Leonie ist ein Zebrahai (Stegostoma fasciatum), der sich zusammen mit anderen Weibchen in Australien ein Aquarium teilt. Umso grösser die Überraschung, als sie 2016 drei Eier legte, aus denen tatsächlich lebende Haie schlüpften. Und das, ohne je einem Männchen begegnet zu sein. Wie geht das?

Schon in der Schule lernen wir, dass ein Embryo je zur Hälfte das Erbgut der Mutter und des Vaters trägt. Das kommt daher, dass sich Zellen, um zu Ei- oder Samenzellen zu werden, in der sogenannten Reduktionsteilung (Meiose) so spalten, dass pro Zelle nur noch der halbe Chromosomensatz vorhanden ist. Keine der entstehenden Geschlechtszellen ist also gleich. Bei der Befruchtung verschmelzen die Zellkerne der Eizelle und des Spermiums, sodass der Nachkomme einen eigenen, vollständigen Gensatz hat. Damit erhöht sich die genetische Diversität und auch die Überlebenschance des Nachwuchses.

Wie kommt es also, dass Leonie auch ohne Männchen Junge bekommen konnte? Woher kam die zweite Zelle, die mit der Eizelle verschmolzen ist? Tatsächlich ist das Phänomen der Parthenogenese, der Jungfernzeugung, bei vielen Tieren nicht ungewöhnlich. Je nach Art sorgen verschiedene Mechanismen dafür, dass die unbefruchtete Eizelle über einen vollständigen Chromosomensatz verfügt und sie sich ohne männliches Zutun entwickeln kann.

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Nur Gene von der Mutter

Nebst dem Zebrahai aus Australien brachten auch andere Haiweibchen in Gefangenschaft das Kunststück zustande, Nachkommen ohne Männchen zu zeugen. Als man Tidbit, ein Schwarzspitzenhai-Weibchen(Carcharhinus limbatus) aus den USA, nach ihrem Tod sezierte, entdeckte man in ihrem Bauch einen fast vollständig entwickelten Fetus, obwohl in ihrem Aquarium keine Männchen lebten. Der Fetus war genetisch der Mutter sehr ähnlich, und so vermutet man, dass es sich hier um die sogenannte automiktische Parthenogenese (Automixis) handelt. Dabei verschmelzen während der Bildung der Eizellen zwei Zellkerne direkt nach der Meiose wieder, sodass der Embryo zwei halbe Chromosomensätze der Mutter statt je einen halben von beiden Elternteilen trägt.

Bei der apomiktischen Parthenogenese findet hingegen gar keine Meiose statt, und die Nachkommen sind Klone mit demselben Chromosomensatz der Mutter. Bei Wirbeltieren ist dies nicht bekannt, wird jedoch von verschiedenen Insekten wie zum Beispiel Blattläusen praktiziert. Dabei vermehren sich die Tiere oft bis zu vierzig Generationen lang ungeschlechtlich, was zu den gefürchteten Massenvorkommen führt, und wechseln dann zu einer geschlechtlichen Generation, um die genetische Vielfalt zu erhalten. Bei manchen Blattlausarten bleibt die geschlechtliche Vermehrung ganz aus, und es existieren nur noch Weibchen. Hier sind Männchen in der Tat überflüssig geworden.

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Bei Arten, bei denen das Geschlecht der Nachkommen bei der Fortpflanzung normalerweise durch den Vater bestimmt wird, entstehen bei Parthenogenese nur Weibchen. Das, weil die Mutter lediglich X- aber keine Y-Chromosomen weitergeben kann. Entsprechend waren die Nachkommen der beiden Haie im Beispiel ebenfalls Weibchen. Auch bei Säugetieren wäre es theoretisch so, dass durch Parthenogenese nur Töchter entstehen könnten.

Bei Vögeln und einigen Reptilien ist es umgekehrt: Weibchen haben ein W- und ein Z-Chromosom, Männchen zwei Z-Chromosomen. Hier sind es die Weibchen, die das Geschlecht der Nachkommen bestimmen. Theoretisch könnten bei der Jungfernzeugung so sowohl Weibchen als auch Männchen entstehen. Auch hier kommt es wieder darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Chromosomen zu einem kompletten Satz werden.

Kein Partner, kein Problem

Pflanzt sich ein Komodowaranweibchen (Varanus komodoensis) ungeschlechtlich fort, so sind die Nachkommen allesamt männlich. Hier verdoppelt sich das Erbgut in der Geschlechtszelle erst nach der Meiose, der Zellteilung. Das Ergebnis sind dann entweder Eier mit zwei Z-Chromosomen, aus denen später entsprechend Männchen schlüpfen, oder mit zwei W-Chromosomen, die sich nicht weiter entwickeln können. Auch Truthühner (Meleagris gallopavo) können sich parthenogenetisch fortpflanzen, und auch in dem Fall sind die Nachkommen Söhne. Vor Kurzem hat man sogar bei zwei männlichen Küken des seltenen Kalifornischen Kondors (Gymnogyps californianus) nachgewiesen, dass sie lediglich mütterliches Erbgut tragen und daher wohl durch Parthenogenese entstanden sind.

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Bei zwei Reptilienarten, der Sechsstreifen-Rennechse (Aspidoscelis uniparens) und dem Jungferngecko (Lepidodactylus lugubris), sind praktisch nur Weibchen bekannt. Hier verdoppelt sich der Chromosomensatz vor statt nach der Meiose, sodass die Eizellenbereits über ein vollständiges Erbgut verfügen, ohne dass sie sich mit einer anderen Zelle verschmelzen müssen. Entsprechend haben die Nachkommen dieselben Geschlechtschromosomen wie die Mutter, nämlich das reptilientypische WZ, und sind daher ebenfalls weiblich, jedoch keine Klone der Mutter.

Die Möglichkeiten, sich ungeschlechtlich und somit ohne Männchen fortzupflanzen, haben durchaus Vorteile. Jungfernzeugung erlaubt es Weibchen, ihre Gene weiterzugeben, ohne Energie in die Partnersucheinvestieren zu müssen. Bei kleinen Populationen kann die Partnerfindung zudem schwierig sein, und so ist es praktisch, wenn man sich auch alleine fortpflanzen kann. Die daraus entstehende Population ist jedoch oft anfällig gegenüber Krankheiten und Umwelteinflüssen. Wenn die Mutter zum Beispiel an einem Virus erkrankt, dann mit grosser Wahrscheinlichkeit auch alle ihre Nachkommen – immerhin sind sie einander genetisch sehr ähnlich. Eine sich sexuell fortpflanzende Population weisst eine grössere genetische Vielfalt auf, was zu einer grösseren Überlebenschance führt. Zumindest einige Individuen haben so Merkmale, die es ihnen ermöglichen, in einer sich stets veränderten Umwelt zu überleben.

Bei Säugetieren ist bisher kein Fall von Parthenogenese bekannt, und die Wissenschaft hält es auch für unwahrscheinlich, dass diese natürlicherweise vorkommen kann. Frauen müssen darum keine Angst haben, durch Parthenogenese plötzlich schwanger zu sein, und natürlich sind Männer auch nicht überflüssig.