe er etwas Mühe. «Es scheint so, als könne er die Höhen nicht richtig abschätzen.»
Der blinde Shadow ist inzwischen auf den Kratzbaum im Wohnzimmer geklettert. Jetzt sucht er für den Weg nach unten nach einer Schulter. Aber Ettlin und Schmid warten ab. «Uns ist wichtig, dass er alleine zurechtkommt.» Und das tut er auch. Zwar sieht es gewöhnungsbedürftig und nicht besonders elegant aus, wie er da mit den Hinterbeinen voran wieder vom Kratzbaum klettert. Aber die Taktik geht auf. Selbst bei Kratzbäumen mit grossem Überhang. Das Schwierigste scheint das unterste Podest. Hier zögert er länger und versucht mit den Vorderpfoten den Boden zu ertasten. Es fehlen nur wenige Zentimeter – für Shadow noch zu viel, um einfach draufloszuspringen.
Ausserordentlich freundlich
Auch Loki sei eher zögerlich beim Runterspringen. «Am Anfang hat sie sich nicht einmal vom Bett runtergetraut. Sie sass einfach fest und miaute», sagt Ettlin. Inzwischen sei das aber kein Problem mehr. Die Tiere müssten sich die Wege und Abstände halt erst einprägen. «Darum schauen wir drauf, dass wir nicht allzu oft etwas umstellen», sagt Schmid. «Während der Eingewöhnung sind sie auch mal in Wände gelaufen.» Das passiere jetzt aber nur noch sehr selten. Ettlin holt eine grosse Tasche mit Katzenspielzeug aus dem Schrank. Dabei stolpert sie kurz über Loki. «Das kommt leider auch immer mal wieder vor. Sie schauen halt nicht», so Ettlin. «Darum gehen wir jetzt auch schon viel vorsichtiger durch die Räume.»
Jede unserer drei Katzen ist auf ihre Weise einzigartig.
Anna Ettlin
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Nun aber ist Spielzeit und von Behinderung ist plötzlich nichts mehr zu sehen. Es scheint fast so, als würden die Katzen ihre Handicaps selbst vergessen. Loki flitzt wie ein geölter Blitz durch den Gang, biegt ins Schlafzimmer ab und ist mit einem Satz auf dem Bett. Schmid: «Sie weiss schon, dass wir dort oft mit ihr spielen.» Wie eine Verrückte jagt sie dann auch der Feder nach, die Schmid an einer Angel für sie schwingt. Der blinde Shadow kommt dazu und tut es ihr gleich. «Er ist normalerweise nicht ganz so wild. Aber heute scheint er sehr motiviert», findet Ettlin.
Interesse würden die Tiere besonders an den feinen Geräuschen zeigen. «Die Sachen mit den Glöckchen konnten wir gleich wieder verschwinden lassen», erzählt Ettlin. Und ihr Partner Raphael Schmid ergänzt: «Shadow jagt zum Beispiel auch Fruchtfliegen am Küchenfenster.» Anfangs hätten sie gar nicht verstanden, weshalb er da so wild herumspringt.
Was auffällt: Die drei Katzengeschwister sind unheimlich entspannt und sehr, sehr freundlich – auch untereinander. Das sei schon von Anfang an so gewesen. «Manchmal gibt es zwischen Odin und Shadow Spielkämpfe», sagt Ettlin. Dass ein Tier dominiere, sei aber nicht der Fall. Und das, obwohl Odin bereits seit Anfang Jahr bei Ettlin und Schmid lebt und Loki und Shadow erst vor wenigen Wochen dazukamen. Gefunden haben sich Mensch und Tier über die Katzenfreunde Schweiz. Die Organisation kümmert sich um hilfsbedürftige Büsi. Odin, Loki und Shadow hatten diese Hilfe dringend nötig.
Die drei Katzen stammen aus demselben Wurf und sind auf einem Bauernhof geboren. Der Hofbesitzer hatte die Tiere bereits totgesagt. Der ganze Wurf litt unter Katzenschnupfen und war in miserablem Zustand, als die Organisation ihn bei sich aufnahm. Keine leichte Aufgabe: Intern trug der Wurf den Namen «Emergency» – also Notfall. Ein Kätzchen musste man erlösen. Die anderen vier verlieren jeweils ein Auge.
Der Verein muss sich um mehrere Operationen und Nachbehandlungen kümmern, sowohl vor als auch nach Vermittlung der Tiere. Als Ettlin und Schmid die Büsi aus dem Notfall-Wurf das erste Mal sehen, sind diese zwei Monate alt. Eigentlich fuhr das Pärchen wegen anderen Tieren zum Hauptsitz der Katzenfreunde nach Lengnau AG. Doch der Notfall-Wurf zieht sie sofort in ihren Bann. Ettlin: «Sie haben uns direkt bei sich akzeptiert, mit unseren Schuhbändeln gespielt und geschnurrt.»
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Allerdings hat das Pärchen noch keine Erfahrung mit behinderten Tieren und entscheidet sich darum für Odin und Hana, die beide noch auf einem Auge sehen. Doch Hana erkrankt wenig später an FIP (Feline Infektiöse Peritonitis). Die Infektionskrankheit wird durch das feline Coronavirus ausgelöst und ist in den allermeisten Fällen tödlich. Auch Hana schafft es nicht.
Im zweiten Anlauf
Ettlin und Schmid suchen für Odin einen Spielgefährten und fahren nochmals nach Lengnau. Dort warten Shadow und Loki nach einer missglückten Erstplatzierung wieder auf ihren Lebensplatz.
«Eigentlich wollten wir keine drei Katzen – alleine schon wegen des zusätzlichen Katzenklos», sagt Anna Ettlin. Aber Shadow und Loki seien direkt so anhänglich gewesen, dass sie gar nicht anders konnten. «Wir mussten sie einfach beide nehmen.» Sie hätten keine behinderten Büsi gesucht. Das habe sich einfach ergeben. Inzwischen seien die Behinderungen für sie aber nicht mehr als Eigenarten. «Jede ist auf ihre Weise einzigartig und sie machen es uns wahnsinnig leicht», sagt Ettlin. «Wir müssen keine Geduld mit ihnen haben, höchstens sie mit uns.»
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