Kratzen, züngeln. Der Schwarze Baumwaran krabbelt heran – und schnappt. Nach einer Heuschrecke, die ihm Marc Stähli mit einer Pinzette hinhält. «Ich habe die Tiere gerne dort, wo ich wohne», sagt der 42-Jährige aus Zürich. So könne er sie gut beobachten. Er steht im Wohnzimmer seines Logis im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses vor jenem Terrarium, in dem die Exoten der Aru-Insel leben, einer Inselgruppe südlich Neuguineas. «Diese Weltgegend fasziniert mich von Jugend an», schwärmt der Tierliebhaber.

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Der Artenreichtum um Neuguinea sei enorm, zahlreiche Endemiten lebten dort. Dazu gehört auch sein besonderer Pflegling. Endemiten sind Tierarten, die in einem beschränkten geographischen Gebiet leben. Im Falle des Schwarzen Baumwarans sind es die Inseln Tanahbesar, Wammer, Kobroor und Trangan. Die Namen erzählen von schäumendem Meer, Korallenriffen, Sandstrand, Palmen und üppigem Grün unter Tropensonne. Ähnlich sieht es im Terrarium in Zürich aus, das grösser als ein Wandschrank ist.

Alles, was der Waran in der Natur vorfindet, bietet ihm Marc Stähli im Terrarium. Wenn der Echse danach ist, legt sie sich direkt unter eine künstliche Sonne. «Rund 40 Grad warm wird es schon darunter», sagt der Reptilienfreund zum Speziallicht mit ultravioletten Strahlen. Eine Grundbeleuchtung in Kombination mit Ästen und Pflanzen sorgt für Verhältnisse ähnlich dem Regenwald, wo der Waran in verschiedenen Baumetagen lebt. Er hat sein Heimatland nie gesehen und stammt aus Zucht unter Menschenobhut.

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Als Kind im Weltvogelpark

Plötzlich zischeln helle Laute durch Stählis Wohnung. Die Schönloris machen sich bemerkbar. Er halte nur Arten, die nicht laut sind und die Nachbarn nicht stören. So sei die Tierhaltung als Mieter erlaubt. «Das Weibchen habe ich von Hand aufgezogen», sagt der Vogelexperte, öffnet die Türe zur Zimmervoliere, schon steigt das kecke grüne Vögelchen auf den Finger. Der Kleine sei vom Elternpaar nicht gefüttert worden, darum gab ihm der Lori-Freund eine Chance. Zwischenzeitlich ist der ehemalige Kümmerling mit einem Männchen verpaart, freut sich aber über Aufmerksamkeit seines Ziehvaters. Loris gehören zu den Papageien, unterscheiden sich innerhalb dieser Ordnung aber durch ihre pinselartigen Zungen. Damit nehmen sie Blütenpollen, Nektar und Früchte und kaum Sämereien wie andere Papageien.

«Die Tiere sollen ein Heimatgefühl entwickeln können.»

Marc Stähli, Tierpfleger

Marc Stähli liest seit Kindheit Fachbücher und -zeitschriften und hat sich darum ein grosses Wissen angeeignet. «Meine Eltern mussten mit mir immer wieder in den Weltvogelpark Walsrode in der Lüneburger Heide», erinnert er sich. Das war nicht ganz so weit, denn er wuchs in Hamburg auf. «Mein Urgrossvater stammte aus der Schweiz», sagt er. Die exotische Vogelwelt im weltgrössten Vogelpark hat ihn in Bann gezogen und geprägt. Zwergkaninchen, Wellensittich, Zebrafinken und Aquarium waren denn auch die Stationen seiner Tierhaltung in Kindertagen.

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Um Erfahrungen in seinem Berufsfeld, der Gastronomie, zu sammeln, kam Stähli nachZürich – und blieb. «Wo immer ich hinkomme, besuche ich zoologische Einrichtungen.» Sein Ziel war somit auch die Voliere am Mythenquai in Zürich. «Ich klingelte und fragte, ob sie jemanden brauchen, der in der Vogelpflege mithilft.» So begann seine Arbeit dort vor 17 Jahren, zuerst in Teilzeit, heute vollamtlich. «Ich eignete mir viel Wissen nach der Methode Learning by Doing an», sagt der Vogelspezialist.

In der Voliere am Mythenquai werden jährlich über 2000 Wildvögel, die von Passanten und der Polizei gebracht werden, aufgezogen. «Das ist eine sehr interessante Arbeit», sagt Marc Stähli. Die Voliere existiert seit 1898 als Pflegestation und Kompetenzzentrum für Vögel. Einen sehr wichtigen Teil machen auch die exotischen Vögel aus, die in der Voliere gehalten und gezüchtet werden. «Das ist ein tolles Spektrum.»

Um auf dem neusten Stand zu bleiben, bildet sich Marc Stähli weiter. So absolvierte er etwa den Sachkundekurs zur Haltung von Grossechsen sowie einen Kurs zum Thema Beleuchtung von Tiergehegen. Das aktuelle Wissen fliesst in die Konstruktion seiner Tiervitrinen ein. «Ich mache sie selbst, weil ich sie dann nach meinen Vorstellungen konzipieren kann», sagt Stähli. Er hält nebst den Schönloris ein Paar Veilchenloris und Rotfüssige Honigsauger aus den südamerikanischen Regenwäldern. Gerade richtet er auch einen Flugraum für Indigofinken ein.

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Biotop-Anlagen für Tiere

Marc Stähli kann sich in die Tiere und ihre Lebensräume hineinversetzen. Entsprechend plant er ihre Gehege. Es ärgert ihn, wenn sich in der Voliere Leute melden, die immer noch Papageien einzeln in Gitterkäfigen halten. «Das ist nicht artgerecht und geht längst nicht mehr», sagt er.

Seine Vogelvolieren sind mit Pflanzen, natürlichen Ästen und mit Laubästen gestaltet, die Rückwände hat er selbst bemalt. Sie zeigen Landschaften mit Bergregenwald und einem Ausblick über das tropische Hügelland. Oder er hat ein Bild eines Schefflerabusches im Loro Parque auf Teneriffa, dem grössten Papageienpark, fotografiert und daraus eine Tapete machenlassen, die er als Rückwand aufgezogen hat.

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So entsteht Tiefe im Gehege, die Vögel verhalten sich ruhiger. «Sie sollen ein Heimatgefühl entwickeln können», kommentiert Stähli seine Haltung. Er möge keine Vögel in Käfigen, weissen Boxen oder Reptilien auf Hobelspänen.

Darum kriecht seine australische Gefleckte Zwergpython auf Rindenstückchen in ihrem Terrarium im Vogelraum und die Grüne Baumpython in einem Wohnzimmerterrarium hat sich zu einem Knoten auf einem Ast inmitten von Pflanzen aufgewickelt, den Kopf lauernd mittendrin. In einem kleinen Terrarium nebenan zeigt sich ein Junges in gleicher Pose, nur ist das Schlänglein gelb. «Sie färben erst später ins Grüne um», sagt Marc Stähli.

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Sein jetziger Tierbestand entspreche seinem Kindheitstraum. Es sei arbeitsaufwendig. «Wenn ich an einem Fest bin, muss ich abends zeitig nach Hause, denn meine Loris benötigen zweimal täglich Nektar.» Seine Kollegen fänden das komisch, manchmal sei er auch mit Gegnern der Wildtierhaltung konfrontiert. «Leute, die sagen, dass ein Vogel in der Natur frei sei, haben kaum Ahnung von den wirklichen Verhältnissen», resümiert Marc Stähli.

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Auch in der Natur seien Tieren Grenzen gesetzt, etwa durch Artgenossen, die andere Territorien besetzten. Stähli sieht kein Problem darin, Wildtiere zu halten, wenn sie in biotopähnlichen Gehegen lebten und ihre natürlichen Verhaltensweisen zeigten. «Zoos halten und züchten exotische Arten, doch sie sind auf die Mitarbeit engagierter Privathalter angewiesen.»

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Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Kürzlich betonte Professor Dr. Jürg Junhold, Präsident des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ) und Direktor des Leipziger Zoos, bei der Eröffnung des Vogelhauses im Basler Zoo, dass die gute Kooperation von Zoos mit seriösen Privathaltungen gerade auch im Vogelbereich nicht eingeschränkt, sondern verstärkt werden müsse. Pauschale Beschränkungen der Wildtierhaltungen in Privathand oder in anderen Haltungen dürften nicht zugelassen werden, wenn der gesellschaftliche Auftrag des Artenschutzes nicht gefährdet werden solle.

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Marc Stähli geht am grossen Terrarium mit dem Stachelschwanzwaran aus Australien vorbei, das in seiner Küche steht. «Er schläft noch», kommentiert er, öffnet die Balkontüre, wo Palmwedel im Wind wiegen, und gibt Futter in den Bottichteich. Bald flitzen die glitzernden Brokatbarben unter einem Seerosenblatt hervor. Ein weiterer kleiner Lebensraum. Marc Stähli lächelt. Tiere sind sein Leben.