Ein Bienenhaus! Besser nur von Weitem einen Blick darauf werfen. Die Insekten könnten ja stechen. Dieses Vorurteil trifft bei den Bienen von Ruedi Lehmann aus dem bernischen Utzigen nicht zu. «Meine Carnica-Bienen stechen kaum», sagt der Imker.

Das verwunderte Stirnrunzeln ob seiner Aussage verschwindet spätestens dann, als er sich für ein Foto direkt vor die Fluglöcher seines Bienenhauses stellt. Er erzählt seelenruhig weiter, rundherum fliegen an diesem sonnigen Frühlingstag seine Bienen aus den Fluglöchern ein und aus. «Die Carnica sind sanfte Bienen, bringen einen guten Honigertrag und sind schwarmträge», erklärt Ruedi Lehmann.

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Bienenvölker vermehren sich natürlicherweise, indem die alte Königin mit einem Teil des Volkes ausfliegt, während im Stock eine neue Königin herangezogen wird. Bei den Carnica geschieht dies seltener als bei anderen Rassen. Die Aufgabe der Königin ist, Eier zu legen. Sie sorgt also als Einzige für Nachwuchs und ist überlebenswichtig für ein Volk. Befruchtet wird sie von männlichen Bienen, den Drohnen.

Tätigkeiten der Biene1. bis 2. Lebenstag: Zellen putzen und die Brut wärmen
3. bis 5. Lebenstag: Füttern der älteren Larven
6. bis 11. Lebenstag: Füttern der jüngsten Larven
12. bis 17. Lebenstag: Wachserzeugung, Wabenbauen und Futter umtragen
18. bis 21. Lebenstag: Fluglochwache
22. bis 44. Lebenstag: Blütenbesuch mit Blütenbestäubung und Sammeln von Pollen, Nektar, Kittharz, Wasser
Ca. 45. Lebenstag der Sommerbiene: Tod; die Winterbiene lebt etwa ein halbes Jahr

Ruedi Lehmann hat weit über 100 Völker an zahlreichen Standorten, zwei davon befinden sich sogar im Berner Oberland. Dass seine Bienen kaum stechen, ist aber nicht nur der Rasse Carnica zuzuschreiben. Ruedi Lehmann züchtet Königinnen und zieht somit seine Bienen selbst nach. Er erklärt: «Wenn ich ein Volk öffne, um Zuchtstoff, also junge Larven, zu entnehmen, arbeite ich immer ohne Schleier, manchmal sogar mit nacktem Oberkörper. Werde ich gestochen, züchte ich mit diesem Volk nicht.»

Bei den Weiselzellen handelt es sich um spezielle Zellen, die Bienenvölker bilden, um Königinnen heranzuziehen. Dank dieser strengen Selektion hat Ruedi Lehmann Bienen mit mildem Charakter herangezogen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Es ist sehr angenehm, mit ihnen zu arbeiten. «Heute haben mich nur drei in die Finger gestochen, weil ich beim Entnehmen von Waben irrtümlicherweise auf Bienen gegriffen habe», sagt der Imker. Ruedi Lehmann kümmert sich um den ganzen Kreislauf. Er ist Obstbauer. In seiner Hofstatt pflegt er nebst anderem Obst 76 Apfelsorten, die an ungefähr 100 Bäumen gedeihen. Das weisslich-hellrosa Blütenmeer wird bereits Anfang April eifrig von seinen Bienen besucht.

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Der Naturverbundene erzählt, wie er Imker wurde. Während seiner Lehre zum Obstbauer habe er das Wahlfach Bienen besucht, 2008 und 2009 den zweijährigen Grundkurs zur Imkerei absolviert und 2012 dann 22 Völker übernommen. «Dann nahm es mir den Ärmel rein. Bienen und Obst, das passt doch zusammen», sagt Ruedi Lehmann. Da er im Winter auch Kunden die Bäume schneidet, wurde er auf verschiedene leer stehende Bienenhäuser aufmerksam. Nach und nach expandierte er mit seiner Imkerei.

Nektar, Pollen und Läuse

Ruedi Lehmann betreut seine Bienen ausschliesslich in Häusern. «Da habe ich alles Material, kann von hinten in die Kästen schauen, ohne dass ich die Bienen stören muss.» Ein gutes Volk bestehe aus 40 000 bis 50 000 Arbeiterinnen. Wenn es gut laufe, könne er zweimal jährlich Honig ernten, im Frühling den Blütenhonig und im Sommer den Waldhonig. Im Frühling sammeln Bienen Nektar aus Blüten. «Er besteht aus Fructose, Aminosäuren und Glucose», sagt Ruedi Lehmann. Bienen sammeln aber auch Pollen und lagern sie ein. Die Blüten des Winterlings beispielsweise würden Pollen enthalten, die Sal-Weide produziere gar Pollen und Nektar, sagt Ruedi Lehmann.

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Bienen lagern Nektar und Pollen mehrmals in ihren Waben um und verdeckeln sie schliesslich. Es handelt sich um Vorrat für den Winter. Der Imker erklärt: «Ich pflege meine Bienen in Schweizer Kästen.» Das sind schmale Holzkästen. Im Sommer werden in der oberen Hälfte dieser Kästen Honigwaben platziert. Er entnehme die oberen Waben, um Honig zu schleudern, die unteren belasse er bei den Bienen.

Im Juli kann Ruedi Lehmann, wenn es gut läuft, nochmals Honig ernten, und zwar den Waldhonig. Dabei handelt es sich um die Ausscheidungen von Läusen, die sich auf Tannen aufhalten. Die Ausscheidungen entstehen, indem die Läuse durch Ameisen stimuliert werden. Waldhonig ist dunkel gefärbt. Ruedi Lehmann verkauft seinen Honig auf dem Markt in Thun (BE). Seinen Stand hat er in der Nähe des Rathauses. Um die Behandlung der Bienenstöcke gegen die Varroamilbe komme er nicht herum. «Ich beginne damit Ende Juli, wenn ich die Honigwaben weggenommen und den Waldhonig geschleudert habe.» Die Varroamilbe ist weltweit bekannt und entwickelt sich in der verdeckelten Brut im Bienenstock. Sie parasitiert Bienen. Ohne Behandlung mit Ameisen- oder Oxalsäure wird der Leidensdruck der Bienen zu gross und sie gehen ein.

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Ruedi Lehmann stapft nun von den Fluglöchern weg um das Bienenhaus herum, geht hinein. Sein Gesicht strahlt. Er sagt: «Es riecht gut hier.» Ein süsslicher Duft, ähnlich einem Gemisch aus Blüten und Honig, liegt in der Luft. Der Imker öffnet einen Kasten, nimmt den schützenden und wärmenden Schaumstoff weg und blickt durch eine Scheibe auf die Wabe voller Bienen. Eine einzelne schwirrt im Kasten frei umher. Ruedi Lehmann packt sie an den Flügeln, öffnet unten eine Klappe und schiebt sie sanft zurück in den Stock. Wahrlich, ein richtiger Bienenflüsterer!

Das BienenjahrJanuar: Ruhezeit
Februar: Reinigungsflug zum Versäubern
März: Flugzeit zum Sammeln von Pollen und Nektar
April: Flugzeit, sammeln, bis am längsten Tag
Mai bis Mitte Juli: Bienenzucht, Ernte Blütenhonig
Juni: Ernte Blütenhonig
Juli: Waldtracht, das heisst, die Bienen sammeln Waldhonig, Ernte, erste Varroabehandlung
August: Füttern der Bienen mit Zuckerwasser
September: Füttern der Bienen mit Zuckerwasser, zweite Varroabehandlung
Oktober: Neue Königinnen einweiseln, das heisst einquartieren, Wabenbau umstellen, neue nach vorne, alte nach hinten
November und Dezember: Winterbehandlung gegen Varroa, Aussentemperatur muss 3 bis 6 °C betragen

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