Die Region rund um die französische Hauptstadt nennt man Île de France. Hier, im Pariser Ballungsraum, begann um 1840 herum die Geschichte einer neuen Schaf­rasse, als Forscher der veterinärmedizinischen Hochschule in Maisons-Alfort importierte Zuchttiere der englischen Rasse Dishley Leicester in die französischen Merinos von Rambouillet einkreuzten. Während ihrer gezielten Weiterentwicklung hin zu herausragenden Fleischschafen benannte man die Rasse immer wieder um. Zuerst hiess sie Alfort, dann Dishley-Merinos und seit 1922 trägt sie den Namen ihrer Geburtsregion: Île de France oder abgekürzt OIF.

Bereits 1890 als eigenständige Rasse in Frankreich anerkannt, entdeckte das Ausland die Île-de-France-Schafe allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Längst ist die Rasse, die mit fast allen Klimazonen und Geländearten zurechtkommt, über den ganzen Globus verteilt beliebt in der Zucht und in der Fleischschafhaltung. Auch die Schweizer Züchter haben ihren Gefallen an den Tieren gefunden. Allerdings ist die Reinzucht hierzulande erst seit 1995 möglich, als der Import weiblicher Tiere im Zuge des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens Gatt erlaubt wurde.

Davor durfte man nur Böcke aus Frankreich in die Schweiz bringen. So wie dies auch Eugen Wagner tat. Der leidenschaftliche Schafzüchter aus dem st.-gallischen Niederbüren ist Schweizer Île-de-France-Züchter der ersten Stunde. Früher hatte er Weisse Alpenschafe und setzte einen OIF-Bock für mehr Fleisch ein. «Als die Grenzen für Auen aufgingen, war mir sofort klar, dass ich umsteige», erklärt Wagner.

«Weil es Fleischschafe sind und aus Freude am Tier», antwortet er auf die Frage nach dem Warum. Dann gerät Wagner regelrecht ins Schwärmen: «Sie haben einen wunderschönen Kopf und Körper und sind nicht zu gross und nicht zu klein. Ihr Körperbau ist sehr harmonisch mit einer tiefen, breiten Brust und einem breiten Rücken bis hinten ins Gigot hinab.» Die abstehenden Ohren lässt Île de France gewitzt wirken.

Île-de-France-Schafe sind sehr zutraulich und reagieren auf meine Stimme.

Eugen Wagner
Île-de-France-Züchter

Ausgeprägter Mutterinstinkt
Bei Fremden aber sind sie misstrauisch, wie der Trupp, der es sich an diesem sonnig-warmen Tag im Baumschatten gemütlich gemacht hat, trefflich zeigt. Wenn Daniel Müller, der Präsident des Schweizer OIF-Züchterverbandes, mit einem Eimer voller Leckereien lockt, kommen sie durchs Gras angerannt, verziehen sich aber schnell wieder. Betritt allerdings Wagner mit lauten «häle-häle-häle»-Rufen die Weide, umringen sie ihn und holen sich ihre Happen aus dem gelben Eimer. «Sie reagieren auf meine Stimme und sind ihrem Meister gegenüber sehr zutraulich», sagt ebendieser lächelnd.

Schon fast verschmust ist Nenette, das einzig schwarze unter lauter weissen Schafen. Sie sei auch ein reines Île de France, erklärt Wagner. «Ich hatte die Hoffnung, dass es schwarzen Nachwuchs gibt. Das ist aber leider bisher nicht der Fall gewesen.» Nenette ist eines von 20 Muttertieren in Wagners Reinzucht, die er 1995 mit sieben Auen und einem Bock begann. Zwischenzeitlich hatte er drei Herden mit 40 Muttertieren und drei Böcken, 2013 reduzierte er und verteilt die Auen seither auf zwei Böcke.

So vermeidet er Inzucht, wenn die Weibchen später vom anderen Bock Nachwuchs – meist Zwillinge – bekommen. Die Auen seien «gewaltig gute Mütter mit einem sehr stark ausgeprägten Mutterinstinkt», betont Wagner. Ausgezeichnet sei auch ihre Milchleistung. 30- bis 40-mal pro Tag gehen die Lämmer an die mütterlichen Zitzen. Im Schnitt kommt die Rasse auf Tageszunahmen von 400 Gramm, in Wagners Stall sind es über 500 Gramm.

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Austausch mit Züchter-Profis
Wagner, der viele Jahre ein eigenes Giesserei-Unternehmen leitete, sieht sich als reinen Züchter. «Ich würde nie Schafe nur für den Metzger halten.» Doch wenn die Lämmer im Alter von gut drei Monaten abgesetzt werden, macht auch er eine Selektion. Dabei schaut er auf die Ausbildung des Geschlechts, den Körperbau, das Gebiss, die Tageszunahmen und schliesslich die Wolle, die regelmässig, dicht und ausgeglichen sein soll und nicht etwa an den einen Körperstellen zu grob und an anderen zu fein. Sind diese Kriterien erfüllt, kommt das Jungtier in die Zucht. Laut Wagner ist dies bei etwa 60 Prozent seiner Lämmer der Fall.

Die anderen kommen zum Metzger, der nur eine Viertelstunde von Niederbüren entfernt liegt. Dies ist Wagner sehr wichtig: «Er ist nahe und alles geht schnell.» Der Metzger verkauft das Fleisch im eigenen Geschäft und beliefert Hotels. Das Fleisch wird vor allem in der Heimat der Île de France für seinen idealen Fettanteil und seine höchste Güteklasse gerühmt. Das wundert nicht angesichts 180-jähriger gezielter Zucht auf vollfleischige Qualitätslämmer.

In Frankreich sei die OIF-Zucht sehr professionell und die Betriebe hätten 300 Tiere oder mehr, sagt Eugen Wagner. Er reise jedes Jahr dorthin, tausche sich mit den Züchtern aus und hole alle paar Jahre zur Blutauffrischung neue Jung­schafe bei den seiner Meinung nach zehn besten Betrieben des Landes. «Ich habe viel von ihnen gelernt und auf meinem Betrieb umsetzen können.» Mit Erfolg: Wagner hat viele Zuchttiere nach Österreich, Deutschland und Italien exportiert.

Auch Daniel Müller holte 2013 seine ersten Île de France bei Eugen Wagner. Der Toggenburger wollte nicht wie sein Vater und Grossvater eine gemischte Herde haben, sondern «etwas Rechtes». Und so kam er schnell zu den französischen Schafen, die 2004 in der Schweiz als Rasse anerkannt wurden. Im selben Jahr wurde auch der Züchterverein gegründet. Die erst 1995 mit einigen wenigen Île de France auf ein paar Betrieben begonnene Reinzucht ist mittlerweile auf einen Herdebuchbestand von über 500 Tieren auf gut 30 Betrieben in der ganzen Schweiz angewachsen.

www.oif.ch