Einer, der geschickt tote Tiere zum Leben erweckt
Beim Tierpräparator Christian Schneiter in der Arch de Noé in Vicques
Der Tierpräparator und Bildhauer Christian Schneiter zeigt in seinem naturhistorischen Museum in Vicques eine grosse Artenvielfalt. Seine Sammlung ist auf 4000 Präparate angewachsen. Ein Besuch im Jura beim Mann der tausend Ideen.
Goldfasan, junge Giraffe, Fuchs und Graureiher scheinen in Eintracht miteinander zu leben. Ob jedoch der Tiger auflauert? Die Tiere bleiben stumm, denn sie stehen im Atelier von Christian Schneiter in Vicques (JU), östlich von Delémont. Der Romand hat ihnen neues Leben ein-gehaucht. Er beherrscht die Kunst der Taxidermie, das Präparieren toter Tiere.
«Es ist wichtig, die Verhaltensweisen zu kennen», sagt der 57-Jährige, der sein eigenes naturhistorisches Museum betreibt. Nur so gelinge es, sie lebensecht darzustellen. Als Grundlage dienen ihm Bücher und Dokumentarfilme.
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Er fixiert gerade das Federkleid eines australischen Gelbohr-Rabenkakadus, der auf einem Ast sitzt. «Ich liebe Papageien», schwärmt der Präparator. Um die350 Arten sind bekannt, in der Arche de Noé, seinem Museum, können 250 in 900 Exemplaren bestaunt werden. Sie greifen mit ihren Füssen nach Früchten, kraulen sich gegenseitig das Gefieder, schauen zu einer Baumhöhle heraus oder fliegen. Von Schneiters rund 4000 Präparaten sind 3700 Vögel. Vom Königsparadiesvogel aus Neuguinea bis zum einheimischen Mauerläufer: Die Artenfülle erstaunt, die da in Vitrinen versammelt ist.
Die meisten der Exoten erhält der Tierpräparator von Züchtern und Parks. «Ich unterhalte Kontakte zu Vogelzuchtvereinen und Zoos.» Ein Museum sei nie sein Plan gewesen, erzählt der Künstler, während er die Augen eines Bartgeiers überprüft. Tiere allerdings spielten in Christian Schneiters Leben stets eine Rolle. «Ich zog als Kind Marder, Fuchs und Elstern auf», erinnert er sich. Er wuchs in Vicques auf, streifte in den Wäldern mit den typischen Jura-Schluchten und Tälern herum, beobachtete Vögel und lauschte nach Tier-stimmen. Für ihn war stets klar: Er wollte beruflich etwas mit Tieren machen.
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Als Christian Schneiter zehn Jahre alt war, erfolgte die Weichenstellung. «Ich liess einen Mäusebussard präparieren», erzählt er mit leuchtenden Augen. Ein Initialerlebnis! «Von da an wollte ich Tierpräparator werden.» Der Beruf, der Forschung, Wissenschaft, Handwerk und Kunst in sich vereint, liess ihn nicht mehr los. Folglich absolvierte er nach der Schule eine vierjährige Lehre als Tierpräparator im Kanton Freiburg. «Mein Lehrmeister war auch für das Naturhistorische Museum in Fribourg tätig», erinnert sich Christian Schneiter.
Artenreichtum in Vitrinen
Im Alter von 20 Jahren kehrte er zurück in sein Heimatdorf Vicques und begann gleich damit, frei-beruflich Tiere zu präparieren. «Die Leute kannten mich, es sprach sich rasch herum», sagt er. Seine Kunden waren Jäger, Private und Schulen. Er begann auch damit, exotische Vögel zu präparieren, die bei den Züchtern verstarben.
Mit 25 kaufte er den alten Bauernhof ausserhalb des Dorfs, wo er heute wohnt. «Meine private Tiersammlung im Haus wuchs, ich erhielt immer mehr Anfragen von Interessierten, die sie sehen wollten.» Die Idee vom eigenen Museum nahm Form an. Vor14 Jahren habe er es auf seinem Grundstück eröffnet und seither stetig erweitert.
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Christian Schneiters Arche de Noé füllt eine Lücke in der Schweiz. «Ich will Artenvielfalt», sagt der Experte. Nirgendwo sonst können so viele Vogelarten miteinander verglichen werden. In den naturhistorischen Museen wird der grösste Teil des Sammelguts in Archiven verwahrt, neue Ausstellungen fokussieren auf Themen, nicht auf Artenfülle. In Christian Schneiters Arche de Noé aber können zum Beispiel alle vier brasilianischen Blauaraarten verglichen werden – dank eines spektakulären Fundes.Hyazinth-, Lears-, Meerblauer und Spixara funkeln von Azur- über Türkis- bis zu Tiefblau aus einer Vitrine.
Den Meerblauen Ara fand der Museumsbesitzer in einem dunklen Hinterzimmer einer Walliser Schule. Bevor Schulen ihre Sammlungen mit Tierpräparaten auflösen, nimmt Christian Schneiter einen Augenschein, so auch im Wallis. Das verstaubte und zerstossene Präparat fiel ihm sofort auf. Ein Meerblauer Ara! Letzte Sichtungen dieses Aras wurden vor 1920 im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Argentinien verzeichnet. Seither gilt die Art als ausgestorben. Der Tierpräparator sagt: «Als die Schulsammlung zusammengestellt wurde, kannte man diese Art kaum. Vermutlich wurde der Balg als Hyazinthara angesehen.» Christian Schneiter hat ihn restauriert.
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Seine lebensechten Darstellungen schätzen auch internationale Koryphäen. Professor Luís Fábio Silveira, Kurator der ornithologischen Sammlung des naturhistorischen Museums São Paulo, sagt, dass Christian Schneiter ein exzellenter Taxidermist sei. Die weltweit bekannte britische Papageienexpertin und Buchautorin Rosemary Low lobt: «Die Komposition der Blauaras in der Arche de Noé und der Standard der Präparate sind absolut superb!»
Seine Einkünfte erzielt Christian Schneiter nicht aus dem Museum, sondern durch das Präparieren von Auftragsarbeiten und durch Kunstwerke. «Ich habe viele Ideen, aber keine Zeit», sagt der Ruhelose. Ein normaler Tag in seinem Leben beginnt ab 7 Uhr. «Ich lese die Zeitung, trinke einen Kaffee und gehe mit meinem Springer-Spaniel Sony nach draussen.» Spätestens um 8 Uhr nimmt er seine Arbeit auf. «Mittags mache ich eine Pause von einer halben Stunde, gehe mit dem Hund raus.» Dann arbeite er weiter. «Ich habe keinen Arbeitsweg, weil ich hier wohne.» Abends würde er etwas Kleines kochen, mit dem Hund einen Spaziergang unternehmen und um 19 Uhr weiterarbeiten, bis 1 Uhr, wenn es gut laufe bis 4 Uhr. «Ich will absolute Stille. In der Nacht bin ich am kreativsten. Ich höre nur meine Werkzeuge.»
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Neuer Ausdrucksstil
Ein Tierpräparator brauche nicht viel, damit er arbeiten könne. «Glasaugen, Schaum, um die Körper zu modellieren, ein Produkt, um die Haut zu behandeln, Scheren, Skalpell, Faden, Nadeln, einen Haarföhn, um Federn zu trocknen», zählt der Künstler auf. Bis ein Papagei fertig sei, dauere es eineinhalb Tage, an einem spatzengrossen Vogel habe er einen Tag lang zu tun.
Christian Schneiter hat sein Schaffen mit der Kreation von Bronzeskulpturen erweitert. «Damit habe ich einen neuen Ausdrucksstil gefunden.» Klar, dass auch die meisten seiner Skulpturen Tierarten lebensecht darstellen. Zwei bronzene Birkhähne balzen in einem separaten Ausstellungsraum, Riesenalken tummeln sich in einer Ecke. Christian Schneiter sagt dazu: «Im Naturhistorischen Museum Neuchâtel befindet sich ein Präparat dieses ausgestorbenen Meeresvogels.» Dort habe er Mass genommen. Die meisten Vogelarten habe er aber selbst in seinem Museum, sodass er original-getreue Formen herstellen könne.
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Oder er hält sie in Volieren; dort tummeln sich je ein Paar Zentralasiatische Steinadler, Uhus und Schnee-Eulen. Der initiative Vogelspezialist setzt sich auch für einheimische Vögel ein. Davon zeugen Nistkästen an einer Museumsaussenwand. Sie dienen als Muster, doch Blaumeise und Hausrotschwanz ist das egal, sie sind im Frühling eingezogen. Christian Schneiter konstruiert jedes Frühjahr mit etwa 80 Kindern Nistkästen. Hinter dem Teich vor seinem Haus plant der Nimmermüde ein weiteres Projekt. Er steht da, blickt nachdenklich und sagt: «Man muss immer wieder Ideen haben im Leben.»
Arche de Noé«Taxidermiste» steht auf dem braunen Schild, das östlich ausserhalb von Vicques in Richtung Vermes zeigt. Rechterhand an der geraden Strasse sticht schon bald ein Nashorn ins Auge, das auf dem Dach eines flachen Gebäudes aus Holz thront. Direkt davor hält das Postauto Nr. 11, oder man nimmt die Linie Nr. 7 bis Recolaine, Pont de Cran, und geht danach 10 Minuten zu Fuss. Christian Schneiters Arche de Noé ist eine Stiftung und wie folgt geöffnet: Mittwoch, Samstag, Sonntag: 14 bis 17.30 Uhr, oder täglich nach Vereinbarung für Gruppen. Erwachsene: Fr. 12.–.La Filature 1, 2824 Vicques (JU)
ARCHE-NOE.CH
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