Besser ein Loch im Flügel als eins im Kopf. So lautet die Prämisse der Schmetterlinge. Viele von ihnen haben deshalb im Laufe der Evolution grosse, runde Flecken auf ihren Flügeln ausgebildet, die den Augen von grösseren Tieren ähneln. Diese haben verschiedene Funktionen. Einerseits wird vermutet, dass sie – ähnlich den Augen auf Pfauenfedern – der Werbung um mögliche Partner dienen. Andererseits sind sie aber auch ein Schutz vor Fressfeinden.

Die runden Flecken auf den Flügeln der Schmetterlinge können räuberische Tiere für einen kurzen Moment verwirren, sodass ihr Angriff um ein paar Augenblicke verzögert wird – und der Schmetterling schon ausser Reichweite ist. Sie können dem Feind aber auch eine falsche «Zielscheibe» vermitteln, damit dieser den Flügel angreift und beschädigt, anstelle den empfindlichen Kopf oder Rumpf des Tieres zu erwischen.

Fünf Generationen pro Jahr
Nun leben Schmetterlinge aber zu verschiedenen Jahreszeiten. Fünf Generationen pro Jahr sind es beispielsweise beim Augenfalter Bicyclus anynana, übers ganze Jahr verteilt. Er lebt vorwiegend in Ostafrika, vom Süden des Sudan bis nach Swaziland. Das Klima dort wechselt im Laufe des Jahres von nass-warm zu trocken-kühl. Und so wechseln auch die Raubtiere, die zu unterschiedlichen Jahreszeiten unterwegs sind.

Während der Regenperioden sind etwa Fangschrecken unterwegs, die es auf die Schmetterlinge abgesehen haben, während der kühlen Trockenzeit sind Vögel die grössten Feinde. Um sich an diese Gegebenheiten anzupassen, haben die Schmetterlinge sich einen Prozess namens «phänotypische Plastizität» angeeignet. Dies bedeutet, dass zwei genetisch völlig identische Tiere völlig unterschiedlich aussehen können. Je nach Temperatur während ihrer Entwicklung. 

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 Der Schmetterling in der kühlen Trockenzeit.
 Bild: Antonia Monteiro/Oregon State University

Der richtige Fleck zur rechten Zeit
So haben Schmetterlinge, die in der heissen Regenzeit aus ihrem Kokon schlüpfen, grosse Augenpunkte auf Farbenprächtigen Flügeln, die den Fangschrecken als Warnung dienen. Die weit grösseren Vögel in der kühlen Jahreszeit würden sich von etwas grösseren Flecken nicht abschrecken lassen, deshalb tragen die dann geborenen Schmetterlinge ein tarnfarbenes Kleid mit ganz kleinen Punkten. Dies macht es den räuberischen Vögeln schwer, ihre Beute überhaupt aufzuspüren.

«Die richtigen Augenflecken zu haben, erlaubt den Schmetterlingen, lange genug zu leben, um sich fortzupflanzen und ihre Gene an die nächste Generation weiterzugeben», sagt Katy Prudic von der Universität von Oregon, die mit ihrem Team die Flügelmuster von Bicyclus anynana untersucht hat. «Mit den falschen Augenflecken zur falschen Zeit werden sie ganz schnell zur Beute der Fangschrecken.»

Originalpublikation:
Kathleen L. Prudic et al.: «Eyespots deflect predator attack increasing fitness and promoting the evolution of phenotypic plasticity», Proc R Soc B 2014.
doi:10.1098/rspb.2014.1531