Interview mit Hannes Jaenicke
«Die Lebensmittelindustrie ist eine grosse Sauerei»
Er ist einer der gefragtesten deutschen Schauspieler, engagierter Umweltschützer und ein «streitbarer Geist». Hannes Jaenicke kämpft als Dokumentarfilmer und Aktivist gegen die Ausrottung bedrohter Tierarten und für ein Umdenken in Sachen Klimaschutz.
Seit über 15 Jahren setzt sich Hannes Jaenicke für bedrohte Tierarten wie Orang-Utans, Eisbären, Haie oder Wölfe ein. Nun rückt er Nutztiere in den Fokus und legt dabei ein System offen, in dem Tiere, Menschen und Umwelt die Leidtragenden sind. Ein System, das an seine Grenzen gestossen ist. In seinem Enthüllungsbuch «Die grosse Sauerei. Wie Agrarlobby und Lebensmittelindustrie uns belügen und betrügen» deckt er die Industrie- und Werbelügen auf und erklärt, was die Verbraucher von tierischen Produkten wissen sollten, um vor dem Kauf die richtige Wahl zu treffen. Wir sprachen mit dem Schauspieler und Buchautor über die Missachtung von Tierschutzgesetzen, Fleisch aus dem Labor, warum Landwirte oftmals die eigentlichen Leidtragenden sind und darüber, was Deutschland von der Schweiz lernen könnte.
Herr Jaenicke, seit Jahren engagieren Sie sich für das Wohl der Tiere. Gab es einen speziellen Auslöser?
Nicht wirklich, aber mein Grossvater ist mit mir als kleines Kind sonntags immer in den Zoo gegangen. Wahrscheinlich kommt daher meine Liebe zu Tieren.
Eine Redensart lautet: «Du bist, was du isst». Mal angenommen, dem wäre tatsächlich so: Wer sind wir dann?
Dann sind wir schnell, billig und ungesund.
Und was beziehungsweise wer sind Sie ganz persönlich nach dieser Redensart?
Genau das Gegenteil. Ich bin ein langsamer Esser, habe grossen Spass am Essen. Ich gebe auch lieber viel Geld aus für gutes Essen als für Klamotten oder Autos.
Wozu haben Sie das Buch «Die grosse Sauerei» geschrieben?
Jeder Verbraucher hat das Recht zu wissen, was auf dem Teller liegt. Wenn es um unser Essen geht, werden wir schamlos belogen und betrogen, eine hohe Qualität der Produkte wird vorgegaukelt – von der Agrarlobby und der Lebensmittelindustrie, aber auch die Politik spielt auf verantwortungslose Weise mit.
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Wenn ich «Freilandhaltung» lese, beruhigt das mein Gewissen. Doch was steckt dahinter?
Wenn es echte Freilandhaltung ist, dann ist das sehr viel besser als die Massentierhaltung. Das Schlimme ist, dass da viel geschummelt wird – besonders bei den ganzen Siegeln und Zertifizierungen. Ich bin bekanntlich Vegetarier, aber wenn eine Kuh auf einer Allgäuer Weide ein schönes Leben hatte und sie am Ende per Weideschuss erlegt wird, dann finde ich es für alle, die nicht auf Fleisch verzichten wollen oder können, völlig in Ordnung, dieses zu essen.
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Leider sind Label wie Weidehaltung häufig nur Mogelpackungen. Nur weniges, was in Deutschland als «Weidehaltung» verkauft wird, ist echte Weidehaltung. Da muss man als Konsument höllisch aufpassen. Mit Bioland, Naturland und Demeter ist der Konsument jedoch auf der sicheren Seite, den Rest kann man getrost in die Tonne kloppen.
Glauben Sie, dass die Konsumenten vorsätzlich getäuscht werden?
Ja, und vor allem von den konventionellen Züchtern, von den Schlachtereibetrieben, von den Lebensmittelmultis und den grossen Supermarktketten. Letztere sind die grossen Preisdrücker. Nicht die Landwirte oder die Endverbraucher bestimmen die Preise, sondern Aldi, Lidl, Edeka, Rewe, Netto, Penny und so weiter. Viele Schweinezüchter geben inzwischen auf, weil sie dem Preisdruck nicht mehr standhalten können.
Der Landwirt selbst ist auch nur ein Opfer dieses kaputten Systems. Die Fleischindustrie ist eine giftige Kombination aus «Geiz ist geil»-Mentalität beim Endverbraucher und maximaler Renditepolung bei den Lebensmittelkonzernen. Landwirte stehen dadurch unter einem enormen Druck. Wer nicht die Ausdauer und finanziellen Möglichkeiten hat, komplett auf Bio umzustellen und im Hochpreissegment zu arbeiten, der wird zum Opfer des Systems.
Sind die Tierschutzgesetze zu schwammig?
Das deutsche Tierschutzgesetz ist sehr präzise. Es besagt: «Keinem Tier darf ohne vernünftigen Grund Leiden, Schmerzen oder Schaden zugefügt werden.» Das heisst, das deutsche Tierschutzgesetzt wird jeden Tag in der Massentierhaltung millionenfach gebrochen, und zwar ziemlich schamlos. Sowohl der Kastenstand als auch die Zuchtverfahren, Enthornungen, Amputation sind alle glatter Gesetzesbruch, und es wird nichts dagegen unternommen.
Sie sprechen hier wahrscheinlich auch das Kupieren des Schwanzes, die Anbindehaltung und das Ausbrennen der Hörner an. Alles Verfahren, die in Deutschland noch gang und gäbe sind. Was ist für Sie das Schlimmste, was Sie bisher gesehen haben?
Schwer zu sagen. Ich denke jedoch, dass Milchkühe die Nutztiere sind, die am brutalsten gequält und auch am brutalsten qualgezüchtet werden. Gefolgt von Schweinen. Aber wir haben auch einen Film über Lachsfarmen gedreht, und die waren auch nicht besser. Jede Massentierhaltung ist ein Bruch von Tierschutzgesetzen.
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Wo muss man also ansetzen, um Verbesserung zu schaffen, und wer muss tätig werden?
Zuallererst muss in Deutschland die Verminderung der Mehrwertsteuer auf Fleisch abgeschafft werden. Man muss gesunde Lebensmittel, sprich Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, steuerbefreien und dafür auf CO²-intensiven Produkten wie Fleisch die Steuern anheben. Deutschland muss aufhören, Fleisch als Billigware zu behandeln. Die Politik müsste zudem nichts anderes tun, als das Tierschutzgesetz einzuhalten, das Gleiche gilt für die gesamte Agrarbranche. Und der Verbraucher muss einfach nur verstehen, dass der Sonntagsbraten sowohl für die Umwelt als auch für das Tier und die eigene Gesundheit sehr viel besser ist, als dreimal am Tag Billigfleisch zu essen, das hormon-, antibiotika- und keimbelastet ist. Alle drei Player Industrie, Politik und Verbraucher müssen gemeinsam ganz schnell «in die Puschen kommen».
In der Schweiz gab es Ende September eine Volksabstimmung zur Initiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz». Die Volksinitiative wurde mit 62,9 Prozent abgelehnt. Was denken Sie, woran das lag?
Ja, das habe ich sehr interessiert verfolgt. Da ich nicht in der Schweiz lebe, ist das schwer zu beantworten. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und wir haben uns seit Jahrtausenden daran gewöhnt, Fleisch zu essen, obwohl der Mensch bekanntermassen ein Omnivore ist – sprich, wir können Fleisch essen, wir müssen aber nicht. Da wir jedoch fast alle mit Fleisch gross-geworden sind, ist es einfach die Gewohnheit. Zudem wollen viele Leute einfach billig essen und das Geld lieber für andere Dinge wie teure Autos oder Handys ausgeben. Es ist immer eine Frage der Prioritäten, und offensichtlich ist uns das Tierwohl scheissegal.
Jeder weiss, wie Tiertransporte funktionieren, wie ein Kastenstand aussieht, und trotzdem wollen wir nichts ändern. Das ist ein grosses Armutszeugnis für die Spezies Mensch. Es gibt einen grossartigen Satz von Mahatma Gandhi: «Die Grösse und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt», und da schneiden wir in Deutschland miserabel ab.
Denken Sie, Deutschland würde ein Volksentscheid in solchen Fragen guttun, und wie würde so eine Wahl ausgehen?
Ich denke, die Initiative würde auch in Deutschland abgelehnt. Es würde die zehn Prozent geben, die sich schon vegetarisch ernähren und sehen, dass man Tiere besser behandeln muss. Aber dem Rest wäre es wichtiger, dass Fleisch billig bleibt. Doch ich denke, so eine Volksabstimmung bringt Menschen zum Nachdenken und Diskutieren, und das wäre sicher ein sinnvoller Schritt.
Wir haben schon mal kurz die Tierschutzgesetze angesprochen. Für Haustiere hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan … Wieso tut man sich bei Nutztieren so schwer?
Die Agrarlobby ist in Deutschland unheimlich stark. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, ist einer der mächtigsten Lobbyisten im ganzen Land. Nicht nur im Land, sondern auch in Brüssel. Man schiebt immer den Kleinbauern vor, der immer mehr leidet und hart arbeiten muss. In Wirklichkeit wird die deutsche Landwirtschaft ja von den Lobbyisten der Grosskonzerne regiert – oft multinationalen Fleischanbietern und Grosskonzernen. Die gesamte deutsche Lebensmittelindustrie ist in den Händen von wenigen Konzernen, beim Fleisch kann man es beim Namen nennen: die Wiesenhof Gruppe (PHW), Tönnies Holding und Danish Crown. Diese drei bestimmen weitgehend den Markt und haben dadurch eine unglaubliche Macht. Das sind faktisch Monopolisten.
Tönnies allein hat im letzten Jahr zirka 6,2 Milliarden Euro umgesetzt. Geld ist Macht und diese Konzerne sind perfekt verdrahtet, vor allem in der Politik. Die CDU/CSU, die ja lange regiert hat, ist historisch betrachtet die klassische Partei der Agrarindustrie. Wir hatten in den letzten Jahren immer Agrarminister, die als Marionetten dieser Lobby funktioniert haben. Allen voran Julia Klöckner, davor waren es Ilse Aigner und Christian Schmidt. Jetzt ist Cem Özdemir an der Reihe, und dieser versucht ja wenigstens, etwas zu bewegen. Ob es ihm gelingt, bleibt abzuwarten.
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Spricht man mit Landwirten, hört man oft, Freilandhaltung und Bioprodukte rentieren kaum. Die meisten Konsumenten wären nicht gewillt, so hohe Preise zu zahlen. Stimmt da vielleicht etwas nicht mit der EU-Subventionspolitik?
Da muss ich den Landwirten leider zum Grossteil recht geben. Die Subventionspolitik der EU ist absurd. Es wird in der EU nach Grösse und Fläche subventioniert und nicht nach Qualität. Das ist eine Frage, die stelle ich jedem Politiker: «Warum sind gesunde Bioprodukte so viel teurer als die ungesunden, ja teilweise giftigen konven-tionellen Produkte?» Das ist komplett kurzsichtig. Die Billigprodukte, die wir konsumieren, gehen am Schluss auf Kosten des Gesundheitssystems.
Es müsste genau umgekehrt laufen. Gesunde Lebensmittel müssten subventioniert werden, damit sich die giftigen, ungesunden Erzeugnisse nicht mehr rechnen. Unsere Subventionspolitik geht nur auf Masse und Wegwerfen. Jeder Erwachsene in Deutschland wirft pro Kopf 80 Kilo Lebensmittel jährlich in den Müll. Das machen wir ja nur, weil die Ware zu billig ist. Die gesamte Subventionspolitik gehört also auf den Kopf gestellt. Das wäre dann die sogenannte Agrarwende, auf die wir seit 30 Jahren warten.
Müssen wir also anderswo ansetzen? Ein Drittel der Lebensmittel wird täglich weggeworfen. Das ist doch Wahnsinn …
Das liegt definitiv daran, dass viele Sachen einfach zu billig geworden sind. Hätten gewisse Dinge wie Textilien, Elektronik und Nahrungsmittel wieder einen Wert in unserem Leben, dann gäbe es keine Kinderarbeit an den Nähmaschinen in Bangladesch und dann würden wir auch keine Lebensmittel mehr fort-schmeissen. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass Nahrungsmittel, Energie und Textilien unglaublich billig sind, und befeuern so das Wachstumsmodell einer völlig gegen die Wand gefahrenen Wirtschaft. Kurzum: Unser Wachstumsmodell gehört dringend auf den Prüfstand. Denn Wachstum um des Wachstums willen ist wie eine Krebszelle und kann auf Dauer nicht gut gehen. Wir müssten viel weniger Lebensmittel auf viel weniger Fläche produzieren, wenn wir nichts mehr wegschmeissen würden. Dieses wäre auch ein wichtiger Ansatz für die Schweizer, denen ja noch viel weniger Land zur Verfügung steht.
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Wo sehen Sie die Zukunft der Fleischproduktion, und was denken Sie, wie wir uns im Jahr 2050 ernähren werden?
Ich habe keine Kristallkugel, aber ich gehe davon aus, dass das Fleisch in den nächsten 15 bis 20 Jahren zum grössten Teil aus der Petrischale kommt. Ich glaube, dass Länder, die in der Gen- und Stammzellenforschung liberaler sind als wir, da schnelle Fortschritte machen werden. Noch ist Laborfleisch teuer. Vor zehn Jahren hat es mit einem Burger angefangen, der umgerechnet 250 000 Dollar gekostet hätte – gezüchtet in einem holländischen Labor.
Jetzt sind wir bei 25 Dollar pro Burger. Wenn das so weitergeht, wird das Stammzellenfleisch demnächst billiger sein als das konventionelle Fleisch. Das wäre für Tiere und die Umwelt eine sehr gute Nachricht. Ich denke, es hat einen Grund, dass Rügenwalder mittlerweile mehr Geld mit veganen Produkten als mit Fleisch verdient. Die Klimakrise zwingt uns dazu, aus der konventionellen Tierhaltung auszusteigen, weil sie sich irgendwann einfach nicht mehr rechnet.
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Was passiert dann mit den Kühen oder Schweinen?
Sie werden zum Luxusprodukt. Der Markt wird vom Geld bestimmt, und sobald das Stammzellenfleisch billiger ist als das konventionelle Fleisch, wird die Industrie natürlich auf Stammzellen umsteigen, da sie Rendite machen möchte. Es wird aber immer Menschen geben, die ihr echtes Schweine- und Kuhfleisch essen wollen – das wird dann jedoch als Luxuslebensmittel gehandelt.
Welche Vorteile ausser dem Tierwohl hat das Laborfleisch gegenüber der klassischen Fleischproduktion?
In Deutschland sind etwa 60 Prozent der Landflächen nur dafür da, um Futtermittel zu produzieren. Der Regenwald wird hauptsächlich abgeholzt, um gen-manipuliertes Soja als Futtermittel für die Viehzucht anzubauen. Wir beschleunigen die Klimakrise hauptsächlich, um Futtermittel für die Massentierhaltung zu produzieren. Jedes Kind weiss, dass der Regenwald unser grösster CO²-Speicher ist und wir ihn schonen müssen.
Zudem gibt es Studien der WHO – Studien, die natürlich von der Fleischindustrie seit Jahren angefochten werden –, die besagen, dass Fleisch krebserregend ist. Ich denke, für die Gesundheit wäre es von grossem Vorteil, den Fleischkonsum stark zu reduzieren. Fazit: Die Rückkehr zum Sonntagsbraten wäre ein gigantischer Vorteil für alle Beteiligten, wenn dieser ein hochwertiges, biogezüchtetes Stück Fleisch ist.
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Ehrliche Antwort: Ist es 5 vor 12 oder 5 nach 12?
Puh, das kann ich echt nicht mehr hören … Wenn man den Klimaforschern glaubt, ist der Zug eigentlich bereits abgefahren. Aber aufgeben gilt nicht. Doch diese Untätigkeit der Politik ist unerträglich. Ich war letztes Jahr Teil einer Klage gegen die Bundesregierung wegen Untätigkeit in Sachen Klimaschutz. Diese wurde in Karlsruhe gewonnen. Doch es passiert immer noch nichts. Statt jetzt endlich die Energiewende anzuschmeissen, fährt man nach Katar zu anderen fossilen Energielieferanten, die nicht Russland heissen, und begibt sich in neue Abhängigkeiten. Die Lernkurve in der deutschen Politik und Industrie ist erschreckend flach, sodass ich leider kein grosser Optimist bin.
Eine gute Fee käme und würde Ihnen drei Wünsche freigeben – einen für Deutschland, einen für Europa und einen für die Welt. Wie würden diese lauten?
Für Deutschland würde ich mir eine riesige Portion Gelassenheit und eine Prise Humor wünschen, für Europa würde ich mir mehr Einigkeit und weniger Gerangel wünschen und für die Welt … «Herr lass Hirn vom Himmel regnen!»
SchmöckereckeIm investigativen Enthüllungsbuch «Die grosse Sauerei. Wie Agrarlobby und Lebensmittelindustrie uns belügen und betrügen» deckt Hannes Jaenicke die dreistesten Industrie- und Werbelügen auf und erklärt, was Verbraucher über tierische Produkte wie Fleisch, Eier und Milchprodukte unbedingt wissen sollten, um vor dem Kauf und Verzehr die richtige Wahl zu treffen.
Hannes Jaenicke: «Die grosse Sauerei», 272 Seiten, Yes Verlag
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