Je nach Art können Vogelspinnen eine Spannweite von bis zu 30 Zentimetern erreichen. Welches ist die grösste wild lebende Spinnenart in der Schweiz?

Das kommt ganz darauf an, ob man von der Körperlänge oder der Spannweite der Beine ausgeht. Nimmt man Letztere, so wäre das mit bis zu zehn Zentimetern wahrscheinlich die Hauswinkelspinne. Bei der Körperlänge wäre es hingegen die Gerandete Jagdspinne, die an naturnahen Gewässern lebt und deren Population leider sehr zurückgegangen ist. Die Weibchen werden hier bis zu 22 Millimeter gross.

Im Vergleich zu Vogelspinnen sind die heimischen Krabbler also eher klein. Woran liegt das?

An der Klimazone. Die meisten Spinnenarten atmen einerseits über sogenannte Fächerlungen, andererseits über ein Tracheensystem. Bei Letzterem handelt es sich um eine Art Röhrensystem im Körper der Spinnen, durch welches die Atemgase Sauerstoff und Kohlendioxyd entlang des Diffusionsgradienten wandern. Die Diffusionsgeschwindigkeit ist begrenzt, nimmt aber mit steigender Temperatur zu. Vereinfacht bedeutet dies: Je wärmer es ist, desto länger können die Tracheen sein – und desto grösser das Tier. Vogelspinnen funktionieren aber generell etwas anders, sie haben kein Tracheensystem, dafür aber zwei Paar Fächerlungen.

Spinnen haben einen schlechten Ruf. Viele haben Angst vor ihnen oder ekeln sich. Gibt es dafür eine wissenschaftliche Erklärung?

So genau weiss man das nicht. Unbestritten ist aber, dass die Vorbildwirkung der Eltern eine grosse Rolle spielt. Wenn etwa der Vater beim Anblick einer Spinne hysterisch wird, dann lernt das Kind, vor den Achtbeinern Angst zu haben. Diese negative Haltung ist aber insbesondere in den westlichen Kulturen verankert, womöglich noch angefeuert durch das Christentum, in welchem Spinnen oft mit dem Teufel assoziiert wurden. Denken Sie etwa an «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf. In anderen Kulturen hingegen fehlen diese Aversionen: In Papua-Neuguinea etwa konnte ich beobachten, wie bereits kleine Kinder die riesigen goldenen Seidenspinnen mit den Händen einfingen, ganz ohne Furcht oder Ekel.

Es heisst oft, dass es in der Schweiz keine einzige Spinnenart gibt, deren Biss tödlich ist. Stimmt das?

Ja, das stimmt. Es gibt in der Schweiz zwar auch zwei Arten, die man als Giftspinnen definieren kann, den Ammendornfinger sowie den Hausdornfinger. Wird man von diesen gebissen, können die Reaktionen von einem kurzen Schmerz bis zu mehrtägigem Fieber und Schüttelfrost reichen. Die Symptome klingen aber ohne Behandlung und ohne bleibende Schäden wieder ab. Und, weil das ebenfalls oft gefragt wird: Es ist bisher auch kein einziger Fall einer allergischen Reaktion oder gar eines anaphylaktischen Schocks nach einem Spinnenbiss bekannt.

Und was ist mit der gefürchteten Nosferatu-Spinne?

Ich ärgere mich immer wieder über diesen irreführenden Namen. Er kommt davon, dass ein Spinnenforscher im Muster auf dem Körper der Spinne wohl Dracula erkannt haben will – es gibt aber keine Spinnenart, die Blut saugt. Ich selbst wurde erst vor ein paar Wochen von einer Nosferatu-Spinne gebissen, als ich den Sattel meines Fahrrades mit einem Tuch trocknen wollte, das ich in meinem Briefkasten aufbewahre. Als ich danach griff, wurde ich von der Spinne gebissen, die sich darin eingenistet hat. Das tat kurz weh, als ich aber keine zehn Minuten später im Naturhistorischen Museum Bern ankam, war der Schmerz bereits wieder verschwunden. Da ist ein Mückenstich deutlich unangenehmer.

Unabhängig von diesen kulturellen Vorurteilen nehmen Spinnen bestimmt eine wichtige Rolle in unserem Ökosystem ein. Wie sieht diese aus?

Spinnen sind die bedeutendsten terrestrischen Prädatoren, also die häufigsten landlebenden Fleischfresser. Eine kürzlich erstellte Hochrechnung besagt, dass alle Spinnen zusammen pro Jahr zwischen 400 und 800 Millionen Tonnen Insekten konsumieren. Als Vergleich: Wir Menschen essen jährlich etwa 400 Millionen Tonnen Fleisch und Fisch, alle Wale zusammen zwischen 280 und 500 Millionen Tonnen. Spinnen sind also mit Abstand die wichtigsten Prädatoren an Land. Wären sie nicht da, gäbe es viel mehr Insekten und entsprechend viel weniger Pflanzen. Ohne Spinnen würde also wohl unser ganzes Ökosystem kollabieren.

Besonders faszinierend ist auch die Anatomie der Arachniden. Sprechen wir etwa über Spinnenbeine – die können ja praktisch alles.

Das Tolle ist, dass diese nicht nur zur Fortbewegung dienen. Natürlich können Spinnen mit ihren Beinen laufen, springen, auf glatten Oberflächen haften bleiben oder Netzfäden manipulieren. Ihre Beine sind aber vor allem die wichtigsten Träger von Sinnesorganen. Es gibt eine wahnsinnige Vielfalt an Sinneshaaren, einige nehmen Gerüche wahr, andere schmecken, einige sind mechanosensitiv, wieder andere messen die Luftfeuchtigkeit oder die Temperatur. Es gibt sogar Haare, die Luftschwingungen wahrnehmen können. Über ihre haarigen Beine können Spinnen also eine riesige Anzahl an Reizen empfangen und analysieren, weshalb etwa auch Augen für die meisten Arten gar nicht so wichtig sind.

Dennoch haben alle Spinnen acht Augen. Weshalb so viele?

Acht sind gar nicht so viele, denkt man etwa an andere Gliederfüssler wie Fliegen mit ihren Komplexaugen. Diese bestehen aus Hunderten oder Tausenden Einzelaugen. Auch die Vorfahren der Spinnentiere verfügten über solche Komplexaugen, haben diese aber im Lauf der Evolution verloren, weil eben ihre Beine den Grossteil der Wahrnehmung übernommen haben. Es gibt aber auch gewisse Arten, die unglaublich gut sehen, konkret die Springspinnen, welche immerhin die grösste Familie der Arachniden ausmachen. Sie haben einen 360-Grad-Rundumblick und können sogar ihre Netzhaut bewegen, um eine Art 3D-Scan ihrer Beute zu erstellen.

Was fasziniert Sie persönlich so an Spinnen?

Eben, genau diese Vielfalt an Sinnesorganen. Spinnen leben in einer ganz anderen Welt – während unsere optisch-akustisch ist, sehen sie anders, hören anders, nehmen alles ganz anders wahr. Genau weil sie uns so fremd sind, sind sie uns wohl oft auch so unheimlich. Ein Säugetier verstehen wir intuitiv viel besser, da es uns evolutionär weitaus nähersteht. Eine Spinne zu verstehen hingegen, ist bedeutend schwieriger. Sobald man sich aber mit ihnen beschäftigt und je mehr man über sie erfährt, desto mehr kann man in diese andere, faszinierende Welt eintauchen.

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Zur PersonProf. Dr. Christian Kropf unterrichtet am Institut für Ökologie und Evolution an der Universität Bern und ist zudem Leiter der Abteilung Wirbellose und Kurator für Arachnologie am Naturhistorischen Museum Bern. Er ist 61 Jahre alt, in Österreich aufgewachsen, hat drei erwachsene Söhne und ist seit früher Kindheit in Tiere vernarrt.