Interview mit Blogger Jan Hegenberg
Weltuntergang fällt aus!
Wenn es um die Energie- und Klimakrise geht, herrscht in unseren Breiten oft keine gute Stimmung. Blogger Jan Hegenberg ist jedoch zuversichtlich, dass wir die Lösungen für die Probleme bereits haben und nur noch umsetzen müssten.
Herr Hegenberg, Ihr Buch heisst «Weltuntergang fällt aus». Was macht Sie da angesichts der vielen negativen Nachrichten, mit denen wir jedem Tag geflutet werden, so sicher?
Bezogen auf die Klimakrise blicke ich mit Hoffnung auf die stetig wachsende Menge von Menschen, die ihre Fähigkeiten, ihre Zeit und ihre Energie darauf fokussieren, das Problem zu lösen. Jeden Tag kommen wir diesem Ziel näher, und je weiter wir kommen und je besser das funktioniert, desto mehr Menschen identifizieren sich wiederum damit.
Was raten Sie Leuten, die angesichts der Klimakrise hoffnungslos sind?
Ich würde ihnen raten, sich anzusehen, wie schnell sich in den letzten Jahrzehnten neue Lösungen etabliert haben. Das erste iPhone kam 2007 auf den Markt, das ist gerade mal 16 Jahre her, und hat in nur wenigen Jahren die alte Technik abgelöst. Der erste globale Klimastreik fand erst vor vier Jahren statt, trotzdem hat sich der Umgang mit dem Thema bereits stark verändert. In den kommenden Jahren werden eine Menge Menschen, Staaten und Organisationen ganz unabhängig auf erneuerbare Technik setzen: Weil sie billiger ist, auch bei niedrigen Flusspegeln funktioniert und uns unabhängig macht. Das sind alles Entwicklungen, die noch vor zehn Jahren nicht absehbar waren und die uns enorm helfen werden.
Die Ansicht, dass ein kompletter Umstieg auf erneuerbare Energie teuer oder gar unmöglich ist, stimmt also so faktisch gar nicht?
Nein, denn Technologien wie Windkraft und Photovoltaik, Wärmepumpen und Batterien sind viel günstiger und robuster geworden und können sich über exponentielle Zuwachsraten freuen. Hinzu kommt: Die Lösungen der Klimakrise verringern nicht nur unsere Treibhaus-Emissionen, sie sind oft auch schlicht ein willkommener genereller Fortschritt. Wir haben die Technik, wir haben die Wirtschaft, um das alles herzustellen, und wir können den Umstieg auf klimaneutrale Lösungen finanzieren. Damit stabilisieren wir das Klima und verringern nebenbei noch ein paar andere Probleme wie Luftverschmutzung, Ressourcenverbrauch und Abhängigkeiten von nicht gerade demokratischen Staaten. Der einzige echte Engpass ist der politische Wille.
Wie sieht dieser politische Unwille aus?
Das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Deutschland wurden erneuerbare Energien lange sehr ambitioniert ausgebaut, bis neue Gesetzeslagen den Bau mit sehr strengen Auflagen verknüpften. Es gibt mittlerweile Verhinderungsvereine, die neue Projekte gezielt mit Klagen überziehen, seitdem war der Zubau neuer Anlagen insbesondere bei der Windkraft eingebrochen. Das scheint sich aber gerade zu stabilisieren, im Zuge des Kriegs in der Ukraine haben viele Deutsche ihren Energiebezug hinterfragt und das Thema für sich neu bewertet. Weltweit ist Deutschland aber ohnehin ein statistischer Ausreisser, denn die Anzahl Windkraftanlagen wächst global rasant. Lange Zeit bremste der Preis viele Projekte aus. Dieser ist aber über die Jahre stark gefallen und trifft nun auf Rekordpreise der fossilen Energieträger, was den Bau von erneuerbaren viel lukrativer macht als früher.
Gegner von Windkraftanlagen ziehen häufig mit dem Argument des Vogelschutzes ins Feld. Darunter sind auch Leute, die sich bisher nicht als grosse Naturschützer hervorgetan haben. Wie erklären Sie sich das?
Das liegt dann meistens daran, dass viele Leute zu diversen Themen eine klare Meinung haben und dann versuchen, sich die dazu passenden Fakten zusammenzusuchen. Das geschieht dann leider oft in Form von ziemlicher Rosinenpickerei, denn sonst müssten diese Leute sich noch viel stärker gegen Glasscheiben und Strassenverkehr aussprechen, die zusammen mit Katzen nachweislich für ein Grossteil der toten Vögel verantwortlich sind. Daran erkennt man dann auch die Leute, die tatsächlich am Vogelschutz interessiert sind: Diese Menschen fordern Massnahmen auf allen Ebenen und setzen sich auch tatsächlich für weniger Autos und weniger Bebauung ein. Selbst die Vogelwarte Sempach gibt ja entsprechende Empfehlungen heraus und stellt sich nicht prinzipiell gegen Windkraftanlagen.
Häufig hört man: «Was wir tun, bringt doch gar nichts, solange China/Indien/die USA so weiter macht wie bisher». Was antworten Sie darauf?
Die Vergleiche von sehr unterschiedlich bevölkerten Staaten sind eigentlich immer eine Strategie, sich aus der Verantwortung zu nehmen. Manche Deutschen ruhen sich ja gerne darauf aus, dass Deutschland «nur» 2 Prozent der CO2-Emissionen verursacht. Wenn man dann zurückfragt, ob die Schweiz mit 0,1 Prozent der Emissionen also keinen Klimaschutz betreiben muss, wird schnell zurückgerudert. Genauso gut könnte sich eine Bewohnerin von Luzern hinstellen und sagen «Luzern emittiert ja nur 1 Prozent der Schweizer Emissionen» und darauf verweisen, dass Klimaschutz in Luzern allein nichts bringt und sie erst mal auf effektiven Klimaschutz in Zürich, im Kanton Tessin oder im gesamten Rest des Landes warte.
Zudem unterschätzten viele Leute offenbar andere Staaten. China, Indien und die USA investieren längst gigantische Summen in erneuerbare Energien, Batterietechnik und Kapazitäten für grünen Wasserstoff. Der US-Bundesstaat Texas hat den gleichen Anteil Windstrom im Strommix wie Deutschland, China führt den globalen Ausbau für Photovoltaik und Windkraft an und in Indien steht die grösste Freiflächen-Photovoltaikanlage der Welt. Das könnte noch schneller gehen, aber die Sorge, dass Europa ganz allein Klimaschutz betreibt, ist unbegründet.
In der Schweiz werden für die Stromproduktion kaum fossile Brennstoffe eingesetzt. Wo sehen Sie für unser Land Potenzial?
Die Schweiz hat in der Tat einen riesigen geografischen Vorteil gegenüber anderen Ländern und hat jetzt schon einen sensationell CO2-armen Strommix. Trotzdem hat die Schweiz natürlich die gleichen Aufgaben wie alle anderen Länder vor sich und muss auch die anderen Sektoren von fossilen Brennstoffen abkoppeln. Das heisst: mehr Strom erzeugen, Verkehr elektrifizieren, Gebäudewärme und Industrieprozesse ohne fossile Brennstoffe ermöglichen. Sie hat aber aufgrund des Strommix einen sehr grossen Vorsprung und könnte aufgrund der hohen Leistung von Speicherwasserkraftwerken, die ja wetterunabhängig funktionieren, ideal Wind- und Solarkraft integrieren. Das geht, wenn die Politik entsprechend mitzieht.
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Jan Hegenberg deckt in seinem Blog unter dem Pseudonym «Der Graslutscher» Falschmeldungen und Scheinargumente rund um die Energiekrise und den Klimawandel auf. Der Deutsche untermauert seine Argumente und Fakten mit wissenschaftlich fundierten Quellen und hat sie auch in seinem Spiegel-Bestseller «Weltuntergang fällt aus» zusammengefasst.
Jan Hegenberg: «Weltuntergang fällt aus»
288 Seiten, Komplett Media GmbH
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