Neue Erkenntnisse
Vom Wildkaninchen zum flauschigen Haustier
Kaninchen wurden etwa 600 nach Christus von französischen Mönchen domestiziert. So dachten auch Wissenschaftler der renommierten Universität Oxford in England, bis sie auf Ungereimtheiten stiessen und die Geschichte neu schreiben mussten.
Kaninchen galten bislang als eines der jüngsten Haustiere überhaupt, später als Rind, Hund oder Schaf sollen sie zum Begleiter des Menschen geworden sein. Um 2011 tauchte die Geschichte auf, dass Papst Gregor I., der von 590 bis 604 nach Christus im Amt war, einst habe verlauten lassen, dass man während der Fastenzeit Kaninchenföten essen dürfe. Dies mit der heute absurd anmutenden Erklärung, dass Kaninchenföten als Meerestiere und somit nicht als Fleisch gelten würden. Darauf basierend ging man davon aus, dass Mönche in Frankreich – und später in ganz Europa – um 600 nach Christus damit begonnen haben, Kaninchen als Haus- und Nutztiere zu halten. Sie sollen demnach fleissig Wildkaninchen eingefangen und in ihren Klostergärten vermehrt haben. Bis aus ihnen schliesslich nach über tausend Jahren der selektiven Zucht das domestizierte Kaninchen wurde, das wir heute als Haus- und Rassetier kennen.
In dieser Form erschien diese Geschichte in einer wissenschaftlichen Studie und wurde seither viel und gerne zitiert. Es gibt nur ein Problem: Sie ist höchstwahrscheinlich falsch. Fake News eben. Papst Gregor I. hat Kaninchenföten wohl gar nie zu Fischen ernannt, und die Haustierwerdung des Kaninchens fand nicht in einem bestimmten Jahrzehnt oder gar Jahr statt, sondern war ein Prozess, der mehrere Jahrhunderte in Anspruch nahm.
Die Publikation einer Forschergruppe um Greger Larson von der renommierten englischen Universität von Oxford legte kürzlich dar, dass sich die ersten Kaninchen schon deutlich früher in der Obhut des Menschen befanden. Eigentlich war die Forschergruppe mit der Erbinformation des Kaninchens beschäftigt; die Mitarbeiter wollten eine Methode zur genetischen Altersbestimmung daraufhin prüfen, ob man damit auch die Haustierwerdung von Tieren datieren kann.
Dazu verglichen die Forscher die Erbinformation von heutigen Hauskaninchen mit derjenigen von Wildkaninchen. Die Erwartung war, dass die Abstammungsanalyse eine Trennung der Erblinien vor ungefähr 1400 Jahren anzeigen würde. Die Forscher rechneten fest damit, so die historische Überlieferung der Haustierwerdung 600 nach Christus – und damit die Geschichte um Papst Gregor I. – zu bestätigen.
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Schon in der Steinzeit domestiziert?
Doch weit gefehlt! Die Analysen zeigten, dass Wild- und Hauskaninchen in jüngerer Zeit keinen gemeinsamen Vorfahren hatten. Im Klartext: Die Trennung zwischen Wild- und Hauskaninchen und somit die Haustierwerdung musste schon viel früher stattgefunden haben. Für die Geschichte um Papst Gregor I. fand sich also kein Nachweis. Das überraschte Larson und seine Mitarbeiter, da die Geschichte mit den Fisch-Kaninchen in der Welt der Wissenschaft als breit akzeptiert galt. Und so gingen sie der Sache genauer nach.
Die genetische Altersbestimmung datierte die Abspaltung der ersten Hauskaninchen vom Wildkaninchen auf die letzte Eiszeit, die vor rund 10 000 Jahren endete. Eine Domestizierung also, die deutlich früher stattfand als bei vielen anderen Haustieren. In der Tat deuten die Resultate der Forscher darauf hin, dass der Prozess der Domestizierung des Wildkaninchens irgendwann vor 17 700 bis 12 200 Jahren seinen Anfang nahm.
Eine genaue Angabe ist schwierig, da sich der Zeitraum mit der letzten grossen Eiszeit deckt und es damals wohl diverse Wildkaninchenpopulationen gab, die durch die Eismassen getrennt waren. Archäologische Hinweise für grosse Populationen fanden sich in Südwestfrankreich, Nordspanien und Italien. Und schliesslich könnte es auch sein, dass die Forscher ganz einfach die falschen heutigen Wildkaninchen als Referenz genommen haben und dass andere Wildkaninchen viel näher mit unseren Hauskaninchen verwandt sind.
Doch wie ging nun die Haustierwerdung vonstatten? Trotz der Ungenauigkeit im Datum lässt sich mit grosser Sicherheit sagen, dass Wildkaninchen schon in der Altsteinzeit in Europa gejagt wurden, also vor mehr als 12 000 Jahren. Dies belegen Knochenfunde. Die Römer fanden Wildkaninchen auf der Iberischen Halbinsel vor und haben – so die schriftliche Überlieferung – die Langohren in ihr Reich mitgeführt und vor 2500 Jahren auf einigen wenigen Mittelmeerinseln verbreitet; die Balearen werden hier häufig als Beispiel genannt.
Der römische Gelehrte Marcus Terentius Varro gab seiner Frau im ersten Jahrhundert vor Christus genaue Anweisungen, wie Kaninchen in Freilaufgehegen neben Hasen zu halten und später bis zur Schlachtung in Kaninchenställen zu mästen seien. Aus der Zeit kurz nach Christi Geburt stammt eine Schrift von Plinius dem Älteren, die den Konsum von Kaninchenföten als Delikatesse beschreibt. Später hatten die Römer und auch die Menschen im Mittelalter Wildkaninchen in grösseren Gehegen gehalten und vermehrt, um sie zu essen.
Grundstein für heutige Zucht
Die grossflächige Verbreitung in Europa setzte aber wohl erst nach 900 nach Christus ein. Ab dieser Zeit galten sie als Nahrungsmittel für Leute mit hohem Status. Später erst – ab dem 18. Jahrhundert – wurden sie zu Haustieren, mit den dafür typischen morphologischen Unterschieden zwischen Haus- und Wildkaninchen, wie beispielsweise Veränderungen des Skelettes. Die eigentliche Zucht auf äussere Merkmale begann in dieser letzten Phase und legte den Grundstein für die heutige Rassekaninchenzucht.
Keine dieser Aktivitäten gilt als entscheidendes Ereignis für die Haustierwerdung, aber sie alle zusammen machen den Prozess aus, der über Jahrtausende vom Wild- zum Hauskaninchen geführt hat. So mag es einige Jahrhunderte gedauert haben, bis sich Kaninchen in der Obhut des Menschen gut vermehrten; und nochmals einige Jahrhunderte, um kleine oder besonders grosse Kaninchen oder solche mit einer bestimmten Fellfarbe zu züchten. Ein solch kontinuierlicher Prozess widerspricht dem intuitiven Verständnis des Menschen, wonach die Haustierwerdung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu geschehen habe, so die Forscher um Greger Larson. Aber einen solchen Zeitpunkt sucht man beim
Kaninchen vergebens.
Wohl auch deshalb hat sich die Geschichte mit den Fisch-Kaninchen in französischen Klöstern so lange gehalten und wurde nicht hinterfragt. Aber woher kommt die Geschichte dann? Vermutlich wurden dabei zwei historische Personen vermischt: Papst Gregor I. und Gregor von Tours. Die beiden Gregors lebten zur selben Zeit und Gregor von Tours erwähnte als Geschichtsschreiber, dass Leute während der Fastenzeit Kaninchenföten essen würden. Diese Nachricht wurde wohl weitererzählt, etwas hinzugefügt und weggelassen, und so kam es zu der Geschichte mit Papst Gregor I. und den Fisch-Kaninchen.
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