Angefangen hat es, als ich eine Ziege geschenkt bekam», schwelgt Simone Barth in Erinnerungen. Da man Ziegen nicht allein halten darf, sei bald eine zweite dazugekommen und schon habe es ihr den Ärmel reingenommen. «Ich begann, mir Gedanken darüber zu machen, dass wir auf dem Bauernhof auch etwas gegen den Artenschwund bei Nutztieren machen sollten.» So kam es, dass heute mehrere selten gewordene Rassen auf dem Hof Vordermärchligen in Allmendingen (BE) zu Hause sind: Graue Bergziegen, Original Freibergerpferde, Diepholzer Gänse, Schweizer Feh-Kaninchen und auch Mila – ein Original Braunvieh. «Mit einem Tier rettet man noch keine Rasse», ist sich Barth bewusst. Doch das Ziel von ihr und ihrem Mann Walter Lüthi ist es, die Tiere so zu nutzen, damit sie wieder an Wert und Interesse gewinnen. «Mila ist einfach sozial und sehr beliebt in der Kuhherde», erzählt Simone Barth. So habe sich das Original Braunvieh als ideale Amme erwiesen. «Sie schaut ein neues Kalb an und lässt es gleich trinken.» Andere Rassen seien da viel komplizierter, weiss sie aus Erfahrung.

Denn neben dem Original Braunvieh stehen auch noch Red Holstein, Holstein und einzelne Swiss Fleckvieh und Simmentaler in den Vordermärchliger Stallungen. «Mila ist ruhiger und hat keine blöden Auseinandersetzungen, weil sie darauf einfach keine Lust hat», mutmasst die Agronomin. «Sie ist ein richtiges Phlegma.» Trotzdem zahlt sie sich aus für den Hof. Um die 1500 Liter Milch weniger gebe sie jährlich im Vergleich zu einer Red Holstein. Als Amme habe Mila allerdings schon sechs Kälber unter ihre Fittiche genommen und damit viel Arbeit abgenommen, erzählt Barth. «Wenn wir die Kälber ‹schöppelen›, gibt das viel mehr zu tun», weiss sie. Vor allem seien die Jungspunde auffallend gesund. «Keines der sechs Kälber brauchte bisher irgendein Medikament. Vorher gab es immer wieder mal Probleme mit Durchfall und dergleichen.» Da eine klassische Mutter-Kalb-Haltung für den Betrieb zu aufwendig gewesen wäre, wurde so mit Mila eine ideale Lösung gefunden.

Raritäten mit Charakter

Alles weitere Tierische, was auf dem Hof Vordermärchligen herumwuselt, geht eher unter die Sparte Berufung als Beruf. Mit den beiden Diepholzer Gänsen erfüllte sich Simone Barth einen Kindheitstraum. «Ich mag ihre Laute, wobei sie bisher noch recht scheu sind», erzählt sie. Sobald die Weidegänse ausgewachsen sind, könnten sie eine Art Wachhundfunktion einnehmen.

Die Grauen Bergziegen werden von Betriebsleiter Walter Lüthi mittlerweile gezielt gezüchtet, um ihr aussergewöhnliches Fell, die Statur sowie die Hörner originalgetreu zu erhalten. Ursprünglich kommen die Pro-Specie-Rara-Schönheiten aus den Kantonen Graubünden und Tessin, wo sie ihren offiziellen Namen Capra Grigia erhielten. «Sie sind sehr robust», erklärt der Landwirt. «Eine überlebte sogar mal einen Riss der Halsschlagader; das hätte ein hochgezüchtetes Tier niemals geschafft.»

«Ich habe wahnsinnig Freude an den Tieren», gibt Simone Barth ohne Umschweife zu. «Glücklicherweise hat mein Mann kein Problem damit, dass wir solche Rassen haben.» Auf die Frage, ob er schon jemals nein gesagt hat zu einem neuen Tier, verneint er lachend. Doch beiden ist sehr wohl bewusst, dass mehr Aufwand als Ertrag in vielen Hof-Raritäten steckt. «Was mehr kostet, als es einbringt, gilt für mich als Hobby», sagt der Landwirt bestimmt. «Es reicht nicht, Freude an einem Tier zu haben, um von der Landwirtschaft leben zu können», weiss auch Simone Barth.

Die Suche nach Nischen

Ein Problem, das auch bei der Capra Grigia besteht. Ziegen, die nicht mehr für die Zucht benötigt werden, bringt Walter Lüthi in die Metzgerei, wo aus ihnen unter anderem Würste gemacht werden. Doch der Aufwand ist damit lange nicht gedeckt. «Neuerdings gibt uns der Bund jährlich rund 25 Franken pro Tier», erzählt Barth. Immerhin ein wertschätzender Tropfen auf dem heissen Stein. «Die tatsächlichen Kosten für die Zucht werden jedoch von niemandem getragen. Das macht das Ganze sehr unattraktiv.» Ideal wäre, für jede seltene Rasse einen auf moderne Betriebe angepassten, einzigartigen Nutzen zu finden. So wie der von Mila als Hof-Amme. Hier würde ein aktiverer Ideenaustausch von Bauernhof zu Bauernhof sicher nicht schaden, sind sich Barth und Lüthi einig. «Klar, gibt es nicht die eine Lösung, die für alle stimmt», betonen sie. «Jeder Betrieb muss aus einer Palette von Vorschlägen entscheiden, was zu ihm passt.»

Ist der Wille eines Betriebes da, seltene Nutztierrassen zu fördern, ist das jedoch erst die halbe Miete. Denn es braucht auch eine Produktnachfrage, damit zumindest ein Teil der Arbeit entlöhnt wird. «Es ist einfacher, eine Pro-Specie-Rara-Tomate zu verkaufen, als in der einen Hand ein Gitzi zum Streicheln hinzuhalten und in der anderen eine Ziegenwurst anzubieten», ist Simone Barth überzeugt. Doch wenn diese niemand essen wolle, gebe es irgendwann auch die Ziege nicht mehr.

Lösungen für Freiberger gesucht

Ein ähnliches Schicksal droht den Freibergerpferden – der einzigen verbliebenen von ehemals zig Schweizer Pferderassen. Auch wenn diese eine andere Verwendung haben als andere Hoftiere. «Es sind die perfekten Freizeitpferde», erklärt Simone Barth. «Sie sind gesund und anspruchslos in der Haltung», weiss die Pferdenärrin. «Sie haben einen eigenen Willen und sind doch unkompliziert.» Trotzdem bedeute es mehr Aufwand als ein paar Ziegen, gibt Walter Lüthi zu bedenken, der sich in einer Interessensgemeinschaft für Lösungen der Rassenerhaltung einsetzt. «Man kann niemanden zwingen, die Tiere zu halten.»

Simone Barth ist davon überzeugt, dass die Biodiversität nicht nur im Stall, sondern auch auf den Weiden leidet, wenn Arten verschwinden. Vielfalt ist zudem eine gute Absicherung für künftige Herausforderungen. So schnell sich die Landwirtschaft derzeit verändert, weiss man nie, welche Rassen in ein paar Jahren wichtig werden könnten. Doch um dieses Kapital für die Zukunft zu erhalten, ist heute Einsatz gefragt.

Hof VordermärchligenGrösse: 45 Hektaren
Label: IP-Suisse
Tätigkeitsbereiche: Milchwirtschaft, Zucht und Ackerbau
Nutz- und Hobbytiere: Rinder (Holstein, Red Holstein, Swiss Fleckvieh, Simmentaler und Original Braunvieh), Freibergerpferde, Pensionärpferde, Graue Bergziegen (Capra Grigia), Diepholzer Gänse, Hühner und Kaninchen sowie zwei Minipigs, mehrere Katzen und ein Hofhund