Artfremde Mutterliebe
Wenn die Löwin ein Antilopenbaby adoptiert
Dass sich Tiere auch mal um die Jungen anderer Tiere ihrer Art kümmern, ist nicht ungewöhnlich. Wenn aber eine Löwin eine Antilope adoptiert, eine Taube Hasenbabys unter ihre Fittiche nimmt und ein Hund sich um verwaiste Frischlinge kümmert, liegt die Sache etwas anders.
Der Anblick von Tier- und Menschenkindern löst bei uns einen mütterlichen Instinkt aus. Dies führt dazu, dass wir uns auch mal um fremde Kinder kümmern. In der Tierwelt ist das nicht anders. Erwachsene Tiere nehmen sich verwaister Jungtiere an, vorzugsweise der eigenen Art und Familie. Weitaus seltener allerdings werden Jungtiere einer anderen Art adoptiert. Tritt ein solcher Fall ein, können laut dem deutschen Biologen und «Tierwelt»-Autor Mario Ludwig die Gründe dafür unterschiedlichster Natur sein. Tiermütter, die das eigene Junge verloren haben, übertragen manchmal ihren Brutpflegeinstinkt auch auf artfremde Tiere. Verhaltensforscher reden von einer sogenannten Fehl- respektive unnatürlichen biologischen Prägung.
Zu den bekannteren Geschichten gehört jene der 130-jährigen Schildkröte Mzee, die ein etwa zweijähriges Nilpferd adoptierte, das einst mit seiner Familie am Ufer des Sabaki-Flusses in Kenia gelebt hatte. Als sich 2004 im Indischen Ozean ein Erdbeben ereignete, tötete ein Tsunami alle Familienmitglieder. Das Jungtier selbst wurde von einer riesigen Welle auf das Meer hinausgetragen und strandete auf einem Riff. Später kam es in einen Naturschutzpark bei Mombasa. Das Nilpferd, das nach seinem Retter Owen benannt worden war, folgte der Schildkröte überall hin und schlief an ihrer Seite. Ihre anfängliche Abwehrhaltung gab Mzee bald auf und beide wurden ein unzertrennliches Paar. Die Verbindung lockerte sich erst, als Owen ein Weibchen der eigenen Art kennenlernt.
Hippo Owen und Aldabra-Riesenschildkröte Mzee, übrigens ein Männchen (Video: Vitaltheatre):
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Vom Ersatzkind zum Leckerbissen
Noch seltener kommt es vor, dass sich Raubtiere um Tierkinder kümmern, die zu ihrem Beutespektrum gehören. So wie im Fall der kleinen Oryx-Antilope, die 2002 im kenianischen Samburu-Nationalpark von einer Löwin aufgezogen wurde. Jahrelang hatte sich das Raubtier in der Nähe von Antilopenherden aufgehalten und dabei mehrere Junge «entführt». In den meisten Fällen allerdings retteten die Parkranger oder die Mütter ihre Tierkinder aus der Obhut der Raubkatze. Nur die letzte Adoption endete tragisch: Die Löwin liess die kleine Antilope verhungern und frass sie auf.
Die Löwin Kamunyak aus dem Samburu-Nationalpark mit ihrem Antilopenbaby – es wurde schliesslich von einem anderen Löwen gefressen:
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Ein ähnlicher Fall ereignete sich 2012 in Uganda. Dort näherte sich ein verstörtes Kob-Antilopenbaby einer Löwin, nachdem diese ihre Mutter getötet hatte. Die Raubkatze brüllte das Kitzlein an. Statt zu fliehen, blieb das Waisenkind jedoch stehen, nur um sich wenig später an die Brust der verdutzten Löwin zu werfen. Diese packte die Antilope schliesslich im Nacken und trug sie in typischer Katzenmanier davon. Laut Craig Parker vom amerikanischen Lion Research Center an der Universität Minnesota sind solche Geschichten zu schön, um wahr zu sein. Gegenüber Medien sagte er: «Es kommt oft vor, dass Katzen mit ihrer Beute spielen und dass dies sehr sanft geschehen kann.» Irgendwann aber werde es ihnen langweilig, dann lassen sie ihr Opfer gehen oder fressen es auf.
Die Löwin und das Kob-Anitlopenbaby:
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Verlieren Vögel ihre Brut, gibt ihnen die Natur normalerweise die Gelegenheit, erneut zu brüten, sodass sie gar keine Veranlassung haben, die Jungen anderer Tierarten zu bemuttern. Bei der Krähe Moses schien dieses Prinzip nicht zu greifen. Ein älteres Ehepaar in North Attleboro, im US-Bundesstaat Massachusetts, beobachtete vor sieben Jahren im Garten ein streunendes Kätzchen, zu dem sich eine Krähe gesellt hatte, die es offenbar beschützte. Der Vogel fütterte das Jungtier mit Regenwürmern und Käfern. Auch das Ehepaar legte den beiden regelmässig Futter aus. Fünf Jahre lang begleitete der Vogel die Katze, bis er schliesslich verschwand.
Kätzchen Cassie und Krähe Moses:
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Eine Mutter namens Monster
In einem anderen Fall, der sich ebenfalls in der USA abspielte, überlebten drei Hasenbabys den Angriff eines Hundes. Schwer verletzt gelangten sie in ein Reha-Zentrum nach Texas, wo sich auch eine einbeinige Taube namens Noah aufhielt, die in freier Wildbahn nicht mehr überleben konnte. Immer wieder näherte sich der weisse Vogel dem Käfig der Hasen, bis diese von selbst aus ihrer Box kamen, um sich von Noah bereitwillig unter die Flügel nehmen zu lassen.
Im Tierpark des niedersächsischen Diepholz hatte vor zehn Jahren eine Tigermutter ein Baby nicht angenommen. Gerade rechtzeitig entdeckten Pfleger das geschwächte Jungtier im Gehege. Die Tierpark-Chefin nahm das wenige Tage alte Baby mit nach Hause, wo ihr Dackel Monster sie bei der Aufzucht unterstützte. Wie eine Mutter kümmerte sich der Rüde um das Tigerbaby. Er leckte ihm den Bauch und schenkte ihm Nestwärme. Tragischerweise wurde Monster kurz darauf vom Auto des Postboten überrollt, woraufhin Monsters einjährige Tochter Bessi die Pflege übernahm.
Die Dackel Monster und Bessie adoptieren ein Tigerbaby:
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Gewöhnlich nehmen Hunde Wildschweine als Jagdobjekte wahr. 2012 wurden auf einem Gnadenhof in Brandenburg sechs Frischlinge abgeliefert, deren Mutter vermutlich von Jägern erschossen worden war. Niemand wollte die Schweinchen haben, bis sich die dort lebende Französische Bulldogge Baby ihrer annahm. Sie mussten jedoch alle zwei bis drei Stunden von Menschenhand mit Aufzuchtmilch gefüttert werden, weil die Hündin sie nicht säugte. Nach drei Monaten entliess man die Tiere in einen Privatwald, wo sie ihr Schweineleben geniessen durften.
Bulldogge Baby adoptiert gerne alle möglichen Tierbabys (Video: Zooomin.TV Deutschland):
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In einer ähnlichen Geschichte, die sich auf einem anderen Bauernhof abspielte, adoptierte eine Hündin, der man die Welpen weggenommen hatte, vierzehn neu geborene Ferkel, obwohl deren Mütter noch lebten. Die Kleinen durften sogar an ihren Zitzen saugen. Im Buch «Das Seelenleben der Tiere» greift der deutsche Autor und Diplomförster Peter Wohlleben dieses Beispiel auf und fragt, ob das nun eine bewusste Adoption oder einfach nur ein Zuviel an mütterlichen Gefühlen war, die der Hund auf die Ferkel projizierte. Schliesslich stünden auch bei der Adoption durch Menschen Gefühle im Vordergrund. Ob Muttergefühle nun durch das Unterbewusstsein entstehen oder durch bewusste Überlegungen, das macht für Wohlleben keinen qualitativen Unterschied. Die unterbewusste Form sei mindestens genauso intensiv wie die bewusste.
Trauer um das verlorene Adoptivkind
Dass zumindest Affen über eine Art moralische Instanz verfügen, davon ist der niederländische Verhaltensforscher und Zoologe Frans de Waal überzeugt. Ein gutes Beispiel dafür ist die mittlerweile verstorbene Gorilla-Dame Koko («Tierwelt Online» berichtete), die im kalifornischen Reservat der Gorilla Foundation lebte und Berühmtheit erlangte, weil sie sich mit rund 2000 Wörtern in der amerikanischen Gebärdensprache verständigen konnte. Koko adoptierte über die Jahre mehrere Kätzchen. Als das erste 1984 von einem Auto überfahren wurde, betrauerte sie nicht nur ihren Verlust, sie war auch in der Lage, ihre Gefühle in der Gebärdensprache auszudrücken.
Gorilla Koko sucht sich neue Kätzchen aus – sie adoptiert 2015 Mrs. Gray und Mrs. Black (Video: kokoflix):
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Tierfreundschaften, so eine weitere Theorie, dienen dem Energiemanagement. Tierexperte Mario Ludwig sagte diesbezüglich gegenüber dem Deutschlandfunk, dass ein Gefühl der Sicherheit in der Gegenwart anderer den Herzschlag verringere und den Blutdruck senke. Zudem würden weniger Stresshormone ausgeschüttet. Das führt insgesamt dazu, dass sich der Energieverbrauch verringert. Ein Vorteil für jedes Tier, das in der Wildnis ums Überleben kämpfen muss.
Mrs. Gray und Mrs. Black gedeihen unter Kokos Obhut prächtig (Video: kokoflix):
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