Mysteriöse Tulpe im Goms
Auf dem Tulpenweg in Grengiols
Ab der zweiten Maihälfte blühen auf Äckern des Walliser Dorfes Grengiols Tulpen. Die Herkunft der Grengjer Tulpe ist geheimnisvoll. Einst starb sie fast aus, heute blühen wieder Tausende. Ein Abstecher ins Goms.
«Tulpenreise nach Holland», werben jetzt im Frühling Reiseunternehmen und locken in die berühmten Tulpenkulturen der Niederlande. Eine besondere Reise zu Tulpen ist aber auch in der Schweiz möglich. Sie verbindet ein Naturerlebnis im Wallis mit der geheimnisvollen Geschichte der Grengjer-Tulpe.
Die Tulpe, wie sie heute üppig in Gärten blüht, war nördlich der Alpen einst unbekannt. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts brachten Reisende Zwiebeln aus der Türkei nach Europa. In den Niederlanden entstand bald die Tulpenmanie. Zuchtformen der Tulpen wurden zu Spekulationsobjekten.
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Wie allerdings die Grengjer-Tulpe nach Grengiols kam, bleibt ein Mysterium. Das Walliser Dorf liegt im Goms an der südlichen Talflanke. Blühte sie abgeschieden im Bergdorf schon vor dem grossen Tulpenfieber? Am 26. Mai 1945 entdeckte der Botaniker Eduard Thommen die Tulipa grengiolensis und führte sie ein Jahr später in die Wissenschaft ein. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Endemiten handelt, eine Art, die nur an einem geographisch sehr beschränkten Ort vorkommt. Im Falle der Grengjer-Tulpe handelt es sich lediglich um die Äcker rund um das Dorf.
Wildformen von Tulpen sind aus Südosteuropa und insbesondere aus Steppen- und Bergregionen Mittelasiens bekannt. Ob die Tulpe bereits durch die Römer in das kleine Gommer Dorf gelangte? Bei Ausgrabungen in Grengiols kamen jedenfalls römische Münzfunde zutage.
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Doch auch die Vermutung einiger Botaniker scheint plausibel: Nämlich, dass Tulpenzwiebeln mit der Verbreitung des Safrans im 14. Jahrhundert aus dem Orient ins Wallis gebracht wurden. Durch das Wallis führten historische Handelswege. Dass die Tulpe von Grengiols botanisch als eigene Art betrachtet wird, weist jedenfalls darauf hin, dass sie schon lange isoliert gedeiht. Das nationale Daten- und Informationszentrum der Schweizer Pflanzen, Info Flora, schreibt zu Tulipa grengiolensis: «Reliktpopulation einer vor Jahrhunderten eingeführten Pflanze unbekannter Herkunft.»
Tulpe braucht Winterroggen
Der mysteriösen Geschichte dieser Tulpe auf den Grund gehen, lässt sich auf dem Tulpenring von Grengiols. Der Weg ist gut ausgeschildert. Vom Bahnhof aufsteigend gelangen Tulpenbegeisterte einfach zum Ausgangspunkt. Dort wird bei einem Brunnen auf die Wasserversorgung hingewiesen. Während der Wanderung über Weiden mit Bergblumenreichtum, durch ein Tal mit sprudelndem Bach und während eines Aufstiegs neben Kuhweiden, Stadel und Mühlstein steigt die Spannung auf die besondere Walliser Tulpe. Und plötzlich sind sie da, die gelben Äcker. Im Gelb der Tulpen verschwinden die Ähren schier. Die Blumen sehen aus wie in einem Märchen von Ernst Kreidolf, dem Blumenmaler. Die meisten blühen gelb, sind stattlich und stehen aufrecht – fast wie in einem Garten.
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In Gärten und auf dem Friedhof im Dorf wurden in den 1980er-Jahren die letzten überlebenden Grengjer-Tulpen gefunden. Ursprünglich gediehen sie auf den Winterroggenfeldern um das Dorf. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts galt Grengiols mit den vielen kleinen Äckern als Kornkammer des Bezirks östlich von Raron. Der Name «Grengiols» stammt vom Lateinischen «graniola», was so viel wie «zu den Speichern» bedeutet.
Der Anbau des Winterroggens verhalf der Grengjer-Tulpe zu ihrer Verbreitung. Beim Pflügen im Herbst wurden die Nebenzwiebeln abgetrennt und im Acker verteilt. Im nächsten Frühling blühten die Tulpen zusammen mit anderen Ackerbegleitpflanzen zwischen dem Getreide. Allerdings wurde immer weniger Winterroggen angebaut, da auf Feldwirtschaft umgestellt wurde. Getreide wurde dank den vereinfachten Lieferwegen eingekauft. Die Tulpe verschwand, fast.
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Am 12. Oktober 1994 stellte der Staatsrat des Kantons Wallis die Grengjer-Tulpe unter Schutz und erreichte, dass der Wintergetreideanbau zur Förderung der speziellen Tulpe reaktiviert wurde. Die Naturschutzorganisation Pro Natura erwarb mehrere Äcker, die von Mitgliedern der Tulpenzunft, die 1996 gegründet wurde, in traditioneller Art bewirtschaftet werden. Dank dieser Massnahmen können heute wieder Tausende von Grengjer-Tulpen bewundert werden, die zwischen Roggenähren blühen, während auf der anderen Talseite über dem dunklen Wald die rote Zugskomposition der Matterhorn-Gotthard-Bahn durchkriecht. Die meisten der exotisch wirkenden Tulpen sind rein gelb, doch es gibt auch rote und solche, die zweifarbig gelbe und rote Blütenblätter aufweisen. Tulpen mit geheimnisvoller Kulturgeschichte und einem speziellen Namen. Klar, es gibt sie ja auch nur in Grengiols.
TulpenwegDas Dorf Grengiols ist mit der Matterhorn-Gotthard-Bahn von Brig aus zu erreichen. Von der Bahnstation geht es zu Fuss ca. 20 Minuten aufwärts zum Dorf, wo der gut ausgeschilderte, rund einstündige Rundweg beginnt. Die Blühzeit der Grengjer-Tulpe beginnt meist ab Mitte Mai und dauert bis Mitte Juni, je nach Wetter früher oder später. Die Äcker mit den Tulpen liegen auf ungefähr 990 Meter über dem Meeresspiegel. Wer nicht gut zu Fuss ist, kann direkt durch das Dorf in die Nähe der Tulpenfelder per Auto fahren.
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