Wenn Markus Schläpfer zu Hause nach der blauen Leine greift, ist Aiko sofort zur Stelle. Der fünfjährige Labradorrüde liebt Wasser und weiss: Jetzt geht es an den See. Aber nicht zum Spazieren und lauschigen Planschen, sondern zu einem Training der Wasserrettungshunde. Jeden Dienstag und Donnerstag treffen sich in Hilterfingen am Thunersee Hunde mit ihren Besitzerinnen und trainieren für den Ernstfall: Menschen vor dem Ertrinken zu retten.

Vor den Bergkulissen des Berner Oberlands schlüpft Schläpfer in den Neoprenanzug, denn das Wasser des Thunersees ist noch empfindlich kühl. Aiko macht das nichts aus. Sein dickes Fell isoliert auch gegen das kalte Nass. Doch bevor es ins Wasser geht, lässt Sascha Küenzi die Hundeteams sich aufwärmen. Joggen ist angesagt. Küenzi hat den Verein «Wasserrettungshunde Hilterfingen» vor zehn Jahren gegründet und ist seitdem mit Herzblut dabei, zusammen mit Trainerin Miranda Brunner die Teams aus Hund und Besitzer in der Wasserrettung anzuleiten. «Vor 22 Jahren habe ich in Italien Wasserrettungshunde gesehen und daraufhin mit meiner Hündin Daika ebenfalls angefangen, diverse Manöver zu üben», erzählt Sascha Küenzi. Der Hundetrainer und Welpenprägungsleiter durchlief die Ausbildung zum Rettungssanitäter und kombiniert damit das Wissen über das Verhalten von Hunden mit dem der Menschenrettung.

Vierbeinige Motoren

Nach dem Aufwärmen geht es endlich ins Wasser. Mit dabei sind Dario Fankhauser mit dem Tervuerenrüden Cicco und Pascal Gisler mit dem Flat-Coated Retriever Grivo. «Grundsätzlich eignen sich nur grosse Rassen für die Wasserrettung», erklärt Sascha Küenzi. Warum wird sich im Laufe des Trainings zeigen. Jetzt werfen die drei Hundeführer jeweils einen bunten, aus Nylon gebundenen Stock, den die Hunde apportieren sollen. «Wir arbeiten nicht mit Leckerli als Belohnung», erklärt Küenzi. «Für die Hunde ist es ein Spiel. Sie lernen,von ihren Besitzern wegzuschwimmen und den Stab zurückzubringen.» Als zweiter Schritt müssen die Hunde am Ufer warten, während Fankhauser, Gisler und Schläpfer einige Meter in den See hinausschwimmen. «Im Ernstfall sollten die Retter den Menschen in Not als Erstes erreichen und stabilisieren, bevor der Hund zum Einsatz kommt», so Küenzi. Denn die Hunde unterstützen den Retter als lebenden Motor. Sie sollen die Personen ans Ufer bringen.

[IMG 3]

Aiko trägt dafür eine Hunderettungsweste mit Griff. Diese hilft dem Vierbeiner, horizontal im Wasser zu treiben, sodass er seine Kraft für die Vorwärtsbewegung einsetzen kann. Markus Schläpfer hält sich an der Weste fest und lässt sich von Aiko zurück ans Ufer ziehen. «Labradore besitzen wie alle Retriever Schwimmhäute zwischen den Zehen», erklärt Sascha Küenzi. «Das macht sie als Wasserrettungshunde besonders geeignet.» Entsprechend ist Aiko auch noch lange nicht müde. Und doch achtet Küenzi genau auf die Körpersprache der Hunde. «Das Wohl der Tiere steht an oberster Stelle. Es sind keine Maschinen, und obwohl sie mit Begeisterung bei der Sache sind, wollen wir sie nicht überfordern.»

Pascal Gisler wassert nun das Stand-up-Paddelbrett (SUP). Dieses surfbrettförmige Hilfsmittel ist ein wichtiges Utensil in der Wasserrettung. Grundsätzlichabsolvieren alle Mitglieder des Vereins Kurse der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG), bei denen sie insbesondere auch den Selbstschutz lernen. Denn Menschen in Notsituationen reagieren oft unvorhersehbar und können so den Retter in Gefahr bringen.

Das ist mit auch ein Grund, warum der menschliche Retter immer zuerst beim Hilfebedürftigen eintrifft. «In Panik würde sich ein Mensch wahrscheinlich einfach an den Hund klammern und ihn mit unter Wasser ziehen», erklärt Sascha Küenzi. Im Falle einer Rettung mit dem SUP wird der Hilfebedürftige daher zuerst durch ein spezielles Manöver auf das Brett gehoben. Der Wasserrettungshund zieht sodann das Brett ans Ufer, während der Retter bereits mit allfälligen Erste-Hilfe-Massnahmen beginnen kann. Auch andere Rettungsmittel wie Schwimmwürfel oder gar ein Rettungsboot mit bis zu sechs Personen können grosse Hunderassen ziehen. Eine Meisterleistung, die dem menschlichen Retter viel Kraft erspart, die er zum Beispiel für lebensrettende Sofortmassnahmen verwenden kann.

[IMG 4]

Vor Ort für den Ernstfall

Ein Nachteil hat die Wasserrettung allerdings: Sie muss schnell gehen und die Helfer müssen somit bereits vor Ort sein. Sascha Küenzi würde sich daher wünschen, dass die Wasserrettungshunde als Teil der SLRG bei Events wie Seeschwimmen und Triathlons dabei sein können, um im Falle eines Falles sofort zum Einsatz kommen zu können. Gerade für grosse Schwimmereignisse werden die Hunde auch speziell auf sogenannte Restubes – eine Wortschöpfung aus den Teilen «Res» für «Rescue» (englisch: Rettung) und «Tubes» (englisch: Schwimmreifen) – trainiert. Diese selbstaufblasbaren Bojen werden von den Schwimmenden kompakt zusammengelegt am Körper getragen. Wen die Kräfte verlassen, der winkt mit dem Päckchen und lässt die Boje aufblasen. Der Hund reagiert auf das Zeichen und kann den erschöpften Schwimmer an Land ziehen, während dieser sich an der Restube festhält.

[IMG 2]

Für seine Idee, Hunde zur Wasserrettung einzusetzen, wurde Sascha Küenzi erst belächelt. Durch viel Präsenz an entsprechenden Veranstaltungen und die Zusammenarbeit mit dem SRLG Oberaargau konnte Küenzi jedoch beweisen, dass das Team aus Mensch und Hund hervorragende Zusammenarbeit bei der Wasserrettung leisten kann. Küenzis Ziel ist es jetzt, in der Schweiz entsprechende Prüfungen abnehmen zu können und die Wasserrettung mit Vierbeinern bei Sportveranstaltungen bekannter zu machen.

Denn im Gegensatz zu den USA oder Italien werden hierzulande Hunde noch nicht als Teil der Rettungskette eingesetzt. Elemente der Wasserrettung werden zwar im Rahmen von Hundesport betrieben, eine offiziell anerkannte Ausbildung gibt es jedoch nicht. «Bei der Wasserarbeit können allerdings bis zu einem bestimmten Grad auch kleine Hunderassen, die Spass an Wasser haben, teilnehmen», so Küenzi. Trainiert wird dort nicht der Ernstfall, sondern primär das Vertrauen und Zusammenspiel zwischen Hund und Besitzern. Der Spass steht so oder so im Vordergrund.

Herbie, der Held

Bei einem Drachenbootrennen auf dem Wohlensee im Kanton Bern ist es passiert: Zwei Boote stiessen zusammen und kenterten, die Passagiere trieben im Wasser und versuchten, das Ufer aus eigenen Kräften zu erreichen. Eher zufällig war Sascha Küenzi mit seinem Labrador Herbie vor Ort und schickte den Hund in den Einsatz. Der tapfere Vierbeiner konnte mehrere Menschen an Land ziehen und rettete einigen von ihnen somit wohl das Leben. 2022 verstarb der Hund im Alter von 15 Jahren.

[IMG 5]

Links

Wasserrettungshunde Hilterfingen

Wasserrettungs-Hundeklub Thunersee

Seerettungshunde Faulensee

Swim Dogs Zentralschweiz

Funny Waterdogs Bielersee

Wasserarbeitshunde Zürichsee

Wasserarbeitshunde Bodensee