Der Einsatz von pflanzlichen Heilmitteln zählt sowohl beim Menschen als auch bei den Tieren zu den ältesten Therapiemethoden. Es gibt Hinweise drauf, dass sich Menschen bereits vor über 60 000 Jahren mit Arzneipflanzen behandelt haben. Tiere nutzen die lindernde Kraft der Pflanzen wohl noch deutlich länger. Denn sie verfügen über die Gabe, Empfindungen wie etwa nachlassenden Schmerz mit einem zeitlich vorausgegangenen Geschmacks- oder Geruchserlebnis in Zusammenhang zu bringen, und sie können sich diese Verbindung über Jahre hinweg merken. Eine rund 3000-jährige Rezeptsammlung für Pferde belegt, dass bei der medizinischen Versorgung von Nutztieren schon sehr lange auf die Kraft der Pflanzen gesetzt wird.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Landwirte zur Behandlung ihrer Nutztiere jedoch auf chemisch-synthetisch hergestellte Arzneimittel. Nun war das Antibiotikum Penicillin zur Behandlung bakterieller Erkrankungen zugänglich und grassierenden Tierseuchen wie der Maul- und Klauenseuche wollte mit potenten Mitteln entgegengetreten werden.

[IMG 2]

Die Phytotherapie, also der Einsatz von ganzen frischen oder getrockneten Pflanzen, von Pflanzenbestandteilen wie ätherischen Ölen oder Pflanzenzubereitungen, etwa Tees oder Tinkturen, geriet in Vergessenheit. Seit einigen Jahren kann jedoch wieder ein gesteigertes Interesse an diesen natürlichen Heilmitteln festgestellt werden.

Vorbeugen und unterstützen

Die Firma AnimalMed setzt auf natürliche Produkte zum Erhalt der Nutztiergesundheit und möchte über Beratungen und Kurse das Vertrauen in die Phytotherapie aufbauen. «Ein grosser Vorteil der pflanzlichen Pflegeprodukte und Futtermittel besteht darin, dass durch deren Einsatz der Antibiotikaverbrauch reduziert werden kann», sagt Verkaufsleiterin Katja Brügger. Vor allem bei Atemwegserkrankungen, Stoffwechselproblemen und Gelenkserkrankungen können pflanzliche Mittel gut vorbeugend oder zur Linderung eingesetzt werden. Katja Brügger empfiehlt bei Wetterwechsel, zum Einstallen oder rund um die Geburt mit pflanzlichen Stoffen zu unterstützen. «Pflanzliche Anwendungen dürfen aber nicht den Tierarzt ersetzen, bei akuten und sehr schmerzhaften Symptomen muss unbedingt sofort eine Veterinärmedizinerin beigezogen werden», so die Fachfrau.

So handelte auch Jürg Küng, als vor sechs Jahren einige seiner Kälber an starkem Durchfall litten. Das Medikament vom Tierarzt wirkte rasch gegen den Erreger. «Aber nach dem Absetzen machten die Kälber einen regelrechten Entzug durch, was auch uns richtig mitnahm», erklärt der Landwirt, der in Tägertschi BE eine 25-köpfige Kuhherde, rund 30 Stück Jungvieh und einige Ziegen hält. Dies gab den Ausschlag, zukünftig einen anderen Weg hinsichtlich der medizinischen Versorgung seiner Tiere einzuschlagen. Der Landwirt besorgte sich Bücher zur Phytotherapie und machte sich kundig über die Anwendungsmöglichkeiten der Alternativmedizin bei Nutztieren.

[IMG 3]

Seit 2018 setzt Jürg Küng nun vorbeugend auf pflanzliche Stoffe. Seinen Kälbern mischt er ab dem zweiten Tränken einen Deziliter Tee aus Tormentillwurzelpulver und Thymian unter die Milch, um Durchfall vorzubeugen. Jeweils nachdem eine Kuh gekalbt hat oder auch wenn ein Tier keinen Appetit zeigt, verabreicht Küng die Kräutermischung Herbamix. Der darin enthaltene Wermut, die Schafgarbe und die Bockshornkleesamen beeinflussen den Leberstoffwechsel positiv, was einer Ketose vorbeugt, und der gelbe Enzian regt den Appetit und die Speichel- und Magensaftsekretion an. Die pflanzlichen Hilfsmittel werden auf dem Hof eingangs Emmental also meist tierspezifisch eingesetzt, was zur Vorbereitung und Verabreichung einiges an Zeit beansprucht. Auf rund eine Viertelstunde berechnet Küng den täglichen Mehraufwand.

«Dieser Mehraufwand lohnt sich, das Immunsystem meiner Tiere ist besser und die Tierarztkosten haben sich fast halbiert», so Küng. Das zeigte sich, als eines seiner Kälbchen an starkem Fieber litt. Sofort wurde der Tierarzt beigezogen. Nach zwei der insgesamt fünf zur Behandlung abgegebenen Spritzen sei sein Kalb wieder fit gewesen. Natürlich benötige er auch jetzt die Hilfe der Schulmedizin, jedoch deutlich seltener und in weniger hohen Dosen.

«Ich komme nicht ganz um die Verabreichung von Antibiotika herum, benötige jedoch nur noch einen Viertel so viel wie früher», betont Jürg Küng. Mit seinem Tierarzt hätte er schon einige, jedoch immer sehr konstruktive Diskussionen bezüglich des Einsatzes von alternativen Heilmethoden geführt, erzählt der engagierte Landwirt. «Die Abgabe pflanzlicher Heilmittel befürwortet der Veterinär grundsätzlich und verwies sogar schon ratsuchende Bauern auf mich, damit ich Ratschläge zur pflanzlichen Behandlung geben konnte, homöopathische Kügelchen tut er jedoch als völligen Hokuspokus ab.»

Kraft der Kräuter

Eine Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL in Zusammenarbeit mit dem Unter-nehmen Dr. Schaette konnte den positiven Effekt der Gabe von Kräutermischungen auf die Nutzungsdauer von Kühen und ihre Fruchtbarkeit, Euter- und Klauengesundheit sowie den Stoffwechsel belegen. In der Placebo-kontrollierten Fütterungsstudie nahmen Kühe verschiedener Rassen und unterschiedlicher Leistungsniveaus aus 33 Milchviehbetrieben teil. Eine Gruppe Kühe erhielt, beginnend 14 Tage vor dem Abkalben bis zum Laktationsende, täglich 100 Gramm der «Kräutermischung Laktation», die Kontrollgruppe erhielt jeweils 100 Gramm Luzernegrünmehl. Die Kräutergruppe zeigte eine deutlich verbesserte Eutergesundheit und eine viel tiefere Abgangsrate aufgrund von Klauen- und Stoffwechselproblemen.

Pflanzliche Anwendungen zum Selbermachen
Kräutertee für Kälber mit leichtem Husten
10 Gramm gemörserte Anissamen
10 Gramm gemörserte Fenchelsamen
10 Gramm Thymian
Mit ¼ Liter kochendem Wasser übergiessen, 10 Minuten ziehen lassen und mit etwas Traubenzucker süssen. Bei Trinktemperatur (35 °C) in der Nuckelflasche zweimal täglich reichen oder direkt in die Milch geben.

Ringelblumensalbe bei Euterentzündung von Kühen
3 Kilogramm Melkfett verflüssigen
500 Gramm frische Ringelblumenblüten dazugeben
24 Stunden zugedeckt stehen lassen, nochmals aufkochen und dann in sauberen Salbentopf abfüllen. Zweimal täglich etwas Salbe am Euter einmassieren.
Kamillentee zur Wundbehandlung bei Ziegen
Zwei Beutel Kamillentee mit zwei Deziliter heissem Wasser übergiessen und 10 Minuten ziehen lassen. Zweimal täglich mit dem lauwarmen Kamillenteebeutel die Wunde aus-waschen.

Blutwurztinktur bei Sonnenbrand von Schweinen
Frisch geschnittene Tormentillwurzeln mit Alkohol (70 Volumenprozent) aufgiessen und gut bedeckt für einen Monat an einem warmen Ort stehen lassen. Täglich gut schütteln, danach absieben und abfiltrieren. Dreimal täglich etwas Tinktur auf die betroffene Stelle aufsprühen.

Auch wenn die positiven Effekte zu überwiegen scheinen, pflanzliche Futter- und Pflegemittel können nicht vollkommen bedenkenlos eingesetzt werden, weiss Katja Brügger. Jedes Tier reagiert individuell und seine Reaktion muss beobachtet werden. «Ätherische Öle können Reizungen verursachen und Korbblütler lösen in seltenen Fällen Allergien aus.» Vorsicht ist auch beim eigenen Ernten von Heilpflanzen geboten. Genau wie beim Pilzesammeln muss hier ein vertieftes Wissen vorhanden sein, damit keine giftigen Exemplare auf dem Futtertisch landen.

So verlässt sich auch Jürg Küng vornehmlich auf pflanzliche Zubereitungen in geprüfter Qualität aus dem Handel. Arzneipflanzen können in Drogerien, Apotheken oder spezialisierten Firmen wie AnimalMed bezogen werden. Nur Brennnesselkraut, das bei Euterödemen abschwellend wirkt, habe er schonmal selber geerntet und getrocknet.

«Man muss vom Einsatz der Phytotherapie überzeugt sein, bis erste Erfolge feststellbar sind, dauert es seine Zeit», so Küng. Dass die Zukunft der Nutztiermedizin im Einbezug pflanzlicher Heilstoffe liegt, sind sich Katja Brügger und Jürg Küng einig. «Bisher sprechen hauptsächlich Rinderhalter auf die Phytotherapie an, diese kann auch bei Schafen oder Schweinen tolle Dienste für die Tiergesundheit leisten», so Brügger.

Schmökerecke
Cäcilia Brendieck-Worm, Elisabeth Stöger, Franziska Klarer: «Heilende Kräuter für Tiere, Pflanzliche Hausmittel für Heim- und Nutztiere», 248 Seiten, Haupt Verlag.

Cäcilia Brendieck-Worm, Matthias Melzig: «Phytotherapie in der Tiermedizin», 600 Seiten, Thieme Verlag.

FiBL Faktenblatt Nr. 1502: «Kälber und Ferkel mit Arzneipflanzen stärken. Potenzial der Phytotherapie aus wissenschaftlicher Sicht».