Der Maikäfer ist ein Sympathieträger über alle Generationen hinweg: Die Älteren kennen ihn noch von «Max und Moritz», die Jüngeren mögen ihn als Schokofigur. Vor allem aber ist der Maikäfer ein Frühlingsbote. Sobald die braunen, bis zu drei Zentimeter langen Käfer in die Lüfte steigen, ist klar: Der Winter ist überwunden, der Frühling da.

Doch bevor der Maikäfer fliegen kann, verbringt er knapp drei Jahre unter der Erde. Dort schlägt er sich als Larve, Engerling genannt, mit Wurzeln von Gräsern, Kräutern und Bäumen den Magen voll, bis er eine Länge von bis zu 7 Zentimetern erreicht. Einmal an der Oberfläche, geht das grosse Fressen weiter: Egal ob Eichen, Buchen, Ahorn, Lärchen, Birken oder Obstbäume: Der Maikäfer frisst in seinen Gebieten innert kurzer Zeit ganze Bäume kahl – ganz zum Leidwesen der Landwirtschaft, wie Christian Schweizer erklärt. Er ist seit 35 Jahren Maikäferforscher bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, und weiss, was Maikäfer anrichten können: «Durch den Kahlschlag unter der Erde fällt das Futter aus. Dann müssen die Weideflächen wieder eingesät und bearbeitet werden.» Das bringt hohe Kosten für die betroffenen Landwirte mit sich. Schätzungen von Agroscope zufolge verursachen Maikäfer in der Landwirtschaft jährlich Schäden von bis zu 5000 Franken pro Hektare. 

Engerlinge vor Gericht
Dass der Maikäfer ein richtiger Plaggeist sein kann, weiss man nicht erst seit gestern. Das erste überlieferte Massenauftreten des Schädlings in der Schweiz stammt aus dem Jahre 1479. Damals wurde die Berner Landschaft von einer verheerenden Engerlingsplage heimgesucht. Da die Berner sich nicht mehr zu helfen wussten, wurden sie beim zuständigen Bischof von Lausanne vorstellig. Dieser nahm sich des Problems an und griff zu einer eher ungewöhnlichen Methode: Er liess den Engerlingen offiziell verkünden, sie sollten sich binnen sechs Tagen an einen Ort zurückziehen, wo sie keinen Schaden anrichten könnten. Als die Mahnung nicht wirkte, zitierte der Bischof die Schädlinge vor den Richterstuhl. Da sie auch dieser kirchlichen Weisung keine Folge leisteten, wurden die Engerlinge schliesslich offiziell mit dem Kirchenbann belegt. Was für uns wie tiefstes Mittelalter klingt, dauerte bis ins 19. Jahrhundert an. Maikäferbeschwörungen sind in der Schweiz zuletzt von 1891 überliefert. 

Die letzte grosse Maikäferplage in der Schweiz trat Ende der 1940er-Jahre auf und dürfte vor allem den damaligen Landbesitzern noch lebhaft in Erinnerung geblieben sein. Selbst in den Städten wurden die Leute zum Einsammeln der Käfer verpflichtet. In Grenchen zum Beispiel hatte jeder Pflanzgartenbesitzer aufgrund seiner bewirtschafteten Fläche eine gewisse Menge Maikäfer zu sammeln. Erreichte er die errechnete Menge nicht, musste er pro fehlendes Kilo Maikäfer 50 Rappen Busse bezahlen. Übertraf man hingegen das Soll, wurden bis zu 80 Rappen pro Kilogramm ausbezahlt – für manch ein Kind der Nachkriegszeit ein willkommener Batzen. Die so eingesammelten Maikäfer wurden dann entweder verbrannt oder den Schweinen verfüttert.

Doch nicht nur bei Schweinen kamen die Maikäfer auf den Teller. Im 19. Jahrhundert assen auch Menschen die braunen Käfer. In Deutschland zum Beispiel wurde die Maikäfersuppe 1844 im Magazin für die Staatsarzneikunde als ein «vortreffliches und kräftiges Nahrungsmittel» gepriesen. Die Anleitung dazu war denkbar einfach: Pro Person werden etwa 30 Maikäfer gewaschen, mit einem Mörser zerstossen und in Butter gekocht. Anschliessend kocht man die Käfer mit Fleischbrühe auf, siebt das Ganze ab und richtet das Mahl mit geröstetem Brot an. Der Autor empfiehlt, für die Suppe nicht jene Maikäfer auszuwählen, die Laub von Eichen gefressen haben – die hätten nämlich einen etwas bitteren Geschmack. 

Natürlicher Feind bekämpft Maikäfer
In den 1970er-Jahren begannen die Forscher, neue chemische Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung der Maikäfer zu testen. DDT, Lindan oder Hexalo erwiesen sich zwar als wirkungsvoll, hatten aber fatale Nebenwirkungen, wie Christian Schweizer erklärt. «Sie vergifteten nicht nur die Maikäfer, sondern liessen auch die Schalen von Vogeleiern dünner werden, sodass deren Brut zurückging.» Auch in der Bevölkerung war die Methode aufgrund der grossen Sympathien für den Maikäfer bald umstritten. 1973 musste im Kanton Thurgau eine vorbereitete Spritzung wegen starker Opposition der Bewohner abgesagt werden. 

Seither wird der Maikäfer an der Forschungsstation Agroscope in Reckenholz-Tänikon systematisch untersucht. «Wir analysieren Schäden, stellen Prognosen für die Flugjahre auf und beraten die Kantone mit unserem Wissen über die Biologie des Maikäfers in der Bekämpfung der Schädlinge», erklärt Schweizer. In den 1990er-Jahren stiess die Forschungsanstalt auf einen natürlichen Feind des Maikäfers: den Pilz Beauveria brongniartii. Der lässt sich inzwischen auf Gerstenkörner impfen, die mit einer speziellen Sämaschine in befallene Wiesen eingearbeitet werden. Diese Methode ersetzte vor bald 20 Jahren die inzwischen verbotene chemische Bekämpfung. Die Kosten der Landwirte für die Behandlung der Felder werden je nach Kanton zu einem Teil übernommen. 

Mit dem Pilz werden bis zu 80 Prozent der Engerlinge in der bearbeiteten Fläche getötet. «Uns geht es nicht darum, den Maikäfer auszurotten», hält Schweizer fest. Vielmehr müsse man ein Gleichgewicht finden, mit dem sowohl die Bauern als auch die Maikäfer überleben können. «Mit unserer Methode sind die Maikäfer nicht mehr schädlich, sondern erträglich.» 

Flug nach Temperatursumme
Agroscope macht zwar keine Erhebungen zur Anzahl der Maikäfer in der Schweiz. Trotzdem könne ein Rückgang der Käfer seit den 90er-Jahren festgestellt werden. «Sie haben sich vor allem in die voralpinen Gebiete zurückgezogen», sagt Schweizer. Das habe aber nicht nur mit dem Pilz zu tun, sondern auch damit, dass es kaum noch naturbelassene Wiesen gebe. «Der Engerling muss drei Jahre im Boden leben», erklärt Schweizer. «Wenn der Boden jedes Jahr mit Maschinen umgegraben wird, haben die Larven keine Chance.» So ist die Verbreitung der Maikäfer eng verknüpft mit der Ausbreitung der Agglomerationen, mit Ackerbau und Naturpflege. 

Wann die ersten Maikäfer in den Regionen jeweils fliegen, lässt sich übrigens einfach errechnen, wie Schweizer erklärt. Der Maikäferflug funktioniert nach einer sogenannten Temperatursumme. Ab dem 1. März des Jahres wird gerechnet: Erreicht die durchschnittliche Tagestemperatur mehr als 8 Grad, zählt man die jeweilige Differenz zu dieser Mindesttemperatur zusammen. Erzielt die Summe das Total von 256 plus / minus 14 Grad, kommen die Maikäfer aus dem Boden und fliegen los. «Wie auf einen geheimen Befehl», sagt Schweizer. Dadurch sei es möglich, recht genaue Prognosen zu machen. Und die Bauern haben die Möglichkeit, die Obstbäume mit Netzen zu schützen.