Zweitnutzung
Nachmieter im Schneckenhaus
Schneckenhäuschen sind stabile und sichere Wohnungen. Nicht nur für die Schnecken selbst: Spinnen, Käfer, Wespen und Bienen nisten sich gerne in leeren Gehäusen ein.
Das Schneckenhaus ist eine der grossen Erfindungen der Evolution. Wer im Tierreich hat schon ein derart kompaktes, sicheres Daheim – und es erst noch stets dabei? Sind Schneckenhäuschen deshalb einmal unbewohnt, interessieren sich vielerlei andere Tiere für sie.
Und frei gewordene Häuschen gibt es viele. Denn immer wieder kommt es vor, dass Schnecken in der Sommerhitze austrocknen. Oder dass sie gefressen werden. Zu den ärgsten Feinden von Häuschenschnecken zählen die sogenannten Schaufelläufer (Cychrus). Der 2014 gestorbene deutsche Insektenkundler Heiko Bellmann bezeichnete diese Gattung der Laufkäfer einst als «Räumkommando»: Mit ihrem schmalen Kopf dringen sie weit ins Häuschen vor und beträufeln dessen Bewohner mit einem Verdauungssaft. Die Schnecke verflüssigt sich buchstäblich, und der Käfer schlürft das Gehäuse leer.
Grosse Schneckenliebhaber sind auch die Glühwürmchen. Die Larven dieser Tiere, die eigentlich keine Würmer, sondern Käfer sind, fressen fast ausschliesslich Schnecken – vor allem solche mit Gehäuse. Haben sie eine gefunden, beissen sie sie und geben dabei ein Gift ab. Angeschlagen zieht sich die Schnecke in ihr Haus zurück. Das Glühwürmchen setzt sich darauf und wartet, bis die Schnecke wieder erscheint. Dann beisst sie erneut zu. Das geht so lange, bis die Schnecke sich nicht mehr bewegt. Nun kriecht die Glühwürmchenlarve ins Gehäuse und frisst es leer.
Springspinnen lieben leere Häuschen
Ganz ähnlich gehen die borstigen Larven der sogenannten Schneckenhauskäfer (Drilini) vor. Sie reiten sogar zuerst eine Zeit lang auf dem Häuschen mit, bevor sie die Schnecke in den Nacken beissen. Nach der Mahlzeit häutet sich die Larve im Schutz des Schneckenhauses und sucht sich dann ihr nächstes Opfer. Im zweiten oder dritten Herbst schliesslich verpuppt sie sich in einem erbeuteten Schneckenhaus, überwintert dort und schlüpft im Frühling als fertiger Käfer.
Die häufigsten «Nachmieter» in Schneckenhäuschen aber sind Springspinnen. Heiko Bellmann sammelte einst im Winter an 19 Standorten in Mitteleuropa rund 3600 leere Häuschen und schnitt jedes einzelne auf. Es kamen einige wenige Wanzen, Fliegen, Wespen und Bienen zum Vorschein, aber 753 Spinnen. Davon waren 606 Springspinnen. Die häufigsten der zehn gefundenen Arten – und damit laut Bellmann die typischen Schneckenhaus-Überwinterer – sind Talavera aequipes und Pellenes tripunctatus.
Diese Arten, die auch in der Schweiz vorkommen, benützen Schneckenhäuschen aber nicht nur als Winterquartier. Sie legen darin gerne ihre Eikokons ab und sind im Sommer oft gemeinsam mit ihren Jungtieren in den Gehäusen anzutreffen.
Kinderstube in luftiger Höhe
Ein bemerkenswertes Verhalten zeigt die Springspinne Pellenes nigrociliatus, die auf Sandböden und Trockenrasen lebt. Auch sie überwintert in leeren Schneckenhäuschen. Im Frühsommer befestigt das Weibchen das Häuschen an einem Seidenband, zieht es in die Höhe, bis es ungefähr einen Zentimeter über dem Boden schwebt und legt darin seine Eier ab. Weshalb es diese Kinderstube in der Luft anlegt, ist nicht ganz klar. Einige Forscher gehen davon aus, dass die Brut so vor Ameisen sicher ist. Andere glauben, dass die Spinne ihren Nachwuchs dadurch vor der brütenden Hitze auf dem Sandboden schützt.
Sir David Attenborough zeigt eine Spinne, die ähnlich wie die Springspinne Pellenes nigrociliatus ihr Schneckenhaus vom Boden hebt (Video: BBC):
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Auch die Tönnchenwegwespe (Auplopus carbonarius) nützt den Schutz eines Schneckenhauses gerne für ihre Brut. Sie baut darin ihre bis zu einen Zentimeter langen, tonnenförmigen Brutzellen aus Lehm. Dann fängt sie eine Spinne, trennt ihr die Beine ab, stopft sie in das Tönnchen und befestigt ein Ei daran. Die daraus schlüpfende Larve tut sich anschliesslich an der Spinnennahrung gütlich.
Zu den bekanntesten und interessantesten Bewohnern leerer Schneckenhäuser zählen einige Mauerbienen. Die Zweifarbige Mauerbiene (Osmia bicolor) etwa deponiert zuerst reichlich Pollen und Nektar im Gehäuse. Dann legt sie ein Ei dazu und errichtet davor eine Schutzwand aus zerkauten Blättern. Den vorderen Teil des Schneckenhauses füllt sie mit Steinchen und Holzstückchen und stützt das Ganze mit einer weiteren Wand.
Rührend: Die Zweifarbige Mauerbiene präpariert ein Schneckenhäuschen (Video: Wildbiene und Partner):
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Dann dreht die Biene das Schneckenhaus so, dass dessen Öffnung nach unten zeigt. Sie gräbt darunter so lange, bis es ein wenig in den Boden einsinkt. Schliesslich schafft sie Hunderte von Grashalmen, Kiefernadeln und Ästchen herbei und tarnt damit ihr Nest. Für diese ganze Arbeit benötigt die Mauerbiene laut Bellmann bei günstigen Bedingungen zwei volle Tage. Weil sie nur bis in den Juni fliegt und im Frühling oft ungünstige Witterung herrscht, dürfte ein einzelnes Tier nicht mehr als sieben Nachkommen hervorbringen. Umso wichtiger, dass das Schneckenhaus die wertvollen Bienenlarven bestens schützt.
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