Fischwanderungen
Kraftwerke machen den Weg frei für Forellen und Lachse
Viele Fischarten müssen flussaufwärts wandern können. Allzu oft verhindern Kraftwerke dies. Fischtreppen geben den Tieren ihre Bewegungsfreiheit, ohne dass die Nutzung der Wasserkraft eingeschränkt wird.
Noch ist die Halbinsel im Bielersee bei Hagneck eine einzige riesige Baustelle. Ab kommendem Herbst aber werden sich hier Biber, Reptilien, Lurche und Vögel tummeln. In den Wasserläufen unterhalb der beiden Wasserkraftwerke und in den Bächen, die das Gelände durchziehen, sollen sich Fische ihren Weg flussaufwärts suchen. Vor allem den Seeforellen und Barben, aber auch anderen Fischarten, sollen die Fischtreppen dienen, wie Daniel Bernet, Bereichsleiter im Fischereiinspektorat des Kantons Bern erklärt. «Wir hoffen, dass mittelfristig auch der Lachs wiederkommt.»
Als das Wasserkraftwerk Hagneck vor über 100 Jahren gebaut wurde, war es nicht nur eines der Herzstücke der Juragewässer-Korrektion und eines der ersten Grosswasserkraftwerke der Bernischen Kraftwerke, sondern auch ein unüberwindliches Hindernis für ziehende Fische. Zuvor waren Jahr für Jahr Tausende von Lachsen vom Meer bis in die kleinen Bäche im Mittelland und in den Alpen gezogen, um zu laichen. Doch der Lachszug hörte innerhalb weniger Jahre auf, als die grossen europäischen Flüsse für die Stromproduktion entdeckt und alle paar Kilometer Stauwehre erstellt wurden – allein zwischen dem Bielersee und Basel sind es 19.
Über 80 Stufen acht Meter überwinden
Heute will man zwar nicht auf die erneuerbare Energie aus der Wasserkraft verzichten. Trotzdem gebieten Gesetze, Abkommen und das Verständnis für natürliche Zusammenhänge, Hindernisse für die Fische aus dem Weg zu räumen. Für das Kraftwerk Hagneck, das ohnehin erneuert werden musste, bedeutete dies, dass eine ausgeklügelte Fischtreppe erstellt wurde. Diese erlaubt es den Fischen, das Kraftwerk zu passieren und ihren Weg flussaufwärts fortzusetzen. 15 Millionen Franken lässt sich die Bielersee Kraftwerke AG die Umweltmassnahmen kosten, das sind rund zehn Prozent der Gesamtkosten, wie Projektleiter Thomas Richli vorrechnet. Davon macht das Umgehungsgerinne, wie die Fischtreppe auch genannt wird, einen grossen Teil aus.
Sollen die Fische diese Fischtreppen wirklich benützen, ist ein Punkt entscheidend: Sie müssen den Einstieg finden. Lockströmungen zeigen ihnen deshalb selbst im aufgewühlten Wasser unterhalb des Kraftwerks an, wo der Weg langgeht. Denn Fische suchen ihren Weg stets aufgrund der Strömungen.
Der Neubau des Kraftwerks Hagneck besteht im Grunde aus zwei Kraftwerken. Im westlich gelegenen Hauptkanal wurde das hundertjährige Wehr durch ein neues sowie ein Turbinenhaus ergänzt. Wenige Meter weiter oben zweigt östlich ein Seitenarm ab, der die Turbine im alten Kraftwerk antreibt. Im mehrere Hektar grossen Dreieck zwischen den beiden Armen ist seeseits ein grosszügiges Auwald-Gelände vorgesehen.
Der landseitige Spickel ist durchzogen von mehreren Bächen, in denen das Wasser munter zwischen in Querreihen stehenden Steinblöcken hindurchplätschert. Auf dem Weg über rund 80 dieser Stufen sollen dereinst Fische ungehindert die acht Meter Höhendifferenz des Wehrs überwinden können. Die Fischtreppe weist sowohl naturnahe wie technische Abschnitte auf. Am Schluss wird die Anlage auch anderen Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten.
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Thomas Richli (links) und Daniel Bernet sind zuversichtlich, dass die Fische ihren neuen Weg finden werden. Bild: Thomas Uhland |
Jeder Fisch wird gezählt
Fischtreppen werden schon seit längerer Zeit gebaut, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg. «Es liegt an den Details, ob eine Fischtreppe funktioniert», betont Daniel Bernet. So muss der untere Eingang möglichst nah am Wehr liegen. Liegt er jedoch zu nah, kann es sein, dass schwächere Fische ihn nicht erreichen können, weil die Strömung zu stark ist. Nicht alle Fischtreppen entlang der wichtigen Fischzug-Routen funktionierten heute optimal, meint Bernet.
In Hagneck haben die Fische deshalb im westlichen Kanal die Wahl zwischen zwei Einstiegen: einem, der etwa 50 Meter unterhalb des Wehrs liegt, und einem direkt am Turbinenhaus. Dazu kommt ein Einstieg im östlichen Kanal, gleich unterhalb des Kraftwerkgebäudes. Sie treffen in einem kreisrunden Becken zusammen, das von einem weiteren Bach gespiesen wird, der seinen Anfang oberhalb des Kraftwerks hat. Durch ihn können die Fische aufsteigen und haben danach wieder freie Bahn – wenigstens bis zum nächsten Kraftwerk in Aarberg.
An zwei Stellen werden die Bäche von weiterem Wasser gespiesen, um an jeder Stelle einen genügenden Wasserstand und eine Lockströmung zu garantieren. Auch wenn nur 1,2 Prozent der Gesamtwassermenge durch die Fischtreppe abläuft: Das Wasser soll nicht ungenutzt bleiben, weshalb in die Zuläufe kleine Dotierturbinen eingebaut wurden.
Die Kraftwerksbetreiber sind nicht nur verpflichtet, eine Fischtreppe zu bauen, sie müssen auch nachweisen, dass diese ihren Dienst versieht. Kurz vor dem oberen Ausgang befindet sich deshalb ein Fischzählbecken, in dem die Tiere kurzfristig gefangen werden. «Hier werden die Fische täglich von Auge gezählt, und zwar jeder Fisch», erklärt Thomas Richli.
Im Moment fliesst bereits Wasser durch die Fischtreppe, diese ist allerdings noch nicht im Vollbetrieb, und auch das Zählbecken funktioniert noch nicht. Ab Oktober soll dann die volle Wassermenge die künstlichen Bäche hinuntergelassen werden. Hoch- und Niederwasser bewirken allerdings, dass die Fischtreppe nicht jederzeit nutzbar ist. Zehn Monate im Jahr, so ist es vorgeschrieben, muss sie für die Fische benützbar sein.
Die Fische wollen allerdings nicht nur auf- , sondern auch absteigen. Auch dies war bis vor einiger Zeit ein Abenteuer, das viele von ihnen mit dem Leben bezahlten. Anders als beim Aufstieg, den sie sich gegen die Strömung erkämpfen und daher mit Fischtreppen um die Kraftwerke herum geleitet werden können, lassen sich Fische beim Abstieg mehr oder weniger meerwärts spülen. Sie werden oft in die Turbinen gezogen, wo drehende Turbinenteile oder der Druckunterschied viele von ihnen verletzen oder töten.
Russisches Roulette in der Turbine
In modernen Kraftwerken werden deshalb Turbinentypen gebaut, die den Fischen einen ungefährlicheren Abstieg erlauben. Die horizontale Kaplanturbine im Kraftwerk Hagneck dreht mit relativ bescheidenen 107 Umdrehungen pro Minute. Weil die vier Schaufeln grosse Zwischenräume lassen, haben die Fische gute Chancen, bei dem Russischen Roulette mit dem Leben davonzukommen. Rechnerisch liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit bei 90 Prozent. Das scheint eine hohe Zahl zu sein. «Doch wenn bei Langdistanzwanderern wie dem Lachs bei jedem Kraftwerk zwischen dem Brienzersee und Rotterdam ein Zehntel der Tiere stirbt, kommen nicht viele an», sagt Daniel Bernet.
Eine andere Möglichkeit ist die Abschirmung der Fische vor dem Turbineneinlauf und die Umleitung um die Turbine herum. In Hagneck werden die Fische bei den Dotierturbinen und bei der alten Zentrale mit Feinrechen daran gehindert, in die Turbinen zu schwimmen. Auf der Oberseite der beiden grossen Zentralen gibt es zudem mehrere Einlässe, durch die absteigende Fische in die Fischtreppe geleitet werden. Befriedigende Lösungen für Anlagen in der Grösse von Hagneck seien noch nicht gefunden, sagt Daniel Bernet. «Die Forschung ist aber in vollem Gang, auch international.»
Forscher der ETH Zürich zum Beispiel tüfteln an einem neuen System. Ein Spezialrechen oberhalb des Kraftwerks soll die Strömungsverhältnisse so verändern, dass zwar die Menge und die Kraft des Wassers für die Energiegewinnung nicht wesentlich reduziert wird, die Fische aber an den Turbinen vorbei in ein Umgehungsgerinne geleitet werden.
Welche Variante auch gewählt wird – auch «grüne» Energieerzeugung bleibt immer ein Eingriff in die Natur. Dank moderner Technik finden Tiere aber trotzdem ihren Platz.
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