Wenn eine Kuh Zwillinge auf die Welt bringt, klingt dies erst einmal nach einem Zuchterfolg. Zwei gesunde Kälbchen auf einen Streich – das muss den Züchter doch freuen. Und nach einer Zu-nahme von Zwillingsgeburten von bis zu 10 Prozent auf Schweizer Betrieben in den letzten Jahren, sollte die Freude doch eigentlich stetig zunehmen. Tut sie aber nicht.

Um das besser verstehen zu können, ist einiges an Fachwissen nötig. Beispielsweise, dass bei Rindern fast ausschliesslich, nämlich über 95 Prozent, zweieiige Zwillinge vorkommen. «Grundsätzlich hat ein Rind nur ein Ei, einen Follikel, der pro Zyklus reift und befruchtet werden kann. Doch bei Kühen, die sehr viel Milch geben, in kurzen Abständen trächtig oder schon etwas älter sind, scheint dieser Mechanismus nicht mehr richtig zu funktionieren und es werden zwei Eier befruchtet», sagt Bruno Hüsler, Tierarzt für den Bereich Nutztiere in der Klein- und Grosstierpraxis Grünau in Reiden LU. Zu diesen Gründen kommt – wie bei uns Menschen auch – eine gewisse genetische Veranlagung, das heisst, wenn in der Familie vermehrt Zwillinge vorkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit. 

Leberstoffwechsel spielt eine Rolle
Auch ein Zusammenhang mit dem Leberstoffwechsel, der wiederum den Hormonstoffwechsel der Kuh beeinflusst, scheint zu bestehen. Es sind oft ältere Kühe, die einen verlangsamten Leberstoffwechsel aufweisen, oder Kühe, die in Sachen Milch Hochleistungen erbringen und dabei falsch oder ungenügend gefüttert werden, die davon betroffen sind. Speziell Hochleistungskühe brauchen ausreichend Energie und gleichzeitig genügend Raufutter. Dieses Gleichgewicht zu finden, ist für die Züchter eine grosse Herausforderung. «Zudem weisen Hochleistungskühe relativ häufig unregelmässige Zyklen auf und benötigen hormonelle Unterstützung, um trächtig zu werden, was wiederum eine Zwillingsträchtigkeit begünstigt», sagt Hüsler. 

Das Problem einer Zwillingsträchtigkeit beginnt oft bereits vor der Geburt. «Vor allem späte Aborte, zwischen dem sechsten und achten Trächtigkeitsmonat, sind häufiger», sagt Hüsler. Auch die Fütterung stelle ein Problem dar. Dies, weil meistens der erhöhte Energiebedarf zu spät erkannt wird. Deshalb liegen die Geburtsgewichte von Zwillingskälbern unter dem Durchschnitt von normalen Einlingskälbern. Wichtig ist deshalb, dass die Kuh vor der Trächtigkeit genügend Fettreserven anlegen kann. Insbesondere nach dem Abkalben, wenn die Milch für die Kälber benötigt wird, muss die Kuh sehr viel Energie bereitstellen. Das funktioniert in den meisten Fällen mit der richtigen Fütterung sehr gut. 

Zwickenbildung als Hauptproblem
«Auch Totgeburten sind bei Zwillingsträchtigkeiten häufiger. Denn die Platzverhältnisse in der Plazenta sind eng und es kommt häufig zu schwierigen Geburtsverläufen, die eines Tierarztes bedürfen. Oft wollen beide Kälber gleichzeitig raus und verkeilen sich ineinander», erzählt der erfahrene Grosstierarzt. Nach der Geburt zeige sich dann häufiger als bei einem einzelnen Kalb ein Nachgeburtsverhalten. Die Plazenta, also die Nachgeburt, löst sich nicht von selber ab und kann so nicht ausgestossen werden. Da Zwillingsgeburten häufig vor dem eigentlichen Geburtstermin losgehen, konnten sich die Verwachsungen der Plazenta noch nicht vom Körper lösen. «Die Nachgeburt muss dann manuell entfernt und antibiotisch nachbehandelt werden. Ansonsten kann es zu schlimmen Infektionen kommen», sagt Hüsler. 

Es gibt aber noch ein weiteres Problem in Zusammenhang mit Zwillingsgeburten bei Rindern. Und zwar – abgesehen von einzelnen Fällen bei Ziegen und Schafen – ausschliesslich bei Rindern: die Zwickenbildung. Dazu kommt es in 98 Prozent der Fälle, wenn es sich um zweieiige Zwillinge unterschiedlichen Geschlechts handelt. Das bedeutet, dass der weibliche Zwilling unfruchtbar zur Welt kommt, da seine Geschlechtsorgane unterentwickelt sind. Dies, weil aufgrund der besonderen Plazenta beim Rind auch bei zweieiigen Zwillingen zwischen den beiden Föten sehr viele Gefässverbindungen bestehen. «Das gesamte Gefässsystem der beiden Föten kommuniziert miteinander. So gelangen viele männliche Hormone zum weiblichen Zwilling», erklärt Bruno Hüsler. Dies verhindert die normale Ausbildung der weiblichen Geschlechtsorgane. 

Nachgewiesen werden kann Zwickenbildung über einen Gentest beim Kalb. Wird beim Kuhkalb das männliche Y-Chromosom nachgewiesen, zeigt dies klar, dass die beiden Föten im Bauch der Mutter miteinander verbunden waren. Da ein Gentest aber mehr als 100 Franken kostet, wird er in der Regel nur bei Tieren durchgeführt, die für die Zucht bestimmt sind und die über eine besonders interessante und vielversprechende Abstammung verfügen. «Allenfalls kann man die äusseren Geschlechtsmerkmale überprüfen, denn je nach Schweregrad, weisen Zwicken-Kuhkälber dort sichtbare Deformationen auf. Dies geht sogar so weit, dass sich bei diesen Kuhkälbern eine Art rudimentärer Penis gebildet hat», sagt Bruno Hüsler. 

Es kann auch Segen sein 
Geht ein Kalb sowieso in die Mast, ist also für die Fleischproduktion gedacht, spielt Zwickenbildung keine Rolle. Es ist nur dann massgebend, wenn es ein Kalb betrifft, das für die Zucht in der Milchwirtschaft gedacht war. Um Zwickenbildung in der Milchwirtschaft verhindern zu können, gibt es nur einen relativ sicheren Weg: Die Besamung mit gesextem Samen. Das ist Rindersperma, das nach männlichen und weiblichen Chromosomen sortiert worden ist. So handelt es sich bei den Kälbern, auch im Falle einer Zwillingsträchtigkeit, zu über 90 Prozent um weibliche Nachkommen. 

Trotz all den erwähnten Problemen gibt es auch Züchter, die Milchwirtschaft betreiben und sich über Zwillinge freuen. Auf dem Betrieb von Fritz Reinmann im bernischen Heimenhausen gibt es ab und zu Zwillingsgeburten. «Auf 20 Geburten etwa einmal», sagt der Landwirt und Besamungstechniker. Anders als viele andere Züchter, wirkt Reinmann darüber erfreut. Zu Recht, denn er hat bei den letzten Geburten meist keine Hilfe durch den Tierarzt gebraucht und konnte jeweils beide Kälber behalten. Eben habe er sogar anderthalbjährige Zwillinge gemeinsam auf die Alp geben können. «Wichtig ist meiner Erfahrung nach, dass man eine Kuh, bei der man den Verdacht hat, sie bekomme Zwillinge, besser füttert und betreut», sagt Reinmann. So seien Zwillinge definitiv mehr Segen als Fluch.