Die Männchen der Pfeilgiftfroschart Allobates femoralis gelten eigentlich als fürsorgliche und umsichtige Väter. Verhaltensforscherin Eva Ringler von der Vetmeduni Vienna und ihr Team konnten zeigen, dass sie sich zumeist um alle Gelege in ihrem Territorium kümmern, sogar wenn sie in den Wochen zuvor kein eigenes Gelege befruchtet hatten. Diese Kinderfreundlichkeit legen die Froschmännchen allerdings ab, wenn sie ein neues Gebiet erobern konnten, wie die aktuelle Studie des Forschungsteams gezeigt hat. In diesem Fall fressen die Väter nämlich alle Gelege im neuen Gebiet auf.

Kindsmord im Tierreich nicht selten
Kannibalismus und Kindsmord sind keine Seltenheit im Tierreich. Derartiges Verhalten kommt unter anderem bei Raubkatzen, Primaten, Insekten, Fischen und Vögeln vor. Häufig steckt hinter dem Fressen von fremdem Nachwuchs eine sexuelle Motivation: Weibchen werden ohne den Nachwuchs meistens schneller wieder paarungsbereit. So erhöhen die Kannibalen die Chancen auf eigenen zukünftigen Paarungserfolg und vermindern gleichzeitig den Fortpflanzungserfolg ihrer Konkurrenten.

Ganz anders verhält es sich dagegen bei den Pfeilgiftfröschen. Hier sind die Männchen für die Brutpflege zuständig. Das Fressen fremder Gelege durch Männchen dient definitiv nicht der Manipulation von Weibchen, sondern eher der Vermeidung von Fürsorge fremder Nachkommen. Dabei scheinen Männchen sowohl bei der Brutpflege, als auch beim Kannibalismus einem einfachen Auslöser zu folgen.

Gelege im eigenen Revier werden verschont
In beiden Fällen – Brutpflege und Kannibalismus – ist das Territorialverhalten der Männchen entscheidend. Im eigenen Gebiet, das die Männchen üblicherweise lautstark und vehement verteidigen, kommt es ihnen nicht in den Sinn, dass eines der Gelege nicht ihres sein könnte. Deshalb werden all jene Kaulquappen, die sich innerhalb des Territoriums befinden, zu geeigneten Wasserstellen getragen, wenn die Zeit reif ist.

Erobern sie dagegen das Gebiet eines Rivalen, werden die männlichen Pfeilgiftfrösche zu Kannibalen und holen sich damit gleich mehrere Vorteil für sich selbst. Zum einen bereinigen sie das Gebiet komplett vom Rivalen, der damit nicht nur sein Gebiet, sondern auch seinen Nachwuchs verliert. Sämtliche Gelege des Vorgängers aufzufressen, bedeutet auch, dass die Männchen sich danach über die Vaterschaft aller zukünftigen Gelege sicher sein können. Ausserdem stellen Gelege eine nahrhafte Kost dar.

Experiment im Terrarium
Der Nachweis dieses Verhaltens – initiiert durch eine Beobachtung im Freiland – gelang Ringler und ihrem Team in einem Versuch, bei dem sie eine GruppeMännchen in einem Terrarium quasi ein neues Gebiet erobern liessen. Eine zweite Gruppe verblieb in ihrem angestammten Revier. In beiden Fällen platzierten die Forschenden fremde Gelege in den Terrarien. Während die Männchen in der ersten Gruppe zu Kannibalen wurden und die fremden Gelege verschlangen, verschonten die Männchen in der Kontrollgruppe die fremden Eier und transportierten diese sogar mehrheitlich zu den angebotenen Wasserstellen.

Das Verhalten in der Natur sieht Ringler ähnlich konsequent. «Im natürlichen Lebensraum kommt es regelmässig zu Revierstreitigkeiten und Gebietseroberungen. Es ist damit sehr wahrscheinlich, dass es in diesen Fällen häufig zu Kannibalismus kommt», so die Forscherin. Mit dem kannibalistischen Verhalten wird dem Rivalen zudem ein weiterer Grund genommen, das Gebiet zurückzuerobern, da er seine Nachkommenschaft verliert.

Für Ringler ergibt sich durch ihre Ergebnisse ein neuer Blickwinkel auf das Auftreten von Kannibalismus im Tierreich: «Bei den Pfeilgiftfröschen hat sich gezeigt, dass ein einfacher Auslöser reicht, um zwischen einer extrem destruktiven Handlung und elterlicher Fürsorge zu wechseln.» Während in anderen Tierarten Individuen aus sexueller Motivation oder Hunger zu Kannibalen werden, scheint bei Pfeilgiftfroschmännchen hingegen rein der Territoriumsstatus der Auslöser zu sein.

Verhalten wie beim Menschen im Mittelalter
Das Verhalten der männlichen Pfeilgiftfrösche erinnert damit an Konflikte im Mittelalter, als bei Eroberungen nicht nur ein Herrscher gestürzt und getötet wurde, sondern auch gleich seine Nachkommen. Damit wurde verhindert, dass sie den Thron beanspruchen.