Frau Endlweber, Sie arbeiteten als Unternehmensberaterin. Was war die grösste Umstellung zum Alltag im Sattel und in der Wildnis?

Es war einfach alles komplett anders. Alle Umstellungen waren für mich aber angenehm und durchwegs positiv. Am deutlichsten war zu spüren, dass es auf der Reise keine Termine und keinen Zeitdruck gibt und auch keine Deadlines und langfristigen Planungen. Wir haben zwar schon ein Ziel auf der Reise, eine Richtung, in die wir gehen wollen, aber dann ist es wirklich ein In-den-Tag-hinein-Leben. Wir denken selten über den Tag hinaus, ausser vielleicht, wo man am nächsten Tag lagern wird, aber viel weiter planen wir nicht. Dieses Leben im Moment ist ein grosser und auch schöner Unterschied zum Alltag in der Unternehmensberatung, denn es bedeutet, dass man mit seinen Gedanken und mit seinem Tun und Handeln ganz im Hier und Jetzt ist.

Haben Sie Ihre Mustangs selbst ausgebildet? Und was sind die wichtigsten Voraussetzungen, die ein Pferd mitbringen und erlernen muss, damit es auf einem solchen Wanderritt bestehen kann?

Wir haben unsere Mustangs nicht selbst ausgebildet. Sie wurden in einem Gefängnis in Colorado von Strafgefangenen trainiert. Von diesem Resozialisierungsprojekt profitieren sowohl die Gefängnisinsassen als auch die Pferde. Wir haben die Pferde dann spezifisch auf den Wanderritt vorbereitet. Sie also darauf vorbereitet, dass sie Packtaschen tragen müssen und unterwegs mit allen möglichen Begegnungen zurechtkommen sollten. Dazu haben wir mit den Mustangs ein Desensibilisations-Training durchgeführt. Das Wichtigste während der Wochen des gemeinsamen Arbeitens war, dass wir ein Vertrauensverhältnis aufbauen konnten. Unsere Pferde sollten ruhig und gelassen bleiben, ganz egal, was unterwegs passiert. Zudem müssen sie ausdauernd, genügsam und trittsicher sein. Diese Eigenschaften entwickeln sich allerdings erst unterwegs, es handelt sich um einen ständigen Lernprozess.

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Sie waren jahrelang mit Ihren vier Mustangs in den Weiten Amerikas unterwegs. Nun leben Sie in Europa, mit der Homebasis in Rauenberg (D). Wie haben Sie und Ihre Pferde sich an das neue Leben gewöhnt?

Die Umstellung von Amerika hierher ist grösser, als wir uns das gedacht haben. So einiges haben wir unterschätzt. Beispielsweise war uns nicht bewusst, wie schwierig es ist, Pferde in Deutschland artgerecht zu halten. So friert in Deutschland der Boden im Winter selten richtig durch, damit man die Pferde auf die Weide lassen kann. Hier verwandelt sich eine Winterweide im Handumdrehen in einen Morast. Mit Plagegeistern wie Zecken oder Bremsen hatten wir in Amerika kaum zu kämpfen, da wir meist in hohen Lagen unterwegs waren. Auch das Unterwegssein ist hier ganz anders, weil viel zivilisationsnäher. So viel auf Asphalt geritten wie hier in den ersten Monaten, sind wir in Amerika während 16 Jahren nicht. Die Umstellung fällt mir aber wohl schwerer als den Pferden, denn sie sind noch immer in derselben Gruppe zusammen und werden gut umsorgt.

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Sie treffen während Ihrer Reisen auf viele beschwerliche Momente und Herausforderungen. Welche Momente lösen die grössten Glücksgefühle aus?

Das ist für mich eine leichte Frage. Das ist genau dann, wenn wir am Abend einen guten Lagerplatz für unsere Pferde und uns ausfindig gemacht haben. Also eine Stelle mit ausreichend Futter und Wasser. Es ist wunderschön, zuschauen zu können, wie sich die vier Pferde die Bäuche vollschlagen und sich dann zufrieden ins Gras legen und ruhen. Die grössten Glücksgefühle lösen also nicht unbedingt landschaftliche Highlights aus, wie durch den Grand Canyon oder den Yellow Stone Park zu reiten. Es sind die Momente, in denen mit den Pferden alles stimmig ist und sich alle wohlfühlen.

Sie sprechen bei Ihrem Ritt durch Amerika von einem Traum. Hat sich dieser zeitweise auch mal zu einem Albtraum gewandelt?

Zum Glück kann ich das mit einem klaren Nein beantworten. Natürlich gab es schwierige Momente und Tage, an denen man sich fragt: Warum tue ich mir das an? Etwa, wenn es tagelang regnet oder wenn mitten im Sommer ein Wintereinbruch kommt. Es war aber nie so, dass wir die Reise ernsthaft infrage gestellt haben. Dafür kann man nach beschwerlichen Momenten die nächsten Sonnentage umso mehr geniessen.

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Bei der Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents waren die Siedler auch mit Pferden und all ihren Habseligkeiten unterwegs. Welche Vorteile haben Sie mit den heutigen Möglichkeiten? Oder ähnelt sich Ihre Art des Reisens?

Als wir vorletztes Jahr in Nevada unterwegs waren, war uns besonders bewusst, dass wir auf den Spuren der ersten Siedler gehen. Wir sind alten Zeugnissen begegnet, wie den Roadposts, wo früher die Pferdekutschen gehalten haben. Für uns ist es aber trotzdem nicht vorstellbar, was es damals bedeutet haben muss, zu den Pionieren zu gehören, die in den Westen gezogen sind. Diese Reisen damals waren so ungemein viel beschwerlicher als das, was wir heute machen. Wir haben den Vorteil, dass wir gutes Kartenmaterial haben und wir wissen, worauf wir uns einlassen. Und auf uns warten auch keine Gefahren wie Überfälle. Aber im Kern ähneln sich die Reisen tatsächlich, auch wir haben alles dabei, was wir brauchen, und ziehen jeden Tag weiter. Und auch wir sind wie die Siedler damals auf der Suche nach dem Glück und nach einem erfüllten Leben.

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Momentan sind Sie in Europa, genauer in Frankreich unterwegs. Was unterscheidet sich zu den Touren durch die USA?

Für uns ist das eine vollkommen neue Art des Reisens, wir fühlen uns wie Anfänger. In Europa gibt es viel mehr Vorschriften und Regulierungen und für uns ist es noch ein Herausfinden, was wir dürfen und was nicht. Was uns fehlt, ist die Nähe zur Natur und das Leben in der Wildnis. Hier sind wir viel näher an der Zivilisation. Gleichgeblieben ist, dass wir als Team mit unseren Pferden und unserer Hündin Charlie auf Tour sind. Auch hier finden wir immer wieder schöne Wege durch die Natur. In Amerika haben wir immer in der Wildnis im Zelt übernachtet, das ist in Europa kaum möglich. Wir müssen immer erst die Landbesitzer anfragen und einen Ort suchen, an dem wir lagern dürfen. Das ist zwar manchmal beschwerlich, hat uns aber schon zahlreiche schöne Begegnungen beschert.

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Werden Sie demnächst durch die Schweiz reiten?

Erst mal werden wir nur zu Vortragszwecken in die Schweiz reisen und wir freuen uns schon darauf, viele bekannte Gesichter wiederzusehen. Wir wollen nun in Frankreich Erfahrungen sammeln – wo wir als Nächstes hinreiten, ist noch unklar. Aber natürlich bietet die Schweiz viele attraktive Ziele. Mal sehen, vielleicht verschlägt es uns bald da hin.

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Zu den PersonenGünter Wamser, 1959 geboren, hat sein Leben dem Reisen und dem Abenteuer verschrieben. Im Alter von 26 Jahren verabschiedete sich der gelernte Flugzeugmechaniker von einer gesicherten Existenz und begab sich mit dem Motorrad auf eine Reise durch Nord- und Mittelamerika. In Guatemala sattelte er um und erfüllte sich den Jugendtraum vom eigenen Pferd. 1994 startete er die Durchquerung des amerikanischen Doppelkontinents mit Pferden.

Sonja Endlweber, 1973 in Wien geboren, promovierte als Umweltökonomin und arbeitete als Unternehmensberaterin und Entwicklungshelferin, bis sie 2006 in den Bann des Abenteuerreiters Günter Wamser geriet. Spontan entschied sie, ihren Beruf an den Nagel zu hängen und sich ihrer Leidenschaft, dem langsamen, naturnahen Reisen zu widmen. Seither reitet sie gemeinsam mit Günter Wamser durch die Wildnis Amerikas.