Es ist Mittwochnachmittag, kurz vor 14.30 Uhr – die Sonne strahlt. Die gute Laune sieht man auch den Spaziergängern an. Ein halbes Dutzend warten geduldig  bei der Anmeldung im Tierdörfli Olten SO auf einen Hund, den sie ausführen möchten.

Einer von ihnen ist Walter Berger. Seit über drei Jahren kommt er ins Tierdörfli. Er war langjähriger Hundebesitzer, musste jedoch seinen eigenen Hund einschläfern lassen. Zurzeit lässt seine aktuelle Wohnsituation keinen eigenen Hund zu. Doch die Tierliebe des gelernten Chauffeurs ist so gross, dass er fast an jedem seiner freien Tage einen Hund ausführt. Schröder, ein kräftiger Rottweiler, hat es ihm besonders angetan. Dieser erkennt Berger von Weitem und schmiegt sich gleich liebevoll an ihn. Da der Hund an Gelenkproblemen leidet, geht Berger nur etwa eine Viertelstunde mit ihm spazieren. Dafür führt er anschliessend noch einen weiteren Hund aus. Berger liebt die Spaziergänge: «Dabei kann ich gut abschalten.»

Abwechslung, Aufmerksamkeit und Bewegung tun den Vierbeinern gut
Auch Susanne Ledl und ihre Tochter Mirjam führen die Hunde im Tierdörfli Olten spazieren. Anfänglich war es die Tochter, welche die Mutter dazu drängte. Doch mittlerweile kommt Susanne Ledl auch alleine. Zwei- bis viermal in der Woche holt sie einen Hund. «Ich bin gerne draussen und mache so gleichzeitig etwas Sinnvolles», sagt sie. Am Anfang hatte sie noch etwas Respekt und wollte nur kleine Hunde nehmen, doch mittlerweile hat sie sich zu einem richtigen Hundeprofi entwickelt und wagt sich auch an grössere Exemplare. Besonders angetan sind sie und ihre Tochter von Border-Collie-Mischling Jacky. Sie haben sich in den Vierbeiner mit den treuen Augen richtiggehend verliebt und möchten ihn nun auch adoptieren. 

Nicht weniger als 30 Tierfreunde gehen mit den Hunden im Tierdörfli Olten spazieren. Darüber freut sich Tierheimleiterin Susanne Klein. «Diese Menschen leisten für uns eine wertvolle Arbeit», sagt sie. «Ohne sie würde es nicht gehen.» Zum einen erhalten die heimatlosen Vierbeiner auf diese Weise Abwechslung und Bewegung. Zum anderen sind die Spaziergänge aber auch wichtige Phasen, in denen sie von Menschen nur Gutes erfahren sollen. Die Hunde freuen sich laut Klein jeweils wie kleine Kinder, wenn sie auf einen Spaziergang dürfen. 

Das Spektrum der Hundespaziergänger ist breit: Es gibt Freiwillige, die von weit her anreisen und einmal in der Woche spazieren gehen. Dann gibt es auch solche, die in der Nähe wohnen und täglich einen Hund ausführen. Die Gruppe der Spaziergänger besteht aus Frauen und Männern im Alter von 18 bis 70 Jahren. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen, von Ärzten über Handwerker bis hin zu Büroangestellten. Die Hundespazierdienste im Tierdörfli sind sehr beliebt und die Anfragen steigen ständig. Nur bei Regenwetter nimmt die Anzahl etwas ab. Das gilt nicht für Angela Cina aus Hägendorf SO. Sie kommt auch bei Regen und Schnee. Heute geht Cina mit Flo spazieren. «Der ist gut zu führen», sagt sie und macht sich gleich mit dem kleinen Mischling auf den Weg.

Ein Tierheim-Hund darf nie von der Leine gelassen werden
Im Tierdörfli werden täglich von 14.30 bis 16.30 Uhr Hunde ausgeführt. Voraussetzungen sind eine Privathaftpflichtversicherung und ein Mindestalter von 18 Jahren. Die freiwilligen Helfer dürfen mit allen Tieren spazieren gehen. Ausser mit den Listenhunden und den Ferientieren – darum kümmern sich die Mitarbeiter selber. Bevor jemand das erste Mal einen Hund ausführt, gibt es ein Gespräch mit den Mitarbeitern des Tierheims, in dem auch ein Tierausleihvertrag unterzeichnet wird. «Wir teilen dem Helfer dann je nach Konstitution und Wunsch einen Hund zu», erklärt Klein. In der hauseigenen Hundeschule werden Kurse für den Sachkundenachweis für Hundehalter angeboten. Diese können in einer gekürzten Form auch von Spaziergängern besucht werden.

Bei den ersten zwei Spaziergängen ist jeweils ein Mitarbeiter des Tierdörfli mit dabei. «Wichtig ist, dass die Spaziergänger gewisse Regeln beachten», sagt Klein. Manchmal gebe es aber auch langjährige Hundehalter, welche die Tiere auf den Spaziergängen verbotenerweise freilassen. «Ein Tierheimhund darf auf keinen Fall von der Leine gelassen werden», sagt Klein. Die Gefahr sei zu gross, dass etwas passieren könnte. Sie musste auch schon Spaziergänger heimschicken, da sie sich nicht an die Vorschriften halten wollten. Doch in der Regel gebe es keine Probleme. 

So ist es auch bei Gabriela Stucki, einer besonders treuen Spaziergängerin. «Ich liebe Tiere über alles», sagt die Kaufmännische Angestellte. Seit zwei Jahren kommt sie regelmässig ins Tierheim. Manchmal beinahe täglich. Pro Hund ist sie jeweils eine Stunde unterwegs. Zurzeit lässt ihre familiäre Situation keinen Hund zu. Deshalb seien die Spaziergänge eine gute Lösung. Sie nimmt gerne immer wieder verschiedene Hunde – nicht dass sich einer zu stark an sie gewöhne. Sie möchte den Hunden Liebe und Vertrauen schenken, denn viele der Tiere hätten aufgrund schlechter Erfahrungen mit Menschen das Vertrauen verloren, sagt sie.

In vielen Schweizer Tierheimen wird ein freiwilliger Spazierdienst angeboten
Neben dem Tierdörfli in Olten bieten viele weitere Tierheime in der Schweiz die Möglichkeit, mit Hunden spazieren zu gehen. Dazu gehört auch das Tierheim und Tierhotel Arche in Chur GR. Dort können Hundefreunde täglich von 9 bis 11.30 Uhr und 14 bis 17 Uhr die Vierbeiner ausführen. In den Schulferien seien es vor allem Jugendliche. «Wir haben aber auch viele Pensionäre», sagt Jürg Aebi von der Rezeption des Tierheims. Kinder unter 16 Jahren dürfen jedoch nie alleine mit einem Tierheim-Hund unterwegs sein. Manchmal gebe es fast zu wenig Hunde für die vielen Spaziergänger. «Wir schätzen es sehr, dass sich so viele Menschen die Zeit für unsere Tiere nehmen», sagt Aebi.

Auch im Tierheim beider Basel werden Spazierdienste angeboten. Allerdings müssen die freiwilligen Helfer zuerst einen Kurs absolvieren. Grund ist der neue Standort, den das Tierheim im April 2012 übergangsweise in Münchenstein auf einem Industrieareal bezogen hat. Viele der dort ansässigen Firmen seien auf ein rücksichtsvolles Verhalten der Hundespaziergänger angewiesen. Leider hätten sich jedoch die Reklamationen gehäuft. Aus diesem Grund sah sich das Tierheim gezwungen, einen Kurs für den freiwilligen Hundespazierdienst durchzuführen. «Dort lernen die Teilnehmer Basis-Verhaltensregeln, wie man zum Beispiel den Hund hält, wenn man andere Spaziergänger kreuzt», sagt Daniel Bader, der im Tierheim zuständig ist für Fundraising und Kommunikation. Trotz dieser Hürde hat die Anzahl Spaziergänger nicht abgenommen. Im Gegenteil: Das Interesse am Kurs sei sehr gross, sagt Bader. Das freue ihn sehr. 

Der Hundespazierdienst ist eine tolle Sache – die allen dient: Die Spaziergänger haben eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung in der freien Natur, die Hunde erhalten eine Abwechslung vom Tierheimalltag und den Tierheimmitarbeitern wird durch den Spazierdienst viel Arbeit abgenommen.

www.tierheim-chur.ch (Tierheim und Tierhotel Arche Chur)
www.tierdoerfli.ch (Tierdörfli Olten)
www.tbb.ch (Tierheim beider Basel) 

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Auch Walter Gerber (hier mit Rottweiler Schröder) führt regelmässig Hunde spazieren. © Stephanie Federle