Arachnophobie
«Mami, mach die Spinne weg»
Viele haben Angst vor Spinnen. Viel mehr als vor stechenden Insekten. Dabei ist das zumindest in Mitteleuropa überhaupt nicht angebracht. Phobikern kann eine Therapie helfen.
Schüttelfrost, Schweissausbrüche und Körperstarre – all das hat André Angstmann bereits an Menschen beobachtet, die sich vor Spinnen fürchten. Gemeinsam mit dem Biologen Samuel Furrer bietet der Psychologe am Zoo Zürich regelmässig Kurse gegen die Angst vor Spinnen oder Schlangen an – immerhin mit einer «fast hundertprozentigen Erfolgsquote», wie er sagt. Wobei die Ängstlichen nach dem fast vierstündigen Seminar etwa einen Monat lang täglich üben müssen, damit die in ihrem Hirn seit Langem gebahnte Angst sozusagen auf Abwege gerät. Denn Angstreaktionen haben sich gut eingenistet und laufen durch schwache Reize wie automatisch ab. Um sie loszuwerden, muss das Gehirn mühsam umlernen.
Während manche Grundängste, etwa die vor einem tödlichen Abgrund, vor Feuer oder einem jähen Knacken im Unterholz, angeboren sind, erlernt oder erfährt der Mensch viele Ängste während seines Lebens, oft schon ganz früh. Bereits Kleinkinder beobachten sehr genau, wie ihre Mutter oder andere wichtige Bezugspersonen reagieren, wenn sie eine Spinne an der Decke oder auf dem geliebten Teddy entdecken; sie schauen sich das Erschrecken buchstäblich ab – Mädchen übrigens leichter als Jungs, wie der US-amerikanische Psychologe David Rakinson herausfand. Für Eltern folgert daraus, dass sie verantwortlich mit eigenen Ekelgefühlen und Ängsten umgehen sollten, damit familiäre Angsttraditionen möglichst unterbrochen werden.
Schon Jeremias Gotthelf hat der Spinne teuflische Eigenschaften angedichtet
Spinnen machen es uns ja auch wahrlich nicht leicht, sie hübsch zu finden. Mit ihren acht Beinen und sechs bis acht Augen zählen sie nur für wenige Menschen zu den possierlichen Tieren; zudem fangen sie ihre Beute scheinbar heimtückisch in Netzen und töten häufig durch Gift – schon das finden Menschen bedrohlich. Hinzu kommen laut Angstmann Vorurteile oder Schockerlebnisse, etwa wenn Kinder einem womöglich ohnehin furchtsamen Altersgenossen eine dicke Kreuzspinne unters Hemd stecken und das Tierchen dann wild krabbelnd zu flüchten versucht.
Immer wieder hat man den Achtbeinern auch üble oder gar teuflische Eigenschaften anzuhängen versucht. Solche Projektionen nutzte beispielsweise Jeremias Gotthelf (1797–1854), in dessen grusliger Novelle «Die Schwarze Spinne» der Teufel Verderben in Gestalt einer Spinne über ein Dorf bringt, weil die Dörfler zwar seine Hilfe gegen einen unbarmherzigen Ritter in Anspruch genommen hatten, sich dann aber weigerten, ihm das versprochene ungetaufte Kind zu opfern.
So ist die Spinne durch ihr sonderbares Aussehen und ihre flinken Bewegungen (darin der Schlange gleich) mit der Zeit zum hinterhältigen Ekelwesen geworden. Nicht besser wird die Sache dadurch, dass der moderne Mensch viel weniger Kontakt mit Spinnen hat als unsere bäuerlich lebenden Vorfahren, die sie tagtäglich in Ställen oder in Feld und Flur beobachten konnten.
Im Grunde aber ist Spinnenangst höchst selten angebracht. Nur wenige der weltweit über 40 000 Arten dieser Tierordnung können bei einem Biss Gift ins Gewebe spritzen, das Menschen – vor allem Kinder – töten kann. Das gilt zum Beispiel für die acht Arten Brasilianischer Wanderspinnen oder die Sydney-Trichternetzspinne. In Mitteleuropa kommt keine Spinnenart vor, deren Gift für Menschen tödlich wäre.
Der Biss der Gartenkreuzspinne zum Beispiel durchdringt meist nicht einmal unsere Haut; er juckt uns höchstens wie ein Mückenstich. Nur wenig schmerzt auch der Biss der Grossen Winkel- oder Hausspinne, die aber stets zu fliehen versucht, statt ihr aufwendig produziertes Gift an einen übermächtigen Gegner zu verschwenden. Selbst der Ammen-Dornfinger, der ein durchaus schmerzhaftes Gift zu injizieren vermag, weil seine Giftklauen unsere Haut durchdringen, ist bei Weitem nicht lebensbedrohlich, es sei denn, jemand reagiert allergisch auf das Toxin. Auch von den anderen rund tausend Spinnenarten in der Schweiz geht für Menschen keine oder keine nennenswerte Gefahr aus.
In der Schweiz gibt es laut Experten nur ganz wenige Spinnenbisse pro Jahr
Obwohl die Angst vor Spinnen zumindest in unseren Breiten also unbegründet ist, überschätzen nicht nur die meisten medizinischen Laien die gesundheitlichen Risiken eines Spinnenbisses, sondern auch viele Ärzte, wie Wolfgang Nentwig vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern herausgefunden hat. Der Spinnenforscher wollte wissen, ob die weitverbreitete Angst vor den Achtbeinern auch eine medizinische Grundlage hat. Zusammen mit Ärzten hat Nentwig erstmals Daten zu Spinnenbissen in der Schweiz gesammelt und ausgewertet, bei denen die Urheber der Bisse auch tatsächlich gefangen worden waren (siehe «Tierwelt» Nr. 35/2013 und «Tierwelt Online»).
In den meisten Fällen nämlich lassen sich die Vorfälle nicht sauber überprüfen, auch und gerade bei den wenigen Todesfällen in fernen Erdgegenden, die Spinnen zur Last gelegt werden. «Es gibt zahlreiche Belege, dass trotz Diagnose Spinnenbiss die Ursache etwas ganz anderes war», sagt Nentwig. Deshalb rät er bei Horrormeldungen grundsätzlich zu Skepsis und genauem Hinschauen.
Das gilt auch für Mediziner, sofern sie sich überhaupt jemals eingehend mit dem Erkennen von Spinnenbissen befasst haben. Im Rahmen seiner Nachforschungen registrierte Nentwig 14 Spinnenbisse, die von fünf einheimischen Arten stammten, so etwa von der Hauswinkelspinne. Alle Bisse riefen nur leichte Symptome hervor: schwache Schmerzen, Rötungen und Schwellungen.
Am Schluss des Kurses traut sich fast jeder, eine Vogelspinne zu berühren
Viel angebrachter wäre hierzulande die Angst vor Wespen und Bienen, auf die viele Menschen allergisch reagieren. An ihren Giften sterben in Europa «mehrere Menschen pro Jahr», sagt Nentwig, während weltweit «seit fünfzig Jahren kein einziger Todesfall wegen einer giftigen Spinne registriert wurde», nicht einmal in Ländern wie Brasilien oder Australien, wo die gefährlichsten Spinnen umherwuseln. Doch Stiche von Bienen und Wespen sind uns nun einmal deutlich vertrauter. Viele Menschen konnten deshalb die Erfahrung machen, dass diese zwar arg schmerzen können, uns in der Regel aber nicht töten. Und woran wir uns gewöhnen können, das jagt uns mit der Zeit immer weniger Angst ein.
Wie aber wird man die Furcht vor Spinnen los? André Angstmann behandelt sie in seinen Kursen verhaltenstherapeutisch – durch schrittweise erfolgende Desensibilisierung sowie Konfrontation mit dem Angstgegner: «Zuerst erzählen die Teilnehmenden über ihre Erlebnisse», sagt der Psychologe. Dann betrachten die Kursteilnehmer das Wort «Spinne» und versuchen es umzudeuten. «Das negativ Besetzte wird durch einen weniger bedrohlichen Zusatz ergänzt, zum Beispiel: Das ist keine hässliche, sondern eine interessante Spinne.»
Im nächsten Schritt betrachten die Teilnehmer das Bild einer Spinne, schauen dann in ein geschlossenes Terrarium, hören dann wieder etwas Theorie über die Achtbeiner, bis sie sich schliesslich mit einer echten Spinne konfrontieren. «Alles wird angekündigt», betont Angstmann, «die Teilnehmenden entscheiden selbst, wie weit sie gehen wollen.» Der Kurs zeigt Wirkung, denn am Ende traue sich «praktisch jeder», eine haarige Vogelspinne zu berühren. Spinnerei? Offenbar keineswegs.
Die etwa monatlich stattfindenden Kurse gegen Spinnen- und Schlangenangst im Zürcher Zoo sind bis Ende 2013 ausgebucht (ab 14 Jahren, Fr. 270.– pro Person; Info: Tel. 044 254 25 33 oder hier).
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