Wer sich einen Hund zulegen möchte, hat die Qual der Wahl. Immerhin gibt es rund 350 vom kynologischen Dachverband FCI anerkannte Hunderassen sowie unzählige Kreuzungen und Mischlinge. Da Hunde heutzutage in Familie und Gesellschaft integrierbar sein müssen, steht für die meisten angehenden Hundebesitzer eines fest: Aggressiv sollte der Vierbeiner auf gar keinen Fall sein. Aber spielt die Rasse dafür überhaupt eine grosse Rolle? Oder gibt es noch andere, gegebenenfalls wichtige(re) Kriterien, die die charakterlichen Wesenszüge eines Hundes beeinflussen?

Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Forscherteam um Professor Hannes Lohi von der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Helsinki. Es befragte dafür die Halter von knapp 14 000 Hunden, ob sich ihre Haustiere aggressiv verhielten, also häufig knurrten, schnappten und versuchten zu beissen. Dabei ging es explizit um aggressives Verhalten in angespannten Konfliktsituationen gegenüber Menschen – und nicht um Aggression als Teil ihrer natürlichen Kommunikation mit Artgenossen.

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Alte und Kleine sind aggressiver

Von den rund 9000 reinrassigen Hunden, die an der Studie teilnahmen, verhielten sich knapp 1800 nach Aussage ihrer Halter aggressiv. Die Forscher vermuten allerdings, dass diese Zahl höher liegt, da manche Studienteilnehmer das Verhalten ihres Vierbeiners eventuell beschönigten. Warum ein Hund in bestimmten Situationen ein problematisches Aggressivitätsverhalten an den Tag legt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.

So zeigte die Auswertung der Datensätze, dass unter anderem Alter und Geschlecht eine Rolle spielen. Denn: Aggressives Verhalten nimmt mit den Lebensjahren zu. Ursache dafür können zum Beispiel chronische Schmerzen oder eine eingeschränkte Wahrnehmung sein. Auch neigten in der Studie männliche Hunde zu 72 Prozent häufiger zu aggressiven Reaktionen als weibliche. Eine wichtige Rolle scheint ausserdem die Erfahrung des Halters zu spielen. Ist diese eher gering, zeigt sich der erste Hund häufiger aggressiv. Dieser Punkt führt besonders gut vor Augen, welche Bedeutung Mensch und Erziehung für das Verhalten des Hundes haben.

Video: Hundeverhalten verstehen

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Sanftmütige Labradore und Goldies

Die Untersuchung ergab ausserdem: Viele Hunde knurren, schnappen und beissen aus Angst. Sie sind in bestimmten Situationen schneller überfordert und flüchten sich dann in die körperliche Abwehr. Insbesondere kleinere Hunde zeigten sich in der Studie aggressiver als mittelgrosse oder grosse Hunde. Aufgrund ihrer geringen Grösse wirkten sie allerdings auf ihre Halter meist weniger bedrohlich, so die Interpretation der Forscher. Zu guter Letzt spielt es offenbar auch eine Rolle, ob und wie gut Hunde mit ihren Artgenossen sozialisiert sind. Je mehr Kontakt sie zu diesen haben, desto friedvoller sind sie gegenüber Menschen. Warum dies so ist, können die Forscher allerdings nicht sagen.

Interessant auch: Entgegen der Meinung mancher Experten und Trainer scheint eine Sterilisation keinerlei Bedeutung für das Aggressivitätsverhalten des Hundes zu haben.

Neben den genannten Kriterien untersuchte die Studie auch den Zusammenhang zwischen Rasse und Aggressivitätspotenzial. Das Ergebnis: Langhaar-Collies, Zwergpudel und Zwergschnauzer sowie Deutsche Schäferhunde, Spanische Wasserhunde sowie Lagotti Romagnoli fielen am häufigsten durch aggressives Verhalten auf. Labradore und Golden Retriever dagegen entsprachen tatsächlich ihren Klischees und kamen als sehr friedfertig weg.

Jack-Russell-Terrier und-Chihuahuas, die in früheren Untersuchungen als besonders angriffslustig auffielen, landeten in der aktuellen Studie eher im Mittelfeld. Überraschend auch: Staffordshire-Bull-Terrier, die in einigen Ländern gar nicht mehr gehalten werden dürfen, sind nicht unter den aggressivsten Rassen. So oder so zeigt die Studie: Wer nach einem für seine Lebensverhältnisse passenden Hund sucht, sollte nicht allein auf die gängigen Rassenmerkmale schauen. Unter bestimmten Umständen kann auch ein Goldie zuschnappen oder ein gut geführter Pitbull zum sanftmütigen Kuschelbären werden.