Was mit einer Kartonschachtel unter dem Bett begann, entwickelte sich zu einer Leidenschaft mit System. Luca Meier aus Wallenwil TG sammelt Vogelfedern. Als Zweijähriger griff er fasziniert danach, wenn er eine in der Natur fand, und nahm sie nach Hause. «Mit 17 interessierte es mich, von welchen Vögeln sie stammen», erinnert sich der 24-Jährige. Heute hat er ungefähr eine halbe Million Vogelfedern – nicht mehr in Schachteln, sondern fein säuberlich abgelegt und beschriftet in 25 Ordnern. Und es werden immer mehr.

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Von Vögeln sei er, seit er sich erinnern könne, total fasziniert, sagt der Thurgauer in einem Zimmer seiner Wohnung. Er streckt seine Hand aus. Flugs landet ein Springsittich darauf, meckert kurz und flitzt gleich wieder in die Zimmervoliere zu seinem Artgenossen. Damit Vögel fliegen können, haben sie Tausende von Muskeln unter der Haut verborgen, die dazu dienen, die Federn bewegen zu können. Vögel sind dank ihren Federn wendige Flieger. Zudem tarnt und schützt sie das Gefieder, und sie werben damit um einen Partner.

«Die Feder ist sehr komplex aufgebaut», erklärt Luca Meier. Er nimmt eine bräunliche Schwungfeder eines Mäusebussards, streicht sachte darüber, spricht vom Federast, der vom Kiel abzweigt, und der Federfahne, die zwischen den Ästen liegt.

Bestimmung nach Ausschlusskriterium

Das Federkleid eines Vogels wird von Konturfedern bestimmt. Dazu gehören alle den Körper bedeckenden Federn, die in das Klein- und das Grossgefieder eingeteilt werden. Letzteres umfasst die Flugfedern. «Wie viele Federn ein Vogel hat, ist von verschiedenen Faktoren abhängig», sagt Luca Meier. Während etwa ein Kolibri um die 1000 Federn aufweise, habe ein Höckerschwan bis zu 25 000, wobei etwa 80 Prozent am Hals zu finden seien. Grössere Vögel haben mehr Federn, doch es spielen auch klimatische Faktoren eine Rolle.

Wenn Luca Meier in der Natur unterwegs ist, guckt er nach Federn. Er sagt: «Ich scanne automatisch den Boden ab.» Er finde immer etwas, meint er vielsagend und präsentiert die Ausbeute eines Spaziergangs vor der Haustüre: Federn von Rotmilan, Mäusebussard, Grünspecht, Eichelhäher, Graureiher, Elster, Rabenkrähe, Türkentaube und Ringeltaube. «Ich weiss, wo schauen», verrät der Federkenner. Wenn er am Morgen unter Schlafbäumen gewisser Vogelarten suche, finde er garantiert Federn. Die Mauserzeit etwa im Juli sei besonders dankbar. Da wechseln die Vögel ihre Federn, alte fallen aus, neue wachsen nach. «Meistens nehme ich von einem Spaziergang Federn mit nach Hause», sagt Luca Meier.

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Beim Bestimmen von Vogelarten aufgrund der Federn hat sich Meier innerhalb kurzer Zeit ein enormes Wissen angeeignet. Er habe schon als Jugendlicher viele Vogelbücher gehabt, das habe ihm geholfen, die Fundstücke zuzuordnen. «Ich arbeite mit dem Ausschlusskriterium.» Er zeigt eine Feder einer Mittelmeermöwe und erzählt: «Ich wusste, dass sie am Mittelmeer gefunden wurde und von einer Möwe stammte.» Es sei schwer, Möwen aufgrund des Gefieders zu bestimmen, da die Gefiederfarbe beim Erwachsenwerden variiere, deshalb sei der Fundort ein wichtiges Indiz.

Es gebe bei jeder Gattung andere Merkmale. Bei südamerikanischen Sittichen habe die vierte Handschwinge jeweils eine Spitze. «Hat eine grüne Feder eine solche Spitze, kann ich die asiatischen Edelsittiche ausschliessen.» Heute benütze er die Internetseite Featherbase.info zur Bestimmung. Die weltweite Artenfülle bei Vögeln ist mit über 10 000 gross.

«Ich habe zu all meinen Federn vermerkt, wo sie gefunden wurden, an welchem Tag und unter welchen Umständen sie zu mir kamen», sagt Luca Meier. Er schlägt einen Ordner auf. Darin befinden sich einzelne weisse Blätter in Klarsichtmäppchen mit fein säuberlich geordneten Federn darauf, manche sind aufgeklebt, andere, grössere, sind lediglich eingelegt. Es sind Federn von grosser Farbenpracht. Sie leuchten in Gold, einige sind grünlich und haben orange Aussenfahnen, andere weisen rote Ränder auf, manche sind tiefblau, dann wieder grün schillernd, als hätte sich das Leben in sie zurückgezogen. «Grosser Vasa, Grünflügelara, Goldstirnsittich, Goldnackenara, Granadaamazone», kommentiert Luca Meier beim Durchblättern seiner gesammelten Schätze.

«In der Natur scanne ich automatisch den Boden ab.»

Papageien und Hühnervögel interessierten ihn ganz besonders, sagt der Federsammler. Darum habe er von diesen Vogelordnungen besonders viele Federn. Diese hat er aber nicht in der Natur gesammelt. Luca Meier fragt Züchter an, ob er Federn ihrer Vögel haben könne. Wobei: Vor zwei Jahren verbrachte er seine Ferien in der Dominikanischen Republik. «Das war besonders spannend, denn ich wusste: Jede Feder, die ich hier finde, fehlt mir zu Hause», sagt Meier.

Er hat dann tatsächlich Federn von 14 Vogelarten in der tropischen Natur gefunden. Es sei sehr wichtig, die Herkunft der Federn zu dokumentieren. «Viele Vogelarten, so fast alle Papageien, sind artengeschützt.» Es sei nicht erlaubt, Federn solcher Vögel ohne Cites-Papiere über die Grenze zu nehmen. Darum beschränke er sich beim Sammeln von Federn exotischer Arten auf solche, die von Schweizer Züchtern gehalten werden. Luca Meier hat als Mitglied von Vogelhaltervereinigungen wie der Exotis und Ziervögel Schweiz ein grosses Netzwerk.

Eine Feder grösser als ein Kind

Die Vogelfeder hat ihn – nebst dem systematischen, wissenschaftlichen Sammeln – auch in die Kunst geführt. Stirbt ein Papagei, ist das für einen Liebhaber traurig, doch Luca Meier erweckt ihn zu neuem Leben. Er klebt die Federn gefächert auf, so als breite der Vogel seine Flügel und seinen Schwanz aus. So kommen jede Feder und Nuance zur Geltung. Diese Kreationen mit Kunstwerken aus der Natur rahmt er. Die Natur liefert perfektes Material, Luca Meier inszeniert es gekonnt. «Bis ich einen ganzen Vogel so gestaltet habe, brauche ich mehr als acht Stunden», sagt er.

Die einzelnen Federn wasche er mit Wachmittel und föhne sie anschliessend. Chemisch würde er die Federn nicht behandeln. Wenn er das Vogelgefieder aufklebe, sei das eine einsame, gleichmässige Arbeit. «Nach einer turbulenten Woche ist das sehr entschleunigend. Luca Meier arbeitet als Lehrer mit Sechstklassschülern. Der Pädagoge begeistert auch die Kinder für die Vogelfedern.

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Er hat sogar ein Lehrmittel zu einheimischen Vögeln entwickelt, mit ergänzendem Lehrerhandbuch. Das hat dazu geführt, dass er in unterschiedlichen Schulen Vorträge zum Thema Federn und Vögel hält. Wenn er den Kindern die Schwanzfedern des Königsfasans zeige, die grösser sind als sie selbst, lasse das niemanden kalt. Luca Meier schwärmt von den konzentrierten Kindergesichtern, wenn sie mit geschlossenen Augen eine Eulen- und Bussardfeder im Vergleich befühlen. «Die Eulenfeder ist an den Enden gefranst, darum ist die Eule im Flug nicht zu hören», erklärt Meier.

Stirbt ein Papagei, erweckt ihn Luca Meier zu neuem Leben.

Luca Meiers Begeisterung springt auf das Publikum über, wenn er über Vögel und ihr Gefieder spricht. Nach wie vor sammle er alle Federn, ausser solche von farbmutierten Vögeln. «Die einzigen mutierten Federn, die ich habe, sind die Schwanzfedern eines weissen Pfaus», sagt der Sammler. Er holt ein Glas mit den märchenhaft schönen Schwanzfedern des Pfaus, die er zu zwei Schweifen zusammengestellt hat. Doch da fällt auf, dass es solche darunter hat, die wie Kupfer schillern. «Das sind die besonderen Schwanzfedern des Ährenträgerpfaus», kommentiert der Federexperte.

Diese seltene Pfauenart stammt aus dem tropischen Asien. Die Federfarben ergeben sich vor allem durch das braune bis schwarze Pigment, das Melanin. Weitere Pigmente sind Karotinoide, die bewirken, dass ein Gefieder gelb oder rot wird, und Porphyrine, die beispielsweise bei den Turakos aus Afrika für die auffälligen, kupferroten Flügelunterseiten sorgen. Scheint Sonnenlicht in das Vogelgefieder, entstehen verschiedene Farben, die teilweise schillern. Dieses Farbenspiel wird durch die Absorption von Licht vielfältig. Vögel selbst nehmen es nochmals anders und reichhaltiger wahr, denn sie können sogar auch im ultravioletten Bereich sehen.

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«Die Vielfalt an Vogelfedern ist dermassen gross», schwärmt Luca Meier, nimmt einen Plastikbeutel mit Federn des Silberklaffschnabels, eines Vogels aus der Familie der Störche, der in Indien und Sri Lanka lebt, öffnet ihn und beginnt mit dem Sortieren. Er habe sie von einem Züchter erhalten. Was er nicht gebrauchen könne, nehme er mit in die Schule zum Basteln, die schönsten aber integriere er in seine Sammlung. Wieder eine neue Vogelart in Luca Meiers Ordnern.

vogelartig.ch