Hilfsmittel im Pferdesport
Gebisse und Hilfszügel richtig anwenden
Gebisse und Hilfszügel, dieses Thema bietet das Potenzial zu emotionalen Grabenkämpfen. Gerade deshalb standen die sachliche Diskussion und die kompetente Wissensvermittlung am Weiterbildungstagung des Schweizer Tierschutz STS und des Berufsbildungszentrums Inforama im Zentrum.
Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Inputs zur Blickschulung rund um das kontroverse Thema der Hilfszügel und Gebisse zu vermitteln, das war die Zielsetzung der Fachtagung in Bern.
In ihrem Inputreferat betonte die diplomierte Zoologin Sandra Schaefler, die beim STS in der Fachstelle Heimtiere und Pferde tätig ist, dass sich der STS keineswegs gegen die Nutzung von Pferden wendet, wobei das Schweizer Tierschutzgesetz den Rahmen für jeden Umgang mit dem Pferd setzt. Dass der Einsatz von Gebissen und Hilfszügeln nuanciert zu bewerten ist, brachte sie mit folgenden Worten auf den Punkt: «Gewisse Gebisse und Hilfszügel sind aus Sicht des STS abzulehnen, bei anderen ist es eine Frage der Einwirkung der Reiterin, wie auch des Ausbildungsstands des Pferdes.»
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Die Biomechanik als Leitlinie
Als Vertreter des Inforama, aber auch des Spitzensports sprach Patrick Rüegg. Er ist Elite-Kaderreiter Concours Complet sowie Lehrer in der beruflichen Grundbildung und höheren Berufsbildung für Pferdeberufe. Sein Kredo lautet: «Ein scharfes Gebiss kann und darf niemals dauerhaft Mängel in der Ausbildung des Pferdes kompensieren.» In seiner Erfahrung im Umgang mit Hilfszügeln fanden sich viele der Anwesenden wieder: «Im Zuge meiner Bereiterlehre und späteren beruflichen Tätigkeit als Ausbilder und Reiter war der Einsatz von Hilfszügeln völlig normal. Ich stellte mir dazu nicht allzu viele Fragen. Erst als ich begonnen habe, mich intensiver mit der Biomechanik des Pferdes auseinanderzusetzen, wurde mir bewusst, dass das vielleicht nicht der beste Weg ist. Jedoch musste ich feststellen, dass die Arbeit ohne Hilfszügel deutlich anspruchsvoller ist, als mit Hilfszügeln.»
Biomechanik war denn auch das zentrale Stichwort des Fachvortrags von Dr. med. vet. Selma Latif. Sie zeigte auf, dass zur Beurteilung, wie nützlich oder schädlich Gebisse und Hilfszügel sind, ganz viele Komponenten hineinspielen, die für jedes Pferd individuell sind. Dazu gehören die körperlichen Voraussetzungen jedes einzelnen Pferdes wie Hebellängen, Bindegewebstyp und Muskelqualität. Anhand von Illustrationen schulte sie das Auge des Publikums für die subtilen Unterschiede zwischen Verspannung und negativen Kompensationsmustern auf der einen Seite des Spektrums und einer aktiven Haltemuskulatur und korrekt arbeitenden myofaszialen Ketten auf der anderen Seite. Wobei letzteres das gewünschte und notwendige Bewegungsmuster für schonendes Reiten darstellt. «Zur orthopädischen Gesunderhaltung muss an der Schiefe des Pferdes gearbeitet werden. Die Aktivierung der Rumpfträger ist hierzu der erste Schritt», so die erfahrene Tierärztin.
Metall im Maul
Prof. Dr. med. vet. Conny Herholz, Leiterin der Vertiefung Pferdewissenschaften an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL), ging in ihrem Vortrag der Frage nach, welche Metalle unsere Pferde denn eigentlich im Maul haben. Tatsächlich ist die Vielfalt an verfügbaren Gebissen nicht nur bezüglich Form und Wirkungsweise, sondern auch hinsichtlich der verwendeten Metalle gross. Ob dies für Pferde problematisch ist oder gar Allergien hervorrufen könnte, eruierte sie aus wissenschaftlicher Perspektive. Ihr Fazit fiel grundsätzlich positiv aus: «In keinem der 103 analysierten Gebisse wurden potenziell giftige Elemente wie Cadmium oder Blei gefunden. Auch eine für das Pferd giftige Abgabe von Eisen durch Sweet-Iron-Gebisse ist nicht zu erwarten.»
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Wirkungsweise objektiv betrachtet
Hippoteach Maia Bachmann leitete in ihrem Fachreferat die Ursprünge von Hilfszügeln her und zeigte auf, wie die einzelnen Hilfszügel genau wirken und inwiefern sie die Grundsätze der Skala der Ausbildung als Basis einer pferdegerechten Ausbildung untermauern oder im Gegenteil untergraben. Sie betonte, wie vielfältig die Stolpersteine sind, denen man auf dem Ausbildungsweg des Pferdes begegnet und dass diese in den allermeisten Fällen nicht einfach mit Hilfszügeln übergangen werden können: «Fehlendes Gleichgewicht, Steifheit und Aussenstellung auf gebogenen Linien können mit Zwangsmitteln nicht nachhaltig korrigiert werden. Weder Takt noch Schwung lassen sich erzwingen, aber sie können durch ein geschicktes Zusammenspiel von feinen Hilfen deutlich verbessert werden. Oft wird durch den Einsatz von Hilfszügeln gerade das Gegenteil des gewünschten Effekts erreicht. Unsachgemäss angewandte Hilfszügel können den Körper und die Psyche des Pferdes nachhaltig schädigen.»
Die auf Verhaltensmedizin spezialisierte Tierärztin Ruth Herrmann nahm die Tagungsteilnehmenden mit auf eine faszinierende Reise der neutralen Beobachtung von Pferden, um deren Gemütszustand objektiv beurteilen zu können. Sie wies darauf hin, dass unser Gehirn auch bei der vermeintlich wertfreien Beobachtung unbewusst eine Auswahl trifft: Was erscheint uns gerade wichtig? Worauf sind wir sensibilisiert? Wie ist die Stimmung und welche Emotionen spielen in die Beobachtung mit hinein? All diese Komponenten haben zur Folge, dass wir das Gesehene interpretieren und mit Annahmen ergänzen. Und schon ist die Beobachtung nicht mehr neutral. Um diese Einflussfaktoren zu minimieren, braucht es Übung. Gewisse Hilfsmittel wie die sogenannten Ethogramme können uns dabei unterstützen, unsere Beobachtungen zu kanalisieren: «Es gibt Hilfsmittel wie die Horse Grimace Pain Scale, das Equine Pain Face Ethogram oder das Ridden Horse Pain Ethogram, die eine wissenschaftliche Basis haben und uns dabei unterstützen können, Beobachtungen einzuordnen. Gerade diese Erkenntnisse und Diskussionen zeigen auch: Wir müssen noch viel lernen! Die Pferde teilen uns mit ihrem Verhalten etwas mit – begegnen wir ihnen mit Offenheit und Lernbereitschaft.»
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Praktische Anwendung
In den anschliessenden Workshops wurden die gewonnenen Erkenntnisse einem Praxistest unterzogen: In kleinen Gruppen konnten die Teilnehmenden direkt am Pferd zusammen mit Dr. med. vet. Selma Latif das Exterieur und die Bemuskelung beurteilen und die Konsequenzen für das weitere Training besprechen. Dasselbe Pferd wurde dann von der Pferdefachfrau und Trainerin B SFRV Jeanne Bessire mit und ohne Hilfszügel an der Longe vorgestellt, wobei die Blicke des Publikums durch Reha-Trainerin Cornelia Heimgartner geschult und die Bewegungsunterschiede des Pferdes zwischen den beiden Longiertechniken hervorgehoben wurden. Im dritten Workshop gaben die beiden Pferdefachfrauen Janina Siegwart und Tanja Sprunger-Mighali den Teilnehmenden mit auf den Weg, welche Faktoren es zu beachten gilt bei der Entscheidung, welches Gebiss für welches Pferd am geeignetsten ist.
In der abschliessenden Diskussion wurden einzelne Aspekte rund um den Themenbereich der Gebisse und Hilfszügel nochmals aufgegriffen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Am Ende der Veranstaltung war die Take-home-Message für alle klar: Wer ehrlich um das Wohlergehen unserer Pferde bemüht ist, kann sich nicht mit einfachen Antworten und Prinzipien zufriedengeben, sondern muss sich mit der Vielfalt der Aspekte, die mit hineinspielen, auseinandersetzen. Offenheit und Lernbereitschaft sind die Grundvoraussetzungen für die respektvolle Nutzung unserer Pferde.
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