Der Land Rover biegt von der Naturstrasse ab und rumpelt quer über ein Feld. Erst pflügt sich der Geländewagen durchs hochstehende Gras, bevor in einiger Entfernung grosse Erdwälle auftauchen. Wir befinden uns aber nicht etwa in der afrikanischen Savanne und halten Ausschau nach Löwen. Nein, wir sind nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt Zürich auf der Suche nach den Turopolje-Schweinen von Nils Müller. Die schwarzgefleckten und mit dichten Borsten ausgestatteten Schweine stammen ursprünglich aus Kroatien, wo sie seit 1352 gezüchtet werden – eine sehr alte und ursprüngliche Rasse also. «Für meine Projekte sind alte Schweinerassen ideal, denn diese sind robuster und kommen mit einem weniger nahrhaften Futterangebot zurecht als die hochgezüchteten Edelschweine», sagt der Landwirt.

[IMG 2]

Das allerneuste Schweineprojekt des innovativen Machers erstreckt sich über die besagten Erdwälle. Gemeinsam mit drei anderen Landwirten hat der Besitzer des Biohofes mit dem überraschenden Namen «Zur chalte Hose» auf dem Küsnachter Berg einer sogenannten Bodenaufwertung zugestimmt. «Was ökologisch wertvoll klingt, ist in Tat und Wahrheit eine Aushubdeponie, wo der Boden um zwei Meter aufgestockt wird», so Müller. Als Problem hat sich herausgestellt, dass die Humushügel von Blacken nur so überwuchert werden. Das Unkraut zu mähen, ist auf diesem unebenen Terrain fast ein Ding der Unmöglichkeit, und jede Pflanze einzeln auszureissen, äusserst arbeitsintensiv. Da schien es das optimale Timing, dass Müllers Schweinetruppe ihren vorherigen Auftrag am Zollikerberg gerade erledigt hat. So bezog sie Anfang Juli ihren neuen Arbeitsplatz auf den überwucherten Hügeln.

«Schweine haben Erfolg, wo Mensch und Maschine nicht weiterkommen.»

Die Turopolje-Schweine fressen nicht nur die gesamte Pflanze rübis und stübis auf, sie graben sogar die Wurzel der Blacken aus und verspeisen sie. Mit ihrem starken Rüssel durchpflügen die Allesfresser auf der Suche nach Engerlingen oder Mäusen den Boden und lassen kaum mehr als einige klägliche Hälmchen übrig. Anschliessend wird auf den kahlgefressenen Erdwällen die Sativa-Saatmischung mit dem passenden Namen«Dominanzgemenge» ausgebracht, um den Blacken endgültig den Garaus zu machen. «Landschaftspflege passiert bei uns ganz und gar ohne Chemie und Technik, denn die Schweine haben dort Erfolg, wo Mensch und Maschine nicht mehr weiterkommen», so Nils Müller.

Befreier von Wald und Weiher

Die Turopolje-Schweine vom Küsnachter Berg wussten auch an ihrem vorherigen Einsatzort, einem Waldstück in Zollikon, weiterzuhelfen. Dieses hatte der Revierförster Arthur Bodmer bereits fast aufgegeben respektive der asiatischstämmigen Pflanze Henrys Geissblatt abgegeben. Dieser invasive Neophyt überwucherte eine Waldfläche von rund zwei Hektaren komplett. Die immergrüne Pflanze schlingt sich um alles Gewächs, nimmt ihm das Licht und erdrückt es. Einheimische Pflanzen werden so nahezu vollständig verdrängt. Versuche, das Geissblatt auszurupfen, glichen einer wahren Sisyphusarbeit, aufgrund des Waldgesetzes war ein Pestizideinsatz verboten und zur maschinellen Bekämpfung wäre ein kleiner Bagger notwendig.

Förster Bodmer war mit seinem Latein am Ende. «Auch ich war erst skeptisch, ob der schweizweit völlig neue Ansatz, den Neophyten mit den Schweinen auf den Leib zu rücken, hier funktionieren wird», gibt Müller zu. Zudem war es nicht einfach, vom Kanton die Bewilligung zu erhalten, Schweine im Wald weiden zu lassen. Obwohl die Waldweide eigentlich der ideale und ursprüngliche Lebensraum für diese Tierart ist. Der Antrag wurde schliesslich gut geheissen, sodass die Turopolje-Schweine auf einem mit doppeltem Elektrozaun gesicherten Waldstück Henrys Geissblatt wegfressen dürfen. Erst einmal für ein zweijähriges Pilotprojekt, welches erfolgsversprechend aussieht – auch dieses Unkraut wurde von Müllers Schützlingen weggeputzt. Die Waldfläche ähnelt nun einem braunen Acker, alles ist freigeräumt, viele lokale Gewächse können wieder spriessen und die Natur sich verjüngen.

[IMG 3]

In und um die vom Naturnetz Pfannenstiel künstlich angelegten Weiher in der Nachbarschaft zu Nils Müllers Hof wuchert zwar kein Henrys Geissblatt. Hier nehmen aber Schilf und Rohrkolben nach jeweils acht bis zehn Jahren dermassen überhand, dass sie mit Baggern ausgegraben werden müssen. «Naturschutz mit Maschinen schien mir eine sonderbare Kombination», so der Biolandwirt. Naheliegender fand er es, das Kulturland mit Tieren zu bewirtschaften. So entstand vor vier Jahren das allererste schweinisch erfolgreiche Landschaftspflege-Projekt. Für das Naturnetz Pfannenstiel gruben die gefleckten Schweine auch schon eine Brache beim alten Gemeindehaus Uetikon während einigen Wochen um. Hier ersetzten sie den Traktor, der sonst zur Bodenbearbeitung hätte auffahren müssen.

Wegbereiter

Den neugierigen Turopolje-Schweinen scheinen ihre Ausflüge ins Zürcher Umland zu gefallen. Sie fühlen sich aber auch in der heimischen Fünf-Sterne-Anlage auf Müllers Hof sichtlich wohl. Hier können sie sich in einer natürlichen Suhle wälzen, unter schattigen Bäumen den Boden umpflügen oder sich im zweistöckigen, dick mit Stroh eingestreuten Stall ausruhen. «Mir ist wichtig, dass meine Tiere ein Leben vor dem Tod haben und nicht nur dahinvegetieren», so der umtriebige Landwirt.

Er war es auch, der vor rund zehn Jahren in der Schweiz den Grundstein für die Weidetötung legte. Gemeinsam mit seiner Frau engagierte er sich für die gesetzliche Erlaubnis, Nutztiere auf dem eigenen Hof zu töten und erst dann für die Verarbeitung in eine Metzgerei bringen zu müssen. Heute wird die Hof- und Weidetötung schweizweit von rund 200 Betrieben durchgeführt, denen es wichtig ist, ihren Tieren einen würdevollen Tod zu ermöglichen. «Auch am Schluss des Lebens trage ich die Verantwortung für das Wohl aller mir anvertrauten Tiere», so Nils Müllers Überzeugung. Neu hat er ein System entwickelt, bei dem seine Sauen nicht mehr mittels Stromzange betäubt, sondern direkt mit einem Kugelschuss getötet werden.

[IMG 4]

Verarbeitet wird das Fleisch in der erst vor wenigen Monaten selbst gegründeten und auf Hof- und Weidetötung spezialisierten Wangers Landmetzg, ganz in der Nähe des Hofes. Die kleine, modernisierte Metzgerei verarbeitet Schlachtvieh von zehn umliegenden Höfen. Zur Vermarktung geht alles Fleisch der Turopolje-Schweine, das nach einem Einsatz als Neophytenbekämpferin besonders gut schmecke, zurück auf den Hof «Zur chalte Hose». Im Hofladen wird es zum Verkauf angeboten oder es kann direkt in der stilvoll eingerichteten Beiz genossen werden. «Uns ist es wichtig, den Kreislauf zu schliessen sowie Nähe und Transparenz zu schaffen.» Deshalb organisierte Müller bereits zwei Führungen zur Neophytenbekämpfung mit Schweinen, spezifisch für Fachleute. Sein Ziel sei es, dass das Projekt im Wald weitergeführt werden kann. Ihm liegt es aber auch am Herzen, Nachahmer zu finden und mit seinem Engagement und Ideenreichtum einmal mehr den Weg auf Gesetzesebene vorbereiten zu können.