Für Wanderer ist das Glockengeläut auf den Alpwiesen ein angenehmes, beruhigendes Hintergrundgeräusch. Für Landwirte sind die Glocken ein wichtiges Instrument mit traditionellem Wert. Als die moderne Technik noch nicht existierte, waren sie die einzige Möglichkeit, Tiere zu orten, die sich in die Weiten der Alpwiesen verirrt hatten. Doch mit wachsendem Widerstand von Tierschützern und Menschen, die sich am Geläut stören, rücken auch Technologien wie GPS in den Vordergrund. 

Glocken als Arbeitsinstrument und Schmuck

Am eindrücklichsten präsentieren Landwirte ihr Vieh und deren Glocken bei traditionellen Anlässen: Alpauf- und Alpabzüge etwa sind ein Spektakel. Dabei putzen die Bauern ihre Tiere heraus und schnallen ihnen ihre schönsten Glocken und bestickten Lederriemen um. Auch an Schwingfesten oder Vieh-Schauen gehört ein gewisser Glocken-Glamour dazu. 

Doch die glänzenden Accessoires sind mehr als nur hübsch: Sie haben auch eine Funktion in der Alpwirtschaft, wo die Weiden nicht kontrolliert oder gut eingezäunt werden können. Dank dem Geläut der Treicheln und Glocken kann der Landwirt sein Vieh auf den unübersichtlichen und weitläufigen Alpweiden schnell lokalisieren. Das helle Läuten verrät den Standort jeder noch so wanderfreudigen Kuh. Der Rhythmus des Geläuts hingegen gibt Aufschluss darüber, ob die Tiere friedlich grasen oder Hektik ausgebrochen ist, etwa wenn ein Raubtier auftaucht. So kann der Landwirt reagieren, sollte das Glockengeläut neugierige Wölfe oder Bären nicht schon verjagt haben.

Meist tragen die Kühe auf den Weiden eher kleine, leichte und weniger prunkvolle Glocken oder Treicheln, die Jungtiere ohnehin. Nur die Lieblingskuh des Landwirts oder das Alphatier der Herde erhalten ein grösseres, schöneres Exemplar. 

Die Tradition ist umstritten

Was wir als idyllische Alpenmusik wahrnehmen, müssen die Kühe während der Alpsaison täglich um den Hals tragen und pausenlos anhören. Tierschützern ist diese Tradition schon länger ein Dorn im Auge. Vor fast zehn Jahren untersuchten Wissenschafter der ETH deshalb den Einfluss der Glocken auf die Gesundheit und das Verhalten der Tiere. Die Resultate bestätigten Tierschützer in ihrem Engagement und sorgten für Unverständnis in der Landwirtschaft. Gemäss den Resultaten könne das Glockenläuten jeweils so laut werden, wie ein Presslufthammer und hemme unter anderem den Appetit der Kühe. Auch das Gewicht der Glocken trage dazu bei. 

Immer häufiger kommen daher GPS-Geräte anstelle der Glocken auf den Alpweiden zum Einsatz. In diesem Fall tragen die Tiere nur noch ein kleines Gerät um den Hals und senden damit ihre Standortdaten an eine App, die der Landwirt von der Alp aus überwachen kann. So weiss er genau, wo sich welche Kuh befindet. Kein Geläut, kein langes Suchen mehr auf den Weiden. Abgestürzte Kühe beispielsweise können damit besser geortet werden. Auch virtuelle Zäune sind mit der Technik möglich. Allerdings funktioniert das System nur, solange genügend Netz und Batterien vorhanden sind und bedeuten für den Landwirten oft eine grössere Investition. 

Das Handwerk bleibt

Trotz dieser Entwicklung wird den Glockengiessereien und Treichel-Schmieden die Arbeit nicht ausgehen. Die kunstvoll verarbeiteten Glocken aus Bronzelegierung mit den bunt bestickten Lederriemen sind beliebte Jubiläumsgeschenke, Trophäen oder Souvenirs für Touristen. Auch Treicheln geniessen Beliebtheit, beispielsweise als Instrumente in Vereinen wie den Trychlergruppen. Oft geben Giessereien und Schmieden ihr Wissen über Generationen weiter und erhalten die Tradition am Leben. So ist und bleibt die Glocke stückweit unersetzbar. Auf der Alp, aber auch in den Köpfen der Menschen, als Tradition.

Glocken sind nicht Treicheln ­
– und umgekehrt
Glocken und Treicheln unterscheiden sich sowohl in der Herstellung als auch im Ton voneinander.

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Glocken besitzen die typische Kelchform und werden aus einer Bronzelegierung gegossen. Zunächst bereitet der Giesser eine Sandform vor, in die er eine geschmolzene Kupfermischung giesst. Anschliessend muss das Metall erstarren, bevor die Glocke in weiteren Arbeitsschritten ihr finales, glänzendes Aussehen erhält. Glocken bestehen somit aus einer zusammenhängenden Gussform und erzeugen einen klaren Ton, der je nach Grösse der Glocke in der Tonlage variieren kann. Wegen des Metalls sind Glocken schwerer als Treicheln.

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Treicheln werden geschmiedet und bestehen aus zwei aneinandergeschweissten Blechstücken. Diese werden immer wieder erhitzt und gehämmert, bis sie aneinander geschweisst die typische Treichel- Form bilden. Wegen des Materials klingt eine Treichel «blechern» und weniger klar im Vergleich zur Glocke. Sie ist jedoch wesentlich leichter.