Stellen Sie sich eine Libelle vor, die einen Frosch frisst. Unmöglich? Nicht ganz. Tatsächlich müssen wir ein Entwicklungsstadium tiefer ansetzen, dann finden wir dieses Bild. Libellenlarven ernähren sich nämlich unter anderem von Kaulquappen. 

Kolosseum für Kaulquappen
Kein Wunder, steigt das Stresslevel von Kaulquappen, werden sie mit ebensolchen Larven in einen Topf geworfen, wie das Forscher der Universität von Michigan gemacht haben. Genauer gesagt haben sie die Kaulquappen in ein Versuchsbecken gesteckt und dann die Libellenlarven – in einem kleinen Käfig, damit die Frösche in spe sicher vor ihnen sind – eingelassen. Anschliessend begann die Raubtierfütterung: andere Kaulquappen wurden in den Käfig einschlossen und den Libellen zum Frass vorgeworfen – vor den Augen ihrer Artgenossen.

Die so geopferten Kaulquappen schütten in ihrer Todesangst Pheromone aus, die ihre Artgenossen vor der Gefahr warnen sollen. Die Pheromone wiederum sorgen für eine Überproduktion des Stresshormons Corticosteron (das Hormon hat eine ähnliche Wirkung wie beim Menschen Cortisol). Nachdem die Forscher die Kaulquappen über mehrere Tage hinweg diesen Alarm-Pheromonen ausgesetzt haben, zeigten sich deutlich gesteigerte Corticosteron-Werte bei den Tieren.

Fluchtwerkzeug wird verbessert
Versuche mit den Pheromonen und mit dem Stresshormon haben beide denselben Effekt ergeben: Die Schwänze der Kaulquappen wuchsen in die Breite, während ihr Rumpf kleiner wurde. Laut Robert Denver, Professor für Evolutionsbiologie ist dies «der erste Beweis, dass ein Stresshormon die Morphologie eines Tieres verändern kann».

Länger schon war bekannt, dass Umwelteinflüsse Tiere dazu bringen können, ihre körperliche Entwicklung zu verändern. Beispielsweise reagieren Kaulquappen auf austrocknende Teiche, indem sie die Metamorphose zum Frosch beschleunigen.

Die Reaktion auf das Stresshormon bringt übrigens tatsächlich Vorteile mit sich, wenn es ums Überleben der Kaulquappen geht. Die flinkeren Tiere mit breitem Schwanz – auch das wurde getestet – hatten eine deutlich höhere Überlebenschance gegen die Libellenlarven als die Testgruppe mit normalen Schwänzen.

Hormon wirkt direkt auf Schwanz
Überrascht hat die Wissenschaftler noch etwas: als sie abgetrennte Kaulquappenschwänze in Petrischalen mit dem Stresshormon Corticosteron einlegten, begannen sie tatsächlich zu wachsen. Das Hormon wirkt also nicht über Umwege, sondern direkt auf den Schwanz.

Interessant ist dies, weil Stresshormone – gerade beim Menschen – genau das Gegenteil auslösen: Das Wachstum von Zellen wird behindert. Chronischer Stress sorgt bei Menschen für Muskelschwund.