Kaninchen-Verhalten
Graben ist des Kaninchens Lust
Kaninchen graben zuweilen weitverzweigte Tunnelsysteme. Was für den Halter mit Freilaufgehegen lästig sein mag, ist für die Tiere ein lebenswichtiger Unterschlupf, in dem eine klare Hierarchie herrscht.
Kaninchen sind von Natur aus keine Einzelgänger, sondern leben in kleineren oder grösseren Kolonien. Sie sind aufeinander angewiesen, um sich vor Feinden zu warnen und ihre Tunnelsysteme instand zu halten. Der wissenschaftliche Name für die Kaninchen lautet Oryctolagus cuniculus und ist dabei selbstredend, denn er heisst übersetzt «unterirdisch Gänge grabender Hase». Mehrere Autoren haben die Tunnelsysteme von Kaninchen genauer untersucht und dabei diverse Erkenntnisse gewonnen.
Die Tunnelsysteme variieren in der Grösse von einem einfachen Bau mit einem Eingang bis zu extrem komplexen Strukturen mit über 150 Eingängen. Einzelne Gänge können bis zu drei Meter tief in die Erde reichen und 45 Meter lang sein. Kaninchen legen unterirdische Baue vorzugsweise in tiefem, sandigem, lockerem und gut durchlässigem Boden an. Dies aus gutem Grund, denn Jungkaninchen werden von Füchsen oft aus Nesthöhlen in flachen, zu wenig tiefen Böden ausgegraben. Demgegenüber können Jungtiere in Höhlen, die in schlecht entwässerten Böden angelegt worden sind, ertrinken oder an Unterkühlung sterben, wenn das Nest nass wird und seine isolierenden Eigenschaften verliert.
Forscher bestätigten diese Erkenntnis indirekt, als sie in Australien einen fünf Jahre alten Kaninchenbau untersuchten, der 150 Eingänge und eine Gesamttunnellänge von 517 Metern hatte. Es wurde geschätzt, dass 10,35 Kubikmeter Erde aus dem Tunnelsystem ausgegraben worden waren. Analysen ergaben eine harte, wenig wasserdurchlässige Bodenschicht in 60 bis 70 Zentimeter Tiefe. Die Tiefe des Baus war durch diese harte Schicht begrenzt und Überschwemmungen im Tunnelsystem führten immer wieder zum Tod von Nestjungen.
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Um das schottische Edinburgh vermassen Forscher mehrere Tunnelsysteme. Von diesen wurden 31 über zwei Meter lange Tunnel auf Struktur und Verbindungen sowie der Einfluss der Bodenzusammensetzung und Hangneigung auf ihre Form untersucht. Für jeden Bau wurden sieben Parameter gemessen:
(i) Gesamtlänge, (ii) Anzahl der Eintrittslöcher, (iii) Anzahl der Verbindungen, (iv) Anzahl der Enden, (v) durchschnittliche Länge der Abschnitte zwischen den Löchern, Verbindungsstellen und Enden, (vi) durchschnittliche Tiefe und (vii) maximale Tiefe.
Dabei zeigte sich: je tiefer der Bau, desto weniger Eintrittslöcher, und je kürzer die durchschnittliche Abschnittslänge, desto mehr Verbindungen. Tunnelsysteme im Sand – also der bevorzugte Untergrund – hatten im Durchschnitt weniger Löcher und Verbindungsstellen und entsprechend längere Elementlängen, eine höhere durchschnittliche Tiefe und das Dreifache des eingeschlossenen Volumens pro Loch als Systeme in anderen Bodenbeschaffenheiten oder in Hanglagen.
Nicht nur die Tunnelstruktur wies dabei ein gewisses Muster auf, sondern auch das Sozialleben der Tiere. Bei einer hohen Tierdichte gab es eine etablierte Hierarchie: Ein Rammler dominierte das Gebiet, während Sekundärrammler ihr Unterterritorium innerhalb dieses Areals hatten. Der dominante Rammler sicherte dabei seine Stellung durch ständige Patrouillengänge im Territorium, Kämpfe oder aggressives Verhalten.
Zibben für Grabung zuständig
Sobald die Hierarchie festgelegt war, zogen sich die Sekundärrammler zurück, wenn sich ihnen der dominante Rammler näherte. Auf diese Weise wurden Kämpfe im Allgemeinen vermieden und eine geordnete Gesellschaft über längere Zeit aufrechterhalten. Die Dominanz hing dabei in der Regel vom Alter ab: Junge Rammler sicherten sich selten eine beherrschende Stellung, bevor sie 18 Monate alt waren.
Auch bei den Zibben gab es jeweils ein dominantes Tier, um dessen Bau sich das Leben der ganzen Gruppe drehte, bestehend aus ihren Nachkommen, ihrem Partner und anderen Tieren, die mächtig oder unterwürfig genug waren, um eine Position im Bau zu halten. Die dominante Zibbe war die Partnerin des dominanten Rammlers und sie genoss seinen Schutz und die Sicherheit der besten Position, nämlich im Zentrum des gesamten Kaninchenbaus. Hier setzte sie auch ihre Würfe, während weniger gut situierte Zibben ihre Würfe normalerweise in kleineren, weniger zentral gelegenen Höhlen platzierten.
Was ist zu tun bei Gehegehaltung?Das Graben von Tunneln gehört zur natürlichen Lebensweise von Kaninchen, kann aber für Züchter und Halter mit Freilaufgehen lästig sein. Denn bleiben die Tunnel unentdeckt und reichen sie unter dem Zaun hindurch, können die Tiere entweichen oder – wohl noch schlimmer – Raubtiere eindringen. Darum ist es wichtig, die frisch gegrabenen Tunnel bald wieder zuzuschütten und eventuell abzudecken, damit die frische, gelockerte Erde nicht zu erneutem Graben anregt. Das kann zugegebenermassen zur Sisyphusarbeit werden; zum Abdecken haben sich etwa Gartenplatten bewährt. Ein seitlich in den Boden eingelassener Zaun verhindert zwar nicht das Graben, erschwert aber das Untergraben des Zauns innert kürzester Zeit. Er sollte mindestens 50 Zentimeter in den Boden reichen. Die sicherste Variante dürfte jedoch sein, beim Anlegen eines Freilaufs ein Drahtgeflecht auf der ganzen Gehegefläche einzulassen und mit 30 bis 50 Zentimeter Erde zu überschütten, bevor darüber Gras gesät wird. So wir das Gehege für Kaninchen ausbruchsicher.
Die Arbeitsteilung war dabei klar: Die Zibbe war für den grössten Teil des Grabens und der Errichtung eines Tunnelsystems verantwortlich, das sich ursprünglich aus der Erweiterung einer Wurfhöhle entwickelte. Der Rammler beteiligte sich nicht an dieser Arbeit und kümmerte sich auch nicht um die Jungtiere. Er tolerierte junge Kaninchen, die in dem von ihm besetzten Kaninchenbau geboren wurden, solange sie von seiner Partnerin gesäugt wurden, und danach, solange sie bei seiner Annäherung unterwürfig blieben oder sich zurückzogen. Sowohl Zibbe als auch Rammler griffen sich nähernde junge Kaninchen an, die ausserhalb ihres Baus geboren wurden. Dadurch hatten ihre eigenen Nachkommen einen sozialen Vorteil gegenüber anderen jungen Kaninchen und es war wahrscheinlicher, dass sie ihrerseits dominante Positionen beerbten.
Dichtestress vorhanden
Wichtig bei der Kaninchenhaltung – egal ob in Gehegen oder grosszügigen Boxen – war genügend Platz. Denn infolge von Überfüllung und Überweidung stieg die physische und psychische Belastung und Spannungen nahmen zu, sodass schliesslich die Lebendgeburten im Vergleich zur Anzahl erwachsener Tiere immer weiter zurückgingen. Dabei war die Kokzidiose die einzige auffällige und identifizierte Krankheit, die bei Dichtestress eine gewisse Mortalität verursachte. Die Prädation von Säuglingen durch Bussarde und Wildkatzen verursachte die schwerste direkte Sterblichkeit in dieser Altersgruppe.
Aus diesen Erkenntnissen geht hervor, dass Tiere im Freilauf unbedingt geschützt werden müssen. Denn selbst wenn ihnen das Graben erlaubt ist, so bieten Tunnelsysteme keinen allumfassenden Schutz. Eine Abschirmung gegen Raubvögel – zumindest für Jungtiere oder womöglich Zwergkaninchen – und ein Schutz vor Raubtieren am Boden sind unerlässlich, ebenso wie der Schutz vor unwirtlicher Witterung. Und der nötige Platz beugt Dichtestress sowie Aggressionen zur Verteidigung eines Territoriums vor. Wer dem Wohlergehen der Kaninchen Rechnung tragen will, trennt alle Tiere vor Erreichen der Geschlechtsreife. Das beugt ganz natürlich einer unerwünschten Vermehrung und womöglich lebensbedrohlichen Verletzungen vor.
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