Die ausgestorbenen Vorfahren der heutigen Schildkröten hatten einen beweglichen Brustkorb und atmeten so wie wir, indem sich Lunge und Brustkorb abwechselnd ausdehnten und zusammenzogen. Mit der Entwicklung einer festen Panzerschale an Rücken und Bauch wurde ein solcher Atmungsvorgang unmöglich. Die heutigen Schildkröten atmen mit Hilfe einer Muskelschlinge, die am Panzer befestigt ist. Durch deren Kontraktion und Entspannung werden so die Lungen belüftet. Ein internationales Forscherteam hat nun den Ursprung dieser Muskelschlinge gefunden: Bei Eunotosaurus africanus, einem fossilen Reptil, das vor rund 260 Millionen Jahren in der mittleren Permzeit in Südafrika gelebt hatte.  

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 Replik eines Fossils von Eunotosaurus africanus mit erkennbar verbreiterten 
 Rippenbögen.                                                Bild: flowcomm/wikipedia.org, CC-BY-SA

Eunotosaurus besass noch keinen starren Bauch- und Brustpanzer wie moderne Schildkröten, sondern lediglich stark verbreitete, sich teilweise überlappende T-förmige Rippen. «Diese schränkten die Bewegungsfähigkeit des Brustkorbs aber bereits stark ein», erklärte Mitautor Torsten Scheyer vom Paläontologischen Institut der Universität Zürich. Anhand der inneren und äusseren Knochenstrukturen der Rippen sei ersichtlich, dass Eunotosaurus nur noch eine reduzierte Rückenmuskulatur, dafür aber bereits eine der Atmung dienende Muskelschlinge besessen hatte. «Das kleine fossile Reptil liefert somit die Erklärung, wie es zur lebensnotwendigen Anpassung des Atmungsapparates in der Schildkrötenevolution kommen konnte», so der UZH-Paläontologe.

Muskelschlinge ermöglicht Entwicklung der Panzerung
«Eunotosaurus ist ein morphologisches Bindeglied zwischen dem Körperbauplan früher Reptilien und dem hoch modifizierten Bauplan der heute lebenden Schildkröten» erläutert Scheyer. Die Wissenschaftler hatten die Rippenplatten von Schildkrötenpanzern sowie die Rippen verschiedenster fossiler und heute lebender Wirbeltiergruppen untersucht, darunter Säugetiere, Krokodile und auch Dinosaurier. Der Studienleiter Tyler Lyson von der Smithsonian Institution in Washington ergänzt, dass «feste Panzerschalen nach heutigem Kenntnisstand erst 50 Millionen Jahre nach Eunotosaurus bei fossilen Stammschildkröten erstmals aufgetreten sind».

Die Studie zeigt, dass das kontinuierliche Versteifen der Körperwand eine Funktionsteilung der Rippen und der abdominalen Atmungsmuskulatur eingeleitet hat: Die zunehmende Verbreiterung und Versteifung des Rumpfes führte dazu, dass die Rippen weniger am Atmungsvorgang beteiligt waren, während die Muskeln diese Rolle immer mehr übernahmen. «Damit wurden die Rippen frei und später komplett in die Panzerschale der Schildkröten integriert», so Torsten Scheyer. 

Originalpublikation:
T.R. Lyson, et al.: «Origin of the unique ventilatory apparatus of turtles.», «Nature Communications» (2014) 5:5211 
doi: 10.1038/ncomms6211