Herr Betsche, was genau ist eine Auenlandschaft?

Auen begleiten Flüsse und Bäche. Tauchen wir in diese wilde Wasserwelt ein, spüren wir direkt die unbändige Kraft des Wassers, welche Bäume kippen und Sandstrände gestalten kann. Die Auen sind beliebte Naherholungsgebiete. Hier leben mehr Pflanzen und Tiere als irgendwo, auch eine Vielfalt an seltenen und bedrohten Arten. Jedes Auengebiet hat sein ganz eigenes Gepräge. Der Wechsel von Nass und Trocken und vom reissenden Strom zum Rinnsal schafft ständig neue Pionierräume und Nischen für Tiere und Pflanzen. Auen sind Hotspots der Biodiversität. Rund 40 Prozent der in der Schweiz vorkommenden Pflanzenarten sind hier vertreten. Über 80 Prozent der Schweizer Tierarten können in Auen vorkommen und jede achte Tierart ist auf Auenlebensräume angewiesen.

Pro Natura renaturierte und renaturiert verschiedene Abschnitte im Wasserschloss. Was verändert sich dadurch für die Pflanzen- und Tierwelt?

Dank der Auen-Renaturierung konnten Biber, Wasservögel und Laubfrösche beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat naturnahe Lebensräume finden. Wir erschaffen Lebensräume wieder, welche über Jahr-hunderte durch landwirtschaftliche und industrielle Nutzung verloren gingen. Der Biber ist gerettet, Flussregenpfeifer und Laubfrosch erholen sich und bereits kommen Fischadler, Purpurreiher und Fischotter zu Besuch in die Aargauer Auen. Das Renaturierungsprojekt im Wasserschloss beinhaltete, dass am Prallhang der Aare Uferabbrüche vorgenommen wurden und an der Limmat ein neuer Seitenarm geschaffen wurde. Heute kann sich durch die häufigen Überschwemmungen ein Weichholzauenwald entwickeln.

Wasser ist ein wichtiger Energielieferant. Wie stehen Sie zur Energiegewinnung über Wasserkraftwerke?

Als weitgehend emissionsfreie Energiequelle ist die Wasserkraft das Rückgrat unserer Stromversorgung. Pro Natura ist für die Nutzung der Wasserkraft, wenn man Lösungen entwickelt, die die Biodiversität berücksichtigen. Ein Ausbau der Winterspeicherproduktion ist möglich, ohne wertvolle Naturwerte zu zerstören oder Schutzbestimmungen aufzuweichen. Wasserkraftwerke können aber auch Folgen für die Natur haben, wie beispielsweise trockengelegte Bachläufe, stark reduzierte Abflussmengen, Grundwasserschwund,zerschnittene Flusslebensräume oder unnatürliche Abflussdynamiken. Viele auf Gewässer angewiesene Tiere und Pflanzen sind gefährdet. Es ist daher wichtig, dass eine Wasserkraftnutzung die ökologischen Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen berücksichtigt und ausgleicht. Dringend nötig ist auch die Umsetzung aller Sanierungsmassnahmen, die das Gewässerschutzgesetz vorsieht. Am Beispiel des Wasserkantons Aargau sehen wir, dass die Produktion von Strom aus Wasserkraft bereits stark ausgebaut ist. 26 Wasserkraftanlagen gewinnen Energie aus den vier Hauptflüssen des Aargaus.

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Was hat der Klimawandel für einen Einfluss auf das Wasserschloss Schweiz und allgemein auf den Wasserhaushalt in unserem Land?

Die zunehmende Trockenheit wird zu einem volkswirtschaftlichen und ökologischen Risiko. Die Statistiken zeigen einen ganz klaren Trend: Mit fortschreitendem Klimawandel nimmt die Trockenheit zu, die Wasserführung in den Gewässern hingegen ab. Gewässer werden im Sommer für die Landwirtschaft kein zuverlässiger Wasserbezugsort mehr sein und gleichzeitig werden Hochwasser häufiger. Trockene und heisse Sommer oder auch Engpässe im Winter können künftig zu grösseren Produktionsschwankungen in der Wasser-kraft führen. Wir müssen definitiv mehr Sorge zu unseren Wasserspeichern tragen: Das sind unsere Feuchtgebiete wie zum Beispiel Auen, Hoch- und Flachmoore, Feuchtwiesen und Stillgewässer – ein Grossteil davon wurde in der Vergangenheit für intensive Nutzungen trockengelegt. Mit der Wiederherstellung von Feuchtgebieten fördern wir die Wasser-Speicherkapazität und auch den Wasserhaushalt in unserer Landschaft in bedeutendem Mass. So gelingt es dann viel besser, die Auswirkungen von Klima-Extremereignissen zu dämpfen.

Geht es den Schweizer Gewässern (Seen, Flüssen, Grundwasser) zurzeit gut? Mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen?

Lebendige Lebensräume im und am Gewässer fehlen heute fast überall. Die Schweiz war einst überzogen von einem Netz aus Gewässern und Feuchtgebieten. Im Lauf der Zeit haben wir in der Schweiz 90 Prozent unserer Feuchtgebiete verloren. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Artenvielfalt. Heute sind die vorhandenen Feuchtgebiete meist nur noch isolierte Flecken inmitten von intensiv genutzten Gebieten. Eingezwängt in Siedlungen, Äcker oder Wiesen fliessen kanalisierte oder begradigte Wasserläufe. Viele kleine Bäche sind heute unterirdisch gelegt, unzugänglich für wasserliebende Tiere und Pflanzen. Verbaute Flüsse verhindern die Wanderung der Fische zu ihren Laichplätzen. Der Lebensraum Wasser ist unter grossem Druck.Tiere und Pflanzen, die auf Wasser-Lebensräume angewiesen sind, gehören in der Schweiz zu den ganz besonders bedrohten Arten. Ohne Gegenmassnahmen drohen in den nächsten Jahren viele einheimische Arten auszusterben.

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