Brutkannibalismus gab Wissenschaftlern lange Zeit Rätsel auf. Warum fressen bei manchen Fischen die Eltern regelmässig einen Teil oder sogar alle ihrer eigenen Nachkommen auf? Äussere Faktoren wie eine plötzliche Nahrungsknappheit bieten häufig keine befriedigende Erklärung. Forscher der Universität Tübingen sind dem Phänomen bei Strandgrundeln auf den Grund gegangen und zum Schluss gekommen: Es liegt an Unterschieden im Wesen der einzelnen Fische – und das Verhalten bietet Vorteile.

Bei den Strandgrundeln (Pomatoschistus microps) sind nach der Eiablage durch die Weibchen die Männchen für die Brutpflege zuständig. Sie wachen teilweise über mehrere Gelege von verschiedenen Weibchen, reinigen das Nest und fächeln den Eiern zur besseren Versorgung Sauerstoff zu. Immer wieder lässt sich beobachten, dass sie die sorgfältig umhegten Eier teilweise fressen. Das Team um Martin Vallon und Katja Heubel konnte zeigen, dass unter gleichen Umweltbedingungen generell aktivere Individuen auch mehr Eier aus ihren Gelegen frassen. Sie stellten die Hypothese auf, dass der Kannibalismus Teil eines generellen Verhaltensmusters der Fische ist, eine Art überschiessender Nebeneffekt der Aktivität, die das Männchen nicht optimal steuern kann. «Allerdings hat ein allgemein aktives Tier in anderen Situationen aber vermutlich Vorteile, sodass das Verhaltensmuster in der Evolution erhalten bleibt», erklärt Katja Heubel in einer Mitteilung ihrer Universität.

Gar nicht so widersinnig?
Dennoch läuft der Brutkannibalismus nicht gänzlich ungesteuert ab. Dies legt eine weitere Studie desselben Forscherteams nahe. So fressen männliche Strandgrundeln häufiger jüngere Eier. Diese sind gegenüber den älteren, weiter entwickelten weniger wertvoll, weil die Männchen mit ihnen noch weniger brutpflegerischen Aufwand hatten und theoretisch jeder weitere Tag Entwicklungsprobleme offenbaren könnte. Die Chancen für den Jungfisch stehen also kurz vor dem Schlupf besser. Umgekehrt sind die jüngeren Eier für das erwachsene Männchen nahrhafter. «Die Fischmännchen machen sich nicht wahllos über die Eier im Gelege her», sagt Heubel. «Verschiedene Annahmen besagen zudem, dass durch den widersinnig wirkenden Kannibalismus geschädigte Eier beseitigt werden könnten oder dass durch die Reduzierung der Zahl das Restgelege besser mit Sauerstoff versorgt wird» Es sieht so aus, dass hinter dem destruktiv und widersprüchlich wirkenden Brutkannibalismus ein angepasstes Verhaltensmuster stehen könnte.