Tierwelt 23/2013
Der sagenumwobene Papagei ist keine Legende mehr
In abgelegenen Gebieten Afrikas leben viele Vogelarten, die wir sonst nur aus der Voliere kennen. Ein Juwel ist ein kaum je in freier Wildbahn beobachteter Papagei. Eine Reportage aus Kenia.
Fröstelnd schäle ich mich aus dem Schlafsack. Das Feuer in der Hütte ist längst ausgegangen. Alles ist kalt, die Kleider feucht. Draussen glitzern im ersten fahlen Licht die Tautropfen am Tussokgras wie bei uns in Feldern an einem Spätherbsttag. Es ist 5 Grad Celsius, ich befinde mich auf 2800 Meter Höhe am Äquator mitten in Afrika.
Durch den Kopf gehen mir Berichte von britischen Entdeckungsreisenden aus dem 19. Jahrhundert, denen die Londoner Gesellschaft nicht glaubte, als sie von Schnee am Äquator berichteten. In warme Kleider eingehüllt, streife ich durch die Berglandschaft mit Ansammlungen von Erikagewächsen. Am Hang gegenüber der Lodge des Kenya Wildlife Service, in der meine Führer und ich übernachteten, scheint sich ein grauer Felsblock zu bewegen. Etwas mächtig Graues verschwindet in diesigem Licht in der mehrere Meter hohen Baumheide, um später auf der anderen Seite wieder aufzutauchen. Es ist ein einsamer Elefantenbulle, der seines Weges zieht und mit seinem Rüssel hie und da Gras zupft. Nun sendet die goldene Sonne ihre ersten Strahlen über den östlichen Hügelzug und taucht die afrikanische Höhenlandschaft der Aberdares in warmes Licht. Die ersten Tacazze-Nektarvögel erwachen und besuchen die Blüten der mächtigen, urzeitlich wirkende Riesenlobelien, die an den Hängen ihre grossen, rosettenartigen Blätter entfalten.
Metallisch schwarz bis grün schillert das Gefieder der Männchen der Nektarvögel, während die Weibchen gelbbräunliche Federn tragen. Die Männchen der Goldschwingen-Nektarvögel sind auch zugegen. Sie unterscheiden sich durch mehr Gelbanteil in den Flügeln. Die Schnäbel der Nektarvögel sind wie Sicheln gebogen.
Kenia ist ein bekanntes Reiseziel, doch die Aberdares werden kaum von Touristen aufgesucht. Die Reisenden bleiben alle beim legendären Tree Tops Hotel am Eingang des grossen Nationalparks – dort, wo die junge Elizabeth am 6. Februar 1952 vom Tod ihres Vaters in England vernahm und zur Königin proklamiert wurde.
Zwischen den Ästen einer Steineibe turnen die gesuchten Vögel herum
«Wir werden sie sehen», sagt der fröstelnde Samuel Mugo zuversichtlich, als er mein etwas angespanntes und besorgtes Gesicht wahrnimmt und doppelt nach: «Ganz bestimmt.» Nun, ich bin da nicht so sicher. Handelt es sich bei der Aussage des ausgewiesenen Ornithologen nur um einen Versuch, mich zu trösten und aufzumuntern, so wie das in Afrika oft geschieht? Gestern sind wir den ganzen Tag durch den Nationalpark gestreift und haben Steineiben unter die Lupe genommen, die Nahrungsbäume der Reichenows Kongopapageien, die ich so gerne beobachtet hätte. Doch nur weit entfernt flitzten Punkte durch, die Samuel Mugo gelassen als Kongopapageien identifizierte.
Der Land-Rover rumpelt über die Hochebene, verwundert schauen uns Defassa-Wasserböcke nach. Ich bin von den Alpen in dieser Höhenlage schroffe Gebirgsketten gewohnt, doch die Aberdares sind runde, vulkanische Hügel, wie ins Land geworfene Murmeln. Die Abhänge sind bis auf über 2500 Meter bewaldet. Nairobi, die Hauptstadt Kenias, liegt auf ungefähr 1600 Meter über Meer.
kt gebannt empor und zeigt verhalten in die Äste einer Steineibe. Jetzt sehe ich sie auch! Ein Ast wippt im leichten Wind, dahinter ziehen graue Wolken durch und geben blauen Himmel frei. Am Ast turnt ein kompakt wirkender, grüner Papagei mit oranger Stirn. Es ist ein Reichenows Kongopapagei! Er hat es auf die reifen, roten kleinen Beeren des Baumes abgesehen, die überall an den äusseren Ästen reifen. Etwa sechs Exemplare machen wir aus, die im Baum turnen, alle darauf erpicht, von den Früchten zu fressen. Einmal fliegen zwei Tiere auf einen kahlen Baum unterhalb unseres Standortes, verschwinden dann aber schnell wieder im Grün der Steineibe. Brillenvögel huschen den Ästen entlang, wohl auf der Suche nach Läusen.
Wenn es ums Fressen geht, dann vergisst der Kongopapagei plötzlich seine Scheu
Die Steineibe (Podocarpus latifolius) gedeiht in Höhenlagen zwischen 1500 und 3350 Meter über Meer. Die Bäume werden sehr alt und bis zu 35 Meter hoch. Ihre Äste sind verzweigt und voller Flechten, denn in höheren Lagen schweben oft Nebelfetzen den Hängen entlang. Reichenows Kongopapageien ernähren sich hauptsächlich von den Früchten dieser Bäume. «Wo reife Früchte sind, da sind die Papageien nicht weit», meint Mugo und lächelt zufrieden, da meine Begeisterung offensichtlich ist. Bereits vor einigen Jahren suchte ich diesen Papagei, über den kaum etwas bekannt ist, im Mount-Meru-Gebiet Tansanias. Leider hatte ich damals nicht den richtigen Führer und darum keinen Erfolg. «Wenn der Kongopapagei frisst, vergisst er seine Scheu. Als Kinder konnten wir ihn viel häufiger und grössere Schwärme beobachten. Wir hielten die roten Früchte der Steineiben in unseren offenen Händen, und einige Reichenows Kongopapageien landeten gar darauf, um sie zu fressen», berichtet Mugo. «Wie bei uns die Lachmöwen auf dem Schönausteg in Bern, die mir während meiner Kindheit Brot aus der Hand frassen», denke ich.
Weissschwanzguerezas sitzen in Astgabeln und lassen ihr Fell an der Sonne trocknen. Hinter ihnen ziehen sich Hügel und Abhänge voller urtümlichen Waldes weit in das Land. Der gelassene Blick dieser Stummelaffen schweift über die Weiten, und ich denke an das Afrika der unbegrenzten Freiräume, der Ruhe und der grossartigen Schönheit, so wie ich es mir immer erträume. Als am Nachmittag ein heftiges Gewitter durch die Aberdares zieht, kalter Wind um die Fishing Lodge bläst und heftiger Regen auf das Blechdach prasselt, kann ich mich entspannt und getrost meinen Notizen widmen: Der Reichenows-Kongopapagei ist nicht mehr eine Legende, sondern ich habe ihn tatsächlich ausgiebig beobachten können, dank Samuel Mugo, dem kenntnisreichen Ornithologen Kenias. Dennoch ist kaum etwas zum Leben dieses Papageis bekannt: Auch Mugo hat noch nie einen Brutbaum gefunden, erzählt mir lediglich, dass die Bestände der Aberdares manchmal an die Abhänge des Mount Kenya flögen, dass es in den Aberdares aber deutlich mehr dieser Papageien habe.
Bartvögel verschiedener Arten leben gemeinsam
Wir verlassen die Aberdares über das Motubio Gate und fahren entlang der südlichen Flanke in das Rift Valley hinunter. Immer mal wieder grasen Zebras in der Savanne. Unser Ziel ist ein ganz anderer Lebensraum, der Kakamega Forest, der in der Nähe des Viktoriasees liegt. Entlang einer lehmigen, rötlichen Strasse wuchern herrliche Thunbergia, die Schwarzäugige Susanne, die inmitten von blauen Winden blüht. Wundersame tropische, grünlich und bläulich schillernde Schmetterlinge flattern wie Paradiesvögel von Blüte zu Blüte.
Auf einem nahen Teefeld pflücken Männer und Frauen die obersten, hellgrünen Teeblättchen. Am Rand des Feldes fliegt ein Doppelzahn-Bartvogel auf einen schräg wachsenden Bambusast. Es ist nicht der einzige Bartvogel, den ich beobachten kann. Auch der Trauerbartvogel und der schmucke Gelbschnabelbartvogel flattern plötzlich aus dem Dickicht. Ein Verbund von afrikanischen Bartvögeln! Plötzlich rauscht und braust es in der Kronenschicht des Regenwaldes. Ein Grauwangenhornvogel fliegt auf einen Ast und krallt sich gleich in luftiger Höhe an einen Baumstamm fest. Nun erkenne ich, dass der Hornvogel sein Weibchen versorgt, das in einer eingemauerten Höhle sitzt. Das Männchen schiebt das Futter durch einen kleinen Schlitz im Lehm. Während das Weibchen brütet und innerhalb ungefähr dreier Monate die Jungen aufzieht, macht es eine komplette Mauser durch.
Im Kakamega Forest gedeiht die Pflanzen- und Tierwelt des tropischen Zentralafrikas. Viele Vogelarten, die sonst nur in den Regenwäldern West- und Zentralafrikas vorkommen, können hier beobachtet werden. Einst breiteten sich solche Wälder entlang des Viktoriasees aus. Durch die zunehmende Bevölkerung und wegen Holzschlag verschwanden sie aber, sodass nur noch der Kakamega Forest übrig blieb.
An einem nebligen Morgen mit grauem Himmel pfeift es durch den Wald. Weit in der Ferne begrüssen Graupapageien den jungen Tag. «Noch vor einiger Zeit gab es den Graupapagei in Kenia fast nicht mehr. Heute sieht es wieder besser aus, im Kakamega Forest hat sich eine kleine Population etabliert», sagt Ben Obanda, Ornithologe aus der Stadt Kakamega. Er kennt die Vorkommensgebiete der Vögel der Region genau und untersucht regelmässig ihre Bestände. Die Frage, ob der Graupapagei wirklich in Kenia vorkommt, beschäftigte mich lange. Er ist ein Regenwaldbewohner und meidet menschliche Zivilisation. Eigenartigerweise etablieren sich aber entflogene Käfigvögel in Städten. So können immer wieder Graupapageien in Nairobi beobachtet werden. Der Kakamega Forest ist wohl die östlichste Verbreitungszone des Graupapageis. Am Yala-Fluss, der den Wald durchströmt, sitzt ein Schwarzbrustspint und erhascht ein Insekt in schnellem Flug. Tiefer im Wald an einer offenen Stelle ruhen auf einem mimosenartigen Baum zwei Milchuhus und blinzeln müde in den Tag.
Im Nakuru-Nationalpark scheint die Zeit stehen geblieben zu sein
Als Joseph Mwangi, der Fahrer, und Samuel Mugo mich auf Meyers-Papageien aufmerksam machen, deren Silhouetten sich schwarz vom bleiernen, abendlichen Himmel abheben, sind wir in einem anderen Gebiet Kenias: im Nakuru-Nationalpark, der vom gleichnamigen See dominiert wird, der vor allem durch seine vielen Flamingos bekannt ist. Das Seewasser hat einen bedeutenden Salzanteil, sodass Spirulina-Algen gedeihen, die von den Flamingos aus dem seichten Wasser geseiht werden. Meyers-Papageien sind typische Bewohner der afrikanischen Savanne. Die beiden Tiere machen sich über Samenkapseln von Akazien her, während eine Schar von Helmperlhühnern am Boden zetert.
Plötzlich kreisen am Himmel segelnd grosse Vögel. An die hundert Weissstörche lassen sich in der Steppe nieder. Es ist jetzt Anfang Februar. Sie werden schon bald Richtung Norden ziehen und ihre Horste auch auf Hausdächern bauen. Anders der Schwarzstorch, den wir anderntags in einem lichten Akazienwald erblicken. Er meidet menschliche Siedlungen und brütet hauptsächlich noch in den osteuropäischen Wäldern.
Doch auch beliebte Volierenpfleglinge tummeln sich im Nakuru-Nationalpark. So sind die Dreifarbenglanzstare immer eine Augenweide, wie sie am Boden in der Erde nesteln und mit Vorliebe gruppenweise in Akazienbüschen sitzen. Veilchenastrilde und Schmetterlingsfinken sind kleine, farbige Punkte, die am Boden nach Sämereien suchen. Die Temperatur in den Nächten im Nakuru-Nationalpark im kenianischen Rift Valley sinken zwar unter 20 °C, doch sind sie angenehm und lange nicht so kalt wie noch zu Beginn der Reise in der Hütte in den Aberdares.
Ostafrika ist ein Hort der Artenvielfalt: Nirgendwo sonst tummeln sich noch grosse Tierherden in wilder Savanne, streifen Elefanten unter Euphorbien durch und zupfen Giraffen Blättchen von Akazien, während Klippschliefer sich auf Steinen sonnen und gelassen über den Nakurusee blicken. So wie es wohl schon vor Jahrtausenden war, als urzeitliche Menschen im Rift Valley erstmals aufrecht gingen.
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