Ronja ist eine zwölf Jahre alte Katze, bei der schon vor einiger Zeit Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde. Einige Monate helfen ihr noch Medikamente, dann baut sie immer mehr ab, will schliesslich nicht mehr fressen und kann alleine nicht mehr zur Katzen­toilette gehen. Die Besitzer möchten ihr einen natürlichen Tod ermöglichen und sie nicht in die Tierarztpraxis bringen, um sie dort einschläfern zu lassen.

Aber was ist der richtige Weg? Leidet Ronja und ist das eine Qual für sie? Oder wäre es schlimmer für die Katze, womöglich durch den Transport und die fremde Umgebung bis zu ihrem letzten Atemzug Angst zu haben? Ronjas Besitzer kontaktieren einen Homöopathen, der mit speziellen Globuli den Sterbeprozess der Katze begleitet, damit sie auf natürlichem Weg gehen kann. Aber nach kurzer Zeit halten die Menschen das offensichtliche Leiden von Ronja nicht mehr aus: Der Tierarzt kommt nach Hause und euthanasiert die Katze.

Für Tierarzt gelten Interessen des Tieres
Ronjas Fall mag für manche Tierliebhaber extrem klingen – aber viele Katzenhalter tun sich sehr schwer damit, den richtigen Weg für sich und ihr Tier zu finden. Da ist auf der einen Seite eine starke, über lange Jahre gewachsene Bindung, die geprägt ist von Beschützerinstinkt und Verantwortungsgefühl, und auf der anderen Seite der Verstand, der einem sagt, dass die Lage aussichtlos ist und eine Chance auf Heilung nicht besteht. Und der Gedanke: «Mein Tier vertraut mir und braucht mich. Wie kann ich mir anmassen, über seinen Tod zu entscheiden?»Schliesslich geht es um nichts weniger als um die Frage: Ab wann ist ein Katzenleben noch lebenswert? Will das Tier überhaupt gehen oder interpretieren wir Menschen das so, weil wir das Leid selber nicht ertragen können und es verkürzen wollen? Auf solche schwierigen Fragen gibt es keine wirklich einfachen Antworten.

«Als Tierärztin bin ich in jedem Fall den Interessen des Tieres verpflichtet», stellt Caroline Mislin, Tierärztin und Sprecherin der Schweizerischen Vereinigung für Kleintiermedizin (SVK-ASMPA), klar. «Ich habe die Pflicht, zu helfen. Das heisst auch, dass ich zu einer Euthanasie immer dann rate, wenn ich sehe, dass eine Katze in ihrem Zustand leidet oder grosse Schmerzen hat, die weder therapier- noch heilbar sind. Das ist häufig nach langen Krankheiten der Fall oder nach Unfällen oder schweren Verletzungen.»

Unwissen über den Vorgang
Was aber ist bei chronischen, nicht heilbaren Erkrankungungen wie Krebs oder Niereninsuffizienz mit einem eher schleichenden Verlauf? Wann kann und sollte der Besitzer sein Tier einschläfern lassen? Das ist und bleibt immer eine schwierige Entscheidung für den Halter, die immer mit viel Trauer und Angst verbunden ist. «Ein Kriterium für mich ist immer, wenn die Katze nicht mehr selbst frisst», sagt Mislin. «Auch wenn sie vielleicht noch umherläuft, aber die Futteraufnahme verweigert, bedeutet das, dass sie verhungert – das sollte ein Mensch, der sein Tier liebt, ihm nicht antun.»

Für die meisten Katzenbesitzer ist der Rat des Tierarztes ausschlaggebend, denn sie vertrauen seinem Wissen und seiner Erfahrung. «Ganz selten kommt es vor, dass ein Tierhalter anderer Meinung ist und für das Tier einen natürlichen Tod wünscht oder noch nicht bereit zum Abschied ist», sagt Caroline Mislin. «Aber was heisst schon natürlich? In der Regel habe ich die Katze ja schon lange vorher behandelt und es damit eben nicht der Natur überlassen, was weiter geschieht.» Normalerweise brauchen die Besitzer eine kurze Zeit zur Überlegung und folgen dann dem Rat, um dem geliebten Tier einen ruhigen Tod zu ermöglichen und nicht etwa in grosser Not und Eile oder unter schlimmen Schmerzen zum Tierarzt eilen zu müssen.

Bei sehr vielen Katzenhaltern spielt aber auch Unwissen über den Vorgang des Einschläferns selbst eine Rolle, wenn sie den letzten Gang zum Veterinär scheuen. Der eigentliche Vorgang dauert oft nur wenige Minuten, denn das Tier bekommt eine sehr starke Dosis eines Narkosemittels gespritzt und schläft dann tief und fest, bevor der Mediziner ein zweites Mittel spritzt, das für den Herz- und Atemstillstand sorgt.

So schwer sich viele Katzenbesitzer tun, ihr Tier zu erlösen, so gibt es doch auch immer wieder Menschen, die von einem Tierarzt verlangen, ein völlig gesundes Tier einzuschläfern, wie Caroline Mislin sagt. «Manchmal kommen beispielsweise Menschen, die verlangen, dass die Katze nach ihrem eigenen Tod eingeschläfert wird», erzählt die Veterinärin. Dahinter steckt der Gedanke, dem vierbeinigen Liebling zu ersparen, in irgendeinem Tierasyl zu landen. «Dann kläre ich auf und informiere, welche Möglichkeiten es gibt, für die Katze ein gutes neues Zuhause zu finden.»

Aber auch das gibt es: Tierbesitzer, die sich mittels Euthanasie der Katze entledigen möchten, weil sie alt, verwirrt oder lästig geworden ist. Anders als in Deutschland und Österreich ist es in der Schweiz nicht ausdrücklich verboten, ein Tier ohne vernünftigen Grund einzuschläfern. «Juristisch gesehen braucht es keine ausdrückliche Rechtfertigung, wie eine gesundheitliche Beeinträchtigung», erklärt Antoine F. Goetschel, Rechtsanwalt und Internationaler Berater für das Tier in Recht und Ethik. «Als Eigentümer kann der Tierhalter innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung über sein Tier bestimmen – dennoch hat er nicht in jedem Fall Anspruch auf eine Euthanasie», präzisiert Goetschel, der sich in seinem Buch «Das Tier im Recht – 99 Facetten der Mensch-Tier-Beziehung» auch mit diesem Thema beschäftigt hat.

Aus Mutwillen zu töten, ist verboten
«Der Tierarzt kann den Wunsch nach einer Euthanasie ablehnen», sagt Goetschel. Entsprechend den Ethischen Grundsätzen der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST), wonach eine Lebensverkürzung, die allein auf dem Wunsch des Tierhalters beruht, abgelehnt werden soll. «Und die Tötung eines Tieres aus Mutwilligkeit, nur um sich seiner zu entledigen, könnte sowohl für den Halter als auch für den Tierarzt strafrechtliche Folgen haben», warnt Goetschel. Denn Tiere sind vor dem Gesetz keine Sachen mehr, sie erfahren eine hohe Wertschätzung im revidierten Tierschutzgesetz. Dazu gehört auch, sie nur dann einzuschläfern, wenn es wirklich unumgänglich ist. So gilt laut Artikel 26 des Schweizer Tierschutzgesetzes als strafbare Tierquälerei, ein Tier zu misshandeln, zu vernachlässigen, unnötig zu überanstrengen, dessen Würde in anderer Weise zu missachten oder auf qualvolle Art oder aus Mutwillen zu töten. «Da sind wir in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum sicher weltweit an der Spitze», meint der Jurist, der mit «Global-AnimalLaw» eine Internetplattform für die weltweite Beachtung von Tierrechten geschaffen hat. Und: «So, wie wir heute eine Debatte über Sterbehilfe für Menschen führen, so denken wir immer mehr darüber nach, wie weit wir mit unserer Spitzenmedizin eigentlich das Leben oder das Leiden eines Tieres verlängern», sagt Goetschel. «Das ist eine Diskussion, die zeigt, wie sehr sich die Stellung der Haustiere in unserer Gesellschaft verändert hat.»