Aufwärmen für alle. Während Fideel, der 17-jährige Warmblutwallach, eingewärmt wird, müssen sich auch die Kinder warmlaufen. Acht Kinder im Alter von sieben bis dreizehn Jahren sind an diesem Mittwochnachmittag im Voltigiertraining im Nationalen Pferdezentrum (NPZ) in Bern. Doch was ist Voltige? Beim Voltigesport wird allein, zu zweit oder in einer Gruppe auf dem Pferd geturnt. Fideel trägt dafür einen Voltigiergurt mit zwei starren Handgriffen und zwei Fussschlaufen. Um seinen Rücken zu schützen, liegt unter dem Gurt eine stossabsorbierende Unterlage. Er wird im Kreis longiert und am anderen Ende der Longe steht Li Laffer, die Trainerin der Gruppe. Die 31-jährige Primarlehrerin ist selbst seit 20 Jahren im Voltigesport engagiert, Teil des Schweizer Kaders und startet international mit Voltigepartnerin Ilona Hannich an Pas-de-deux-Prüfungen. Dabei turnen sie zu zweit auf dem Pferd.

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Übung macht den Meister

Nachdem sich die Gruppe Kinder eingelaufen hat, findet eine Art Postenwechsel statt. Immer drei Turner oder Turnerinnen befinden sich innerhalb des Zirkels bei der Trainerin und turnen unter ihrer Aufsicht auf Fideel. Die anderen beschäftigen sich am Rand der Halle mit den unterschiedlichsten Sportgeräten. Ein kleiner Hindernislauf, Gymnastikmatten, -bälle und ein Holzpferd mit einem Voltigiergurt umgeschnallt, stehen bereit.

Der erfahrenen Trainerin Li Laffer ist es wichtig, dass die Übungen sitzen, bevor sie auf dem Pferd geturnt werden. Ab sechs Jahren dürfen Interessierte im NPZ mit Voltige beginnen. Wichtig sei ein gutes Körpergefühl, sagt Li Laffer. Für viele der Kinder ist die wöchentliche Voltigestunde der Einstieg in den Pferdesport. Obwohl die vierzehnjährige Sofie, die selbst in der Gruppe an Voltigeturnieren teilnimmt, den Jüngeren beim Aufsprung auf das Pferd hilft, ist es sehr beeindruckend, wie kompetent der Nachwuchs schon ist. Auf dem Pferd zu stehen, ist für die meisten kein Problem.

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Während die einen anschliessend fleissig den Abstieg vom Pferderücken üben, wird draussen beim Holzpferd gemeinsam das «Röggeli», ein kontrollierter Purzelbaum, geübt. Drei Mädchen helfen sich gegenseitig, stützen sich und regen einander zu Verbesserungsvorschlägen an. Voltige ist ein Gruppensport. Viele der Kinder treffen sich auch sonst im Stall. Für Li Laffer, die seit ihrer Kindheit in der Voltige aktiv ist und mehrmals wöchentlich trainiert, ist das eine zweite Familie geworden.

Runde für Runde dreht Fideel im Schritt oder Trab. Voltige ist für die Pferde sehr anspruchsvoll. Sie brauchen ein gutes Gleichgewicht und idealerweise fällt ihnen das Galoppieren leicht. Wie die Voltigetrainerin erklärt, müssen die Pferde fein an den Hilfen sein, also gut auf Stimme und Bewegungen der Peitsche reagieren. Die Ausbildung eines guten Voltigepferdes sei denn auch langwierig. Viele der Übungen müssen immer wiederholt werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Pferd gut ausgebildet und nicht überfordert wird. Schon der Aufsprung erfordert vom Tier ein enormes Gleichgewicht. Ruhe bewahren gehört auch zum Job eines Voltigepferdes.

Li Laffers Hilfegebung kommt aber nicht nur bei Fideel an, sondern auch bei einem anderen Voltigepferd, das gleichzeitig in der Halle geritten wird. Wie die Reiterin berichtet, wechselte der Wallach auf Lis Kommandos die Gangarten. Neun Voltigepferde leben im NPZ. Sie werden aber nur zweimal die Woche voltigiert. An den anderen Tagen heisst es zum Ausgleich Ausreiten, Gymnastizieren oder Dressurreiten. Da die Pferde am Wettkampf nur auf linker Hand, also gegen den Uhrzeigersinn longiert werden, wird das im Training kompensiert. Bei den fortgeschrittenen Voltigiererinnen wird aber auch einfach mal die Seite gewechselt. Das Umdenken ist anspruchsvoll für alle Beteiligten.

Während dem Voltigieren ist das Pferd ausgebunden. Das heisst, der Kopf des Tiers wird mittels Ausbinder, Dreieckszügel oder Longierhilfen in eine Position gelenkt. So kann das Pferd den Kopf nicht nach oben ziehen. Wie Barbara Schär von Swiss Equestrian (ehemals SVPS) erklärt, muss die Länge der Ausbinder oder Dreieckszügel dem Ausbildungsstand des Pferdes entsprechen. Zudem sollten sie in Ruhephasen immer wieder gelöst werden, sodass sich das Pferd strecken kann.

Turnen oder Reiten?

Teil der Voltigesparte im NPZ sind fünf Anfängergruppen à je acht Kinder und sechs Wettkampfgruppen mit je sieben Voltigierinnen. Letztere trainieren mehrmals die Woche. Die Hälfte des Trainings findet vom Boden aus oder auf dem Movie statt, einem beweglichen Holzpferd. Obwohl Voltige zu den Pferdesportarten gehört, unterscheidet sie sich von anderen Disziplinen. Laut Barbara Schär gibt es in der Voltige nicht das klassische Brevet, welches in den anderen Sparten die Voraussetzung für Turniere bildet. In der Voltige müssen sich die Startenden durch Einsteigerwettbewerbe hocharbeiten.

Elemente der Voltigeturniere sind immer ein Pflichtteil und eine Kür. Beim Pflichtteil sind die Übungen und deren Reihenfolge klar definiert. Die Kür bildet dann das Herzstück und besteht aus frei gewählten Übungen mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Hier kann alles gezeigt werden, was technisch richtig ist und zur Musik passt.

Beim Gruppenvoltigieren sind je Prüfung, also im Pflichtteil und in der Kür, sechs Teilnehmende zugelassen. Es befinden sich aber maximal drei Turnerinnen auf dem Pferd. Nicht alle, die bei der Kür starten, müssen den Pflichtteil machen. So können auch Kinder einen wichtigen Teil der Kür einnehmen, obwohl sie technisch vielleicht noch nicht auf dem gestarteten Niveau sind.

Ohne Helm

Nach den Basisprüfungen sind die Schwierigkeitsgrade wie im Dressursport gegliedert. S sind die schwierigsten Prüfungen, absteigend bis L. In den Basisprüfungen wird die Harmonie mit dem Pferd hoch gewertet. In den höheren Niveaus gibt es dann komplexere Pflicht-, Technik- und Kürübungen. Dort spielen auch Ausdruck, Körpersprache, artistisches Konzept und Musikinterpretation eine Rolle. Im Gegensatz zu den anderen Pferdesportdisziplinen wird in der Voltige kein Helm getragen. Li Laffer erklärt, dass ein Helm nur das Risiko erhöhen würde, am Gurt oder an den Handgriffen hängenzubleiben. Auch sonst ist die Kleidung ganz anders. Die Kinder tragen enge Sportkleidung oder Reitleggins, die genügend dehnbar sind. Abgerundet wird die Trainingsbekleidung durch Gymnastik- oder spezielle Voltigeschlappen. An Turnieren tragen Voltigierer enge Dresse, ähnlich wie beim Kunstturnen.

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Unter Li Laffers Aufsicht gelingt am Schluss des Trainings einigen Kindern schon das «Röggeli» – der Purzelbaum hoch zu Ross. Das ist die Lieblingsübung der neunjährigen Pauline. Beliebt ist auch die Fahne. Dabei wird auf dem Pferd gekniet und ein Bein nach hinten ausgestreckt. Je nach Schwierigkeitsklasse wird der eine Arm danach auf den Rücken genommen und noch schwieriger ist das Strecken des Arms. Zum Voltigesport gehört natürlich auch die Pflege des Vierbeiners. Fideel wird nach dem Training von einem Gewusel von Kindern geputzt und grosszügig mit Äpfeln und Karotten gelobt.

Im Gegensatz zu den anderen Pferdesportdisziplinen wird in der Voltige kein Helm getragen. Er würde nur das Risiko erhöhen, am Gurt oder an den Handgriffen hängenzubleiben.

Voltige-WM 2024 in der SchweizWeltklasse-Akrobatik hoch zu Ross findet vom 15. Juli bis am 21. Juli in der PostFinance-Arena in Bern statt. Die Weltklasse der Junioren und der Senioren treten um den Weltmeistertitel an. Seit 1986 findet die Voltige-WM erstmals wieder in der Schweiz statt.

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