Forschung
Biologen sind den jungen Steinadlern im Alpenraum auf der Spur
Das Verhalten von jungen Steinadlern ist kaum erforscht. Das möchte ein Team unter Leitung der Vogelwarte Sempach ändern: Sie entschlüsseln das geheimnisvolle Leben der «Könige der Lüfte» mithilfe von Peilsendern.
Der nasskalte Frühsommertag in den Davoser Bergen soll ein «grosser Tag» werden, wie der Biologe David Jenny von der Vogelwarte Sempach meint: Er und sein Team haben heute die Möglichkeit, zwei Steinadler, knapp fünfzig Tage alt, mit Datenloggern auszustatten. Nervosität merkt man der Gruppe, bepackt mit Bergseilen, Messgeräten und Kameras, aber nicht an.
Denn die Besenderung von jungen Steinadlern ist für sie Routine: Bereits 33 Vögel haben die Forschenden mit Sensoren bestückt, mit deren Hilfe sie das Leben der Jungtiere dokumentieren. Dabei sei bisher erst einmal ein junger Steinadler während des Vorhabens aus dem Nest entwischt, sagt Jenny.
Dennoch ist die Besenderung dieser beiden Steinadler etwas Besonderes, denn sie sind Geschwister, und Doppelbruten sind bei diesen Vögeln selten.
In diesem Jahr sowie auch im Jahr 2019 gab es aber überdurchschnittlich viele Doppelbruten. Ein Grund könnte sein, dass im Frühjahr der Schnee lange liegen geblieben ist. Schnee hilft den bis zu 32 Jahre alt werdenden Steinadlern, ihre Hauptbeute, die Murmeltiere, besser aufzuspüren. Zudem können sich die Murmeltiere im Schnee bei einem Angriff nicht so blitzartig in ihren unterirdischen Gängen verstecken.
Minutiöse Dokumentation
Nach einem rund einstündigen Fussmarsch in weglosem Gelände, durch ein Meer von blühenden Alpenrosen und einen abschüssigen Wald hinunter, seilt sich der Bergführer und Wildhüter beim Bündner Amt für Jagd und Fischerei, Romano Salis, von einem schmalen Vorsprung zu einer steilen Felswand ab. Dort befindet sich der Horst mit den Steinadler-Geschwistern. Er legt sie in eine graue Tasche, die das Besenderungsteam über einen Seilzug nach oben zieht.
Dort, auf sicherem Boden, platzieren David Jenny und die Doktorandin Julia Hatzl den ersten Jungvogel auf ein Frottéetuch. Zuerst wägen sie ihn, vermessen seinen Schnabel, die Krallen und die Flügellänge und suchen ihn nach Parasiten ab. «Das ist wahrscheinlich ein Männchen», sagt Jenny. Um ganz sicher zu sein, zupfen sie dem Steinadler drei kleine Brustfedern, die später im Labor mit Erbgut-Analysen untersucht werden sollen. Dass es sich um ein junges Tier handelt, ist auch für Laien am weissen Schwanz und den weissen Flügelfedern erkennbar.
«Aggressivitätslevel eins», gibt Biologe Jenny zu Protokoll. Anders übrigens das Weibchen, das danach besendert werden soll: Sein Aggressivitätslevel bewerten die Steinadler-Experten mit drei auf einer Skala von eins bis fünf.
Machtkämpfe um Reviere
Steinadler fühlen sich in der Schweiz sehr wohl. Es gibt rund 350 Brutpaare, in fast jedem geeigneten Lebensraum im Schweizer Alpenraum lebt heute ein Adlerpaar. Das ist nicht selbstverständlich: Als einziger grosser Beutegreifer in der Schweiz hat der Steinadler die Zeiten rücksichtsloser Verfolgung überstanden, in der Bartgeier, Luchs, Wolf und Braunbär ausgerottet wurden.
Die grosse Zahl von Steinadlern in der Schweiz befeuert jedoch Auseinandersetzungen unter den Tieren um neue Reviere. Tatsächlich sind über die Hälfte der tot gefundenen Steinadler im Kanton Graubünden Opfer von solchen territorialen Machtkämpfen.
Hierbei kommt den jungen Steinadlern eine Schlüsselrolle zu: Ab dem vierten bis sechsten Lebensjahr suchen sie sich einen Partner und versuchen ein eigenes Revier zu besetzen, das zwischen zwanzig und achtzig Quadratkilometer gross ist. Aber bisher gibt es eine Wissenslücke darüber, wie sich die Jungtiere dabei verhalten.
Jungtiere fliegen weit
Die Datenlogger senden fast im Minutentakt Informationen über die Jungvögel: Wohin sie fliegen, ob sie fressen, trinken oder sich putzen. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit analysiert Hatzl diese enormen Datenberge. Erste Auswertungen hätten ergeben, dass bereits einjährige Jungvögel sich während der Sommermonate für längere Zeit in Einzeladlergebieten niederlassen würden, erklärt die Biologin. Diese würden sich meistens in Grenzgebieten von bereits besetzten Revieren befinden.
Auch zeigte sich, dass Jungadler bereits fünf Wochen nach dem Verlassen des Horsts grössere Exkursionen unternehmen, die bis zu elf Tage dauern und während denen sie bis hundert Kilometer weit durch den Alpenraum streifen.
Rucksäckli mit Datenlogger
Nachdem dem jungen Steinadler eine Adlerhaube aufgesetzt wurde, die ihn in Dunkelheit taucht und beruhigt, beginnen Jenny und Hatzl, dem Vogel den mit Solarenergie gespiesenen Sender anzuziehen.
Was einfach klingt, erfordert viel Gefühl: Denn der Sender klemmt an einer Art Rucksäckli, dessen Träger über die Beine verlaufen. Dieses darf nicht zu eng anliegen, damit es den noch nicht ausgewachsenen Vogel später nicht einengen wird. Damit es nicht bereits im Horst wieder verloren geht, darf es auch nicht zu locker anliegen. Der Vorteil dieser Montage ist gemäss den Forschenden, dass der Adler die ganze Ausrüstung verliert, wenn die Schlaufen irgendwann durch Abnützung reissen.
Steinadler-Routen per App verfolgen
Für die Schweiz erforscht die Vogelwarte die Flugrouten der jungen Steinadler mit Unterstützung des Bündner Amts für Jagd und Fischerei in Graubünden. Das Projekt wurde vor vier Jahren vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell (Deutschland) initiiert. Zusammen mit weiteren Partnern in Deutschland, Slowenien, Italien und Österreich wurden inzwischen fast siebzig Steinadler alpenweit besendert.
Um die Mittagszeit legt Jenny auch den zweiten, inzwischen besenderten Steinadler sorgfältig zurück in die Tasche und trägt die Geschwister wieder an den Rand des Felsvorsprungs. Vorsichtig gelangen die Jungtiere nun wieder zurück in ihr trautes Heim.
Wohin es die zwei und ihre besenderten Artgenossen ziehen wird, lässt sich nicht nur von den Forschenden, sondern auch mit einer vom Max-Plack-Institut entwickelten App mit dem Namen «Animal Tracker» verfolgen. Aber erst, nachdem die Jungtiere ihr Elternrevier verlassen haben. Denn die Brutplätze der Steinadler sollen ein Geheimnis bleiben, damit sie ungestört aufwachsen und sich auf die kräfteraubende Reviersuche vorbereiten können.
Dieser Artikel wurde automatisch auf unsere neue Website übertragen. Es kann daher sein, dass Darstellungsfehler auftreten. Diese können Sie uns mit folgendem Formular melden. Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren