Ich streife meine Sandalen ab, setze mich auf eine Bank, dusche kurz die verschwitzten Füsse und tauche sie dann vorsichtig in ein kleines Aquarium. Umgehend saugen sich Dutzende von kleinen Saugbarben fest und beginnen Hautschüppchen wegzuknabbern. Ein Gefühl, als ob eine Horde Ameisen über meine Zehen krabbelt. «Fish are happy and hungry», versichert mir eine freundlich lächelnde Asiatin – und das Wasser sei gefiltert und sterilisiert. Eine halbe Stunde später und mit ein paar Hautschuppen weniger, stehe ich wieder auf der Strasse: mit angenehm sauberen Füssen und um 30 Franken leichter. 

Hier in Singapur wie im Rest von Asien gehören «Fish-Spas» zum Strassenbild – sei es in einem improvisierten Becken in Kambodscha oder in einer Wellness-Oase in Japan. Wer etwas auf seine Füsse hält, lässt sie feinknabbern. Dabei gibt es nur Gewinner: Die Füsse sind gut durchblutet und gepflegt. Die Fische sind beschäftigt und satt.

Oder doch nicht? In der Schweiz präsentiert sich nämlich ein anderes Bild. Der Einsatz der Saugbarben oder Kangalfische ist hierzulande bewilligungspflichtig und wird als «gewerbsmässige Wildtierhaltung» kategorisiert. Für eine Bewilligung muss eine Ausbildung absolviert werden. Die Fische müssen durch Tierpfleger mit Fähigkeitsausweis oder unter deren unmittelbarer Aufsicht betreut werden. Zudem dürfen die Vollzugsbehörden bei der Bewilligung noch zusätzliche Auflagen fordern – von der Dokumentation der Fütterungszeiten bis hin zur Kontrolle des Tierbestands und der Aquarien. Doch welches Fish-Spa kann sich einen solchen Aufwand leisten?

Missachtung der Fisch-Würde 
Die Auflagen sind ein klares Zeichen: Das zuständige Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ist gegen die Nutzung von Saugbarben zu kosmetischen und zu Wellness-Zwecken und findet dafür in der entsprechenden Fachinformation klare Worte: Die Form der Nutzung missachte die Würde des Tieres. Sie sei als übermässige Instrumentalisierung zu werten, bei welcher der Nutzen für den Menschen geringer zu gewichten sei als die Belastung für die Fische. 

Was nützt der Doktorfisch?
Die Rote Saugbarbe (Garra Rufa) wird auch Doktorfisch oder Kangalfisch genannt. Kangal ist der Name eines türkischen Kurortes, dessen Thermalbäder zum natürlichen Lebensraum der Fische gehören und wo vor über hundert Jahren die ersten Fischtherapien durchgeführt wurden. Denn der Garra Rufa frisst nicht nur Algen und Plankton, sondern bei genügend grossem Hunger auch menschliche Hautschuppen. Diese Fähigkeit macht ihn für Menschen, die an einer Hautkrankheit leiden, zu einem beliebten «Therapiefisch». Die Saugbarbe knabbert an trockenen Hautschuppen und scheint damit die Beschwerden der Patienten zu mildern. Der medizinische Nutzen einer solchen Behandlung bleibt jedoch schulmedizinisch nicht bewiesen. In Bad Ragaz SG wurde 2002 die Wirkung von Kangalfischen auf die Hautkrankheit Schuppenflechte getestet. Die Dermatologin Carmen Laetsch begleitete damals die klinische Studie aus schulmedizinischer Sicht. «Die Kangalfische wurden zur Psoriasistherapie eingesetzt. Jede Begleittherapie mit Salben war verboten. Dafür mussten die Patienten stundenlang bei den Fischen im Wasser bleiben und dies täglich», erklärt die Ärztin. Die Studie wurde allerdings abgebrochen, weil die Fische – entgegen der Abmachungen – auch für andere Hautleiden eingesetzt wurden.

«Die Bewilligungen für ein Fish-Spa werden von den kantonalen Tierschutzfachstellen, den Veterinärdiensten, ausgestellt», erklärt Nathalie Rochat, Mediensprecherin des BLV und konkretisiert: «Wir führen keine Statistiken betreffend die Gesuche oder Bewilligungen. Unseres Wissens wurden jedoch entsprechende Gesuche – spätestens seit Erscheinen der Fachinformation im Februar 2012 – durchgehend abgelehnt.» 

Die Kantonalen Veterinärämter bestätigen und folgen der strikten Linie des Bundes. Marco Gut, Kantonstierarzt des Veterinäramtes der Urkantone (Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden), stellt klar: «In unserem Zuständigkeitsgebiet werden nur Angebote toleriert, die medizinischen Zwecken dienen. Andere Angebote werden unterbunden.» Würden die Bedingungen oder Auflagen trotz Mahnung nicht eingehalten, sei die Voraussetzung für eine Bewilligung nicht mehr gegeben und werde entzogen. 

Auch der Schweizer Tierschutz STS rät vom Einsatz der Kangalfische für kosmetische Behandlungen ab. «Beim ständigen Umsetzen der Fische in Therapiebecken leiden die Tiere unter ungleichen Temperaturen, unterschiedlichen Wasserparametern», erklärt Sandra Dürrenberger von der Fachstelle Heimtiere des Verbandes. Auch das ständige Einfangen versetze sie in Angst. «Im Therapiebecken sind die Fische exponiert und ohne Rückzugsmöglichkeiten. Ebenfalls vermuten wir, dass man sie absichtlich hungern lässt, damit sie effizienter ‹arbeiten›.»

In der Schweiz scheinen die Betreiber von Kosmetikstudios die strikte Haltung des Bundes diskussionslos zu akzeptieren. In Deutschland sieht die Situation dagegen anders aus. Kangalfische zu kosmetischen Zwecken zu halten, ist hier erlaubt – unter Einhaltung der Hygieneverordnung. Von Tierschutz spricht niemand. Als die Stadt Köln einem Kosmetikstudio die Bewilligung für ein Fish-Spa verweigerte, klagte der Besitzer vor Gericht und bekam Recht. Fischpediküre gibt es nun also auch in Köln. 

Doch trotz der rigorosen Auflagen des Bundes und der klaren Positionierung des Tierschutzes: Auch in der Schweiz werden Kangalfische für kommerzielle Zwecke gehalten – völlig legal und bewilligt. Eine Nutzung zu rein medizinischen Zwecken ist nämlich erlaubt. Denn Kangalfische werden auch Doktorfische genannt. Bei Menschen mit Hautkrankheiten wie Schuppenflechten (Psoriasis) oder Neurodermitis kann die Fisch-Therapie die Symptome lindern. 

Medizinische Behandlungen sind gefragt
Genau auf diese Linderung setzt die Firma «Doctorfish» in Wollerau SZ. Ausgestattet ist der Betrieb seit drei Jahren mit einer Bewilligung des Kantons Schwyz für Zucht, Haltung, Verkauf oder Vermietung von Kangalfischen. «Die Anwendungen mit Kangalfischen sind nur für Personen mit Hautkrankheiten bestimmt. Viele Personen mit Hautproblemen sind nach langjährigen Erfahrungen mit Kortisonsalben verzweifelt und suchen Alternativen. Kosmetische Anwendungen bieten wir nicht an, obwohl eine grosse Nachfrage bestände», unterstreicht Peter Stäubli, Geschäftsführer von «Doctorfish». 

Doch auch die medizinische Behandlung mit Kangalfischen ist gefragt. 95 Franken kostet die Stunde in Wollerau. Die Haltung des Bundes betreffend kosmetische Anwendungen sieht Stäubli kritisch. «Der Bund will die Würde der Fische nicht antasten. Doch für den Fisch macht es keinen Unterschied, ob er für ein kosmetisches Peeling eingesetzt wird oder einen Patienten medizinisch bearbeitet. Er fühlt sich am wohlsten, wenn er an der Haut von Menschen rumsaugen kann.»