In der kleinen, gemütlichen Werkstatt von Marie-Louise Stämpfli-Henney hängen neben Jacken und anderen Kleidungsstücken fein säuberlich Felle von Rotfüchsen, Bündner Bergziegen, Mardern und anderen Tieren. Sie werden von der Kürschnerin zu Kleidung und Accessoires verarbeitet. Anhand eines Fuchsfelles, das vor der Fachfrau auf einem Holzständer liegt, erklärt sie die verschiedenen Arbeitsschritte. Wenn man die junge Frau mit den hochgebundenen Haaren bei ihrer Arbeit beobachtet, merkt man schnell, dass das Kürschnern, das Herstellen von Kleidungsstücken aus Pelz und Leder, ein richtiges Handwerk ist und mit Basteln nicht viel zu tun hat. Um einen harmonischen Farbverlauf zu erreichen, lassen sich nicht wahllos Fellstücke aneinander nähen. «Zuerst muss ich das Fell anbrachen, dann mache ich es nass, dann wird es aufgezweckt.» Die Worte, die Stämpfli-Henney verwendet, klingen beinahe wie eine Fremdsprache. Um sie herum verteilt liegen Werkzeuge wie Metallkamm, Kürschner-Zange und Markierrad.

Aus den Tierfellen entstehen Jacken, Gilets, Mützen, Pulswärmer, Pelzkrägen und Accessoires. Auch ein auf dem Estrich gefundener Nerzmantel der Grossmutter muss nicht weggeworfen werden, denn aus alten Fellen lassen sich neue Kleidungsstücke oder auch Wohnaccessoires wie Kissen oder Decken fertigen.

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Ein Tier, dessen Fell bei Marie-Louise Stämpfli-Henney verarbeitet wird, musste nicht extra für den Pelz sein Leben lassen. «Das Tier ist im besten Fall zuerst als Nahrung genutzt worden. Auch wenn es zur Bestandesregulierung geschossen wurde, nutze ich das Fell», erklärt die Kürschnerin. «Ich fände es schade, wenn es stattdessen verbrannt würde.» Bis zu 20 000 Rotfüchse werden in der Schweiz jedes Jahr im Rahmen von Bestandesregulierungen geschossen, der Grossteil davon wird verbrannt. Die Nachfrage nach dem Pelz von Reineke ist klein.

Die Herkunft hinterfragen

Das Credo von Stämpfli-Henney ist das Einhalten der Balance zwischen Nutzen und Respekt. Die Felle und das Leder, die sie für ihre Arbeit verwendet, stammen aus der kontrollierten Jagd und aus artgerechter Haltung, grösstenteils aus der Schweiz. Die Tierfelle erhält die Kürschnerin direkt von Jägern, aus Gerbereien oder von Metzgern. Mit jedem ihrer Lieferanten steht die Kleidermacherin in persönlichem Kontakt. Nicht nur Wildtiere, auch Felle von Nutztieren, deren Fell bei der Schlachtung anfiel, werden bei Marie-Louise Stämpfli-Henney verarbeitet. Nichts wird verschwendet, aus fast allen Fell- und Lederresten kann ein neues Produkt hergestellt werden.

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«Ein Tierfell ist Teil eines nachhaltigen und umweltfreundlichen Kreislaufs. Jemand, der ein bisschen dahinter schaut, wird verstehen, dass es fast nichts Umweltschonenderes als Fell gibt», erklärt Stämpfli-Henney. «Ich weiss nicht, warum sich das so hartnäckig hält, dass Fell schlecht ist. Sieht jemand ein Paar Lederschuhe, kauft er die. Aber bei Pelz werden die Leute sehr abweisend.» Tierfelle scheinen zu provozieren, Kunstfell ist schon längst eine weitläufig akzeptierte Alternative zu Pelz. «Ich denke, dass es ein inneres Bedürfnis des Menschen ist, etwas Gutes zu tun», sagt die Kürschnerin. «Bin ich gegen Pelz, tue ich etwas für den Tierschutz. Dabei vergisst man zu hinterfragen, woher die eigene Kunstlederjacke oder das Kunstfell kommen. Deshalb leiste ich auch Aufklärungsarbeit, zum Beispiel an meinem Stand an Weihnachtsmärkten.»

Blickt man hinter die Kulissen, wird tatsächlich schnell klar, dass das Thema Kunstpelz wesentlich komplexer ist, als es zunächst scheinen mag. Denn wer Webpelz oder Kunstfasern trägt, der trägt Erdöl, eine endliche und klimaschädigende Ressource. Kunstfell ist somit nicht viel mehr als billiger Kunststoff, der, im Gegensatz zu Fell, nur sehr schwer abbaubar ist und lange in der Natur verbleibt. Fell dagegen lässt sich immer wieder nutzen. Hat es seine Lebenszeit erreicht, kann man es kompostieren. «Ich möchte einfach, dass die Leute wissen, womit sie es zu tun haben, damit sie basierend auf Fakten ihre eigene Meinung bilden können», sagt Stämpfli-Henney. «Aber natürlich darf und soll jeder selbst entscheiden, wie er mit dem Thema umgehen möchte. Die Wärme von Fell ist jedoch sensationell, das kann eine Kunstfaser niemals schaffen», erzählt die Kürschnerin mit Begeisterung.

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Reinigung im Schnee

Viele Kundinnen von Marie-Louise Stämpfli-Henney tasten sich zuerst mit einem gut versteckten Innenpelz an das Tragen von Fell heran. Wer sich für ein Kleidungsstück interessiert, muss sich frühzeitig melden, denn die Zweifach-Mama arbeitet saisonal. «Für einen Marderfell-Bolero benötige ich bis zu 25 Felle. Von der Fellbeschaffung bis hin zur Zusammensetzung des Kleidungsstücks kann es bis zu zwei Saisons dauern.» Neue Felle kauft die Kürschnerin nur aus nachhaltiger Jagd und Zuchten an, in denen die Tiere artgerecht gehalten werden. Zwar hätten sich die Bedingungen für Tiere in den letzten Jahren verbessert, doch auch heute noch leben Nerze auf Pelzfarmen in Käfighaltung. «Sobald es nicht mehr in mein Credo passt, mache ich es nicht», sagt Stämpfli-Henney entschieden. «Wenn sich ein Kunde ein bestimmtes Fell wünscht, was nicht mit meiner Philosophie übereinstimmt, schauen wir zusammen nach Alternativen.»

Die meisten Kunden kommen bereits mit konkreten Ideen in Stämpfli-Henneys Werkstatt. Die wenigsten ihrer Produkte lassen sich vorgefertigt in einem Laden kaufen. «Deswegen habe ich auch keinen Showroom», erklärt die Kürschnerin. In ihrer kleinen Werkstatt schätzen die Kunden die persönliche Beratung und dass sich Zeit für den Menschen genommen wird. In Zeiten der Fast Fashion keine Selbstverständlichkeit mehr.

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Für die Pflege von Fell hat Stämpfli-Henney einen ganz besonderen Tipp. «Fell hat selbstreinigende Fähigkeiten. Wenn man es in sauberem Schnee dreht, gut ausschüttelt und in einem Raum, nie auf der Heizung, trocknen lässt, ist es wieder sauber.» Auf keinen Fall gehören Felle in die Waschmaschine. Ist es stärker verschmutzt, lohnt sich der Gang zum Kürschner für eine Spezialreinigung.

Mit Kaninchen fing es an

In Marie-Louise Stämpfli-Henney selbst schlummerte schon lange das Interesse für Felle. «Mein Vater, meine Zwillingsschwester und ich haben zusammen eine Kaninchenzucht geführt», erzählt sie. «Da habe ich immer die Felle aufbewahrt.» Ihr erstes Kleidungsstück, eine Mütze, kam in einem Praktikum in einer Kürschnerei aus genau diesen Kaninchenfellen zustande. «Als ich erfahren habe, dass es einen Beruf gibt, der Kreativität, Bekleidung und Felle vereint, wollte ich Kürschnerin werden.»

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Der Beruf ist ein seltener geworden, Lehrstellen gibt es in der Schweiz aktuell keine mehr. Auch Kürschnereien finden sich nur noch sehr vereinzelt in manchen grösseren Städten. «Wenn jemand aber wirklich Interesse an dem Beruf hat, findet sich immer eine Möglichkeit», erklärt Stämpfli-Henney. «Man kann zum Beispiel direkt mit einem Kürschner in Verbindung treten oder sich beim Verband SwissFur beraten lassen.» Stämpfli-Henney selbst war eine der wenigen, die die Möglichkeit hatten, eine der seltenen Lehren zu absolvieren. Für die dreijährige Ausbildung pendelte sie täglich von Bern nach Zürich.

Angst, dass der Beruf gänzlich aussterben könnte, hat sie jedoch nicht. «Die Nachfrage nach Pelzbekleidung ist definitiv noch da, sonst hätte ich kein Geschäft», sagt sie schmunzelnd. «Man muss als Kürschnerin jedoch innovativ sein und mit der Zeit gehen. Wichtig ist es aber auch, eigene Ideen und ein persönliches Credo haben.»