Es war kurz vor Mitternacht an einem Sonntag Mitte Juni, als Christina Cuk etwas Merkwürdiges von ihrer Stube aus sah. «Der Kirschbaum schwankte und dann sprang ein Puma aus dem Geäst, der etwas im Maul trug, was wie eine braunschwarze Hauskatze aussah.» Cuk lebt in Kanada in einem dicht besiedelten Quartier namens Edgemont Village im Norden Vancouvers, nahe einer Schule und vielen Läden. Nie hätte sie mit einem Puma (Puma concolor), der viertgrössten Wildkatze der Welt, in ihrem Garten gerechnet. 

Der herbeigerufene Wildhüter inspizierte den «Tatort» und entdeckte Krallenspuren am Baum. Der Puma blieb indes unauffindbar. Damit war das Drama aber noch nicht zu Ende. Um drei Uhr morgens wurde Cuk von Geräuschen geweckt. Der Puma war zurückgekehrt und griff zwei Waschbären an. Der Wildhüter kam morgens mit Spürhunden, die die Raubkatze in etwa 30 Meter Entfernung stellten. Da viele Familien mit kleinen Kindern in der Umgebung leben, wurde der Puma, ein etwa einjähriges Weibchen, erschossen.

«Es ist ein schönes Tier und es ist schade, dass es getötet werden musste», sagte eine Mutter in der Nachbarschaft, «aber wir müssen unsere Kinder schützen.» Der Puma von Edgemont Village ist bei Weitem nicht das erste Exemplar, das in diesem Frühling in einer belebten Gegend in der westkanadischen Metropole Vancouver auftauchte. In diesem Jahr wurden den Wildhütern zwischen April und dem 23. Juni 2015 auf dem Stadtgebiet von Vancouver 99 Sichtungen von Pumas gemeldet. Das ist eine erstaunlich hohe Zahl im Vergleich zu den 126 Meldungen für das gesamte Jahr 2014. 

Heisses Wetter macht die Jagd schwer
Im Mai mussten Wildhüter eine dieser Raubkatzen nahe dem bekannten Einkaufszentrum Park Royal erschiessen. Ein Puma, der in West-Vancouver auf Balkonen und Terrassen von Wohnhäusern beobachtet worden war, musste ebenfalls sein Leben lassen.

In der warmen Monaten steigt die Zahl jeweils noch deutlich an. «Sommer ist Hochsaison, besonders für Pumas», sagt Wildhüter Todd Hunter, «und vor allem während heisser, trockener Phasen.» In diesem Jahr war bereits der Frühling in der Westprovinz British Columbia aussergewöhnlich trocken. So fielen im Mai nur vier Millimeter Regen, während der Durchschnittswert 65 Millimeter ist.

Den Pumas geht es eigentlich gut in British Columbia, dank reichlich Wild in allen Regionen. Aber bei heissem und trockenem Wetter verlieren die Pumas die Fährte von Wild schneller. So weichen diese Grosskatzen auf Haustiere aus, und die finden sie in urbanen Gebieten besonders häufig. Was Pumas ebenfalls in städtische Gebiete treibt, ist die stetige Verkleinerung ihres Lebensraums durch Siedlungen, Strassen und Holzschlag. Ein männlicher Puma durchstreift ein Jagdgebiet, das zwischen 150 und 1000 Quadratkilometern gross ist. 

Nicht nur die Bewohner von Vancouver müssen mit dem Auftauchen von Pumas rechnen. Auch in Calgary, der grössten Stadt in der Provinz Alberta, sorgte eine der Raubkatzen für Aufsehen, als sie um ein Krankenhaus schlich. Wiederum entschieden die Wildhüter, das Tier zu töten und nicht nur zu betäuben. Falls es davonrenne und man seine Spur verliere, sei das zu gefährlich, hiess es.

Die Behörden mahnen die urbane Bevölkerung im Westen Kanadas, Haustiere nachts hereinzunehmen und vor allem bei Kindern Vorsicht walten zu lassen. Denn obwohl Angriffe mit Todesfolge für den Menschen sehr selten sind, sind Pumas gefährlich. Bekannt sind sie vor allem dafür, Kinder als Beute zu sehen, wahrscheinlich wegen der hohen Stimmen und weil sie klein sind und ihre Bewegungen hektisch. Die Wildhüter raten, sich im Fall einer Begegnung mit einem Puma gross zu machen und – im Falle einer Attacke – sich mit allen Kräften zu wehren. Mehrere Menschen haben so in der Vergangenheit einen Angriff überlebt.