Knappheit
In Afrika mangelt es an Schlangenseren
100 000 Menschen sterben jährlich am Biss einer Schlange. Trotzdem gehen in Afrika die Gegengifte aus – für den Hersteller des wichtigsten Serums ist die Herstellung zu wenig lukrativ.
Klapperschlangen, Kobras, Schwarze Mambas, Puffottern und Taipane. Auf jedem Kontinent ausser Europa gibt es Schlangen, deren Gift für uns Menschen tödlich ist. Und die Zahl der weltweiten Todesfälle, die durch Giftschlangenbisse verursacht werden, ist erschreckend hoch: Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass weltweit rund fünf Millionen Menschen pro Jahr von Schlangen gebissen werden. Am Gift der Schlangen sterben zwei Prozent der Gebissenen, das sind rund 100 000 Todesopfer pro Jahr. Weitere 400 000 Menschen werden jährlich durch Schlangenbisse entstellt. Das heisst, sie können nur durch Amputation eines Beines oder Armes gerettet werden.
Die Experten befürchten, dass künftig sogar noch deutlich mehr Menschen an Schlangenbissen sterben werden – weil Gebissene nicht mehr so gut behandelt werden können. Hilfe für Gebissene bieten sogenannte Schlangenseren. Sie werden seit über 120 Jahren nach der gleichen Methode hergestellt, seit 1890, als sie vom französischen Immunologen Albert Calmette entwickelt wurden. Zuerst werden Säugetieren, meist Pferden, Schafen oder Kamelen, kleine, nicht tödliche Dosen Schlangengift gespritzt.
Auf diese Weise werden im Tier Antikörper gebildet, die an das entsprechende Toxin binden und es dadurch neutralisieren. Die Giftdosis wird so lange gesteigert, bis das Tier grosse Mengen Antikörper bildet. Als letzter Schritt wird dem Tier Blut entnommen, woraus die Antikörper isoliert, gereinigt, als Antiserum aufbereitet und später bei Bedarf einem Schlangenbissopfer injiziert werden.
Versorgungslücke mit hohem Preis
Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass ein Schlangenbissopfer dem behandelnden Arzt meistens nicht sagen kann, welche Giftschlange zugebissen hat. Deshalb bestehen Schlangenseren oft aus einem Cocktail von Antikörpern gegen die wichtigsten und häufigsten Giftschlangenarten einer bestimmten Region. Naturgemäss ist der Aufwand ziemlich hoch, der zur Herstellung eines dieser sogenannten «polyvalenten Antiseren» getrieben werden muss.
Bedingt durch diesen hohen Aufwand ist der Abgabepreis von umgerechnet rund 100 bis 400 Franken für eine lebensrettende Dosis Gegengift sehr hoch. Für eine durchschnittliche Familie in Schwarzafrika beispielsweise ist das ein unerschwinglicher Preis.
Trotz des hohen Preises ist die Herstellung von Schlangenseren offensichtlich aber auch für die Pharmafirmen kein gutes Geschäft. So stellte der französische Pharmariese Sanofi 2010 die Produktion seines Allroundserums «FAV-Afrique» ein. Dieses Schlangenserum wirkt gegen die Gifte von zehn unterschiedlichen Giftschlangenarten und hat in den vergangenen Jahren Tausenden von Menschen südlich der Sahara das Leben gerettet. Statt Schlangenseren stellt Sanofi jetzt in den entsprechenden Produktionsstätten ein lukrativeres Serum gegen Tollwut her. Die letzten Vorräte von FAV-Afrique sind mittlerweile aufgebraucht.
Jetzt werden mit Hochdruck potenzielle Interessenten gesucht, die die Produktion von FAV-Afrique übernehmen. Aber selbst, wenn ein geeigneter Produzent gefunden werden sollte, wird es wohl einige Zeit dauern, bis Produktion und Vertrieb ins Rollen kommen. Ein Ersatz für FAV-Afrique wird daher vermutlich erst Ende 2018 oder Anfang 2019 auf dem Markt sein. So ist in Afrika eine Versorgungslücke entstanden, die nach Ansicht der Organisation «Ärzte ohne Grenzen» mehrere 10 000 Menschen das Leben kosten könnte.
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